Erstmals Leben mit künstlichem Kern geschaffen

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Im Auge des Fortschritts: Die Kultur der Bakterien mit dem von Craig Venter und seinem Team erschaffenen künstlichen Genom von M. mycoides erscheint blau. Quelle: JVCI

21.05.2010  - 

Im Jahr 2001 entzifferte Craig Venter als einer der ersten das menschliche Genom. Seit 15 Jahren allerdings verfolgt der "Extrem-Genetiker", wie die Süddeutsche Zeitung ihn nannte, einen noch größeren Traum. Der Biologie-Entrepreneur wollte einen funktionierenden Organismus herstellen, der über ein im Labor hergestelltes Erbgut verfügt. Der Traum ist jetzt in Erfüllung gegangen, wie das J. Craig Venter Institut (JVCI) mitteilte. Im Wissenschaftsmagazin Science (Online-Veröffentlichung, 20. Mai 2010)  beschreiben Venter und seine Wissenschaftler, wie sie Schritt für Schritt ein synthetisches Genom erzeugt und dieses dann in ein Bakterium übertragen habe, das keine eigene DNA mehr hatte. Die Mikrobe fing danach an, sich fortzupflanzen und Eiweiße herzustellen, ganz nach dem Erbgutplan, den die Forscher eingepflanzt hatten.



 

"Dies ist die erste synthetische Zelle, die je geschaffen wurde", sagte Venter. In kürzester Zeit ging die Nachricht um die Welt. Viele Kommentatoren beurteilen die Errungenschaft als entscheidenden Meilenstein der Biologie und der Biotechnologie. Venter und sein Team an Wissenschaftler haben sich bei dem synthetischen Genom allerdings eng an die Vorgabe der Natur gehalten. Das Erbgut ist beinahe identisch mit der natürlichen Vorlage, dem Bakterium Mycoplasma mycoides. Allerdings war ein gewaltiger Aufwand nötig. Insgesamt steckte Venter wohl rund 30 Millionen Euro in das Projekt, an dem 20 Mitarbeiter mehr als zehn Jahre arbeiteten.

Venter betonte gegenüber der Nachrichtenagentur AFP, die Erzeugung eines synthetischen Kleinstlebewesens sei "ein wichtiger Schritt - in der Wissenschaft wie in der Philosophie". Der Forschungsdurchbruch ändere "meine Betrachtung des Lebens und seiner Funktionsweise". Andere Experten relativieren. "Technisch ist das eine eindrucksvolle Leistung", sagt Hans Lehrach vom Max-Planck-Institut für Molekulare Genetik in Berlin dem Nachrichtenmagazin Stern. "Ich glaube aber nicht, dass diese Arbeiten unser Verständnis des Lebens verändern." Die DNS bestehe aus chemischem Material – wie man das herstelle, sei letztlich für die Funktion der Zelle gleichgültig. "Im Prinzip war klar, dass es funktionieren sollte."

Der jetzt verkündete Durchbruch hat seine Wurzeln in den 90er Jahren. Damals machten sich Craig Venter zusammen mit den Wissenschaftlern Clyde Hutchison und Hamilton Smith vom JVCI daran, das Minimalgenom zu bestimmen, also die mindestens benötigte Anzahl von Gensequenzen, mit denen ein Mikroorganismus leben kann. 1995 analysierten sie dazu das 600.000 Basen umfassende Genom von einem Bakterium namens Mycoplasma genitalium. Das ist das kleinste bekannte Erbgut eines eigenständig lebenden Organismus. Die Forscher fanden heraus, dass sie von den rund 500 Genen des Bakteriums noch einmal 100 wegschneiden können, ohne dass die Lebensfähigkeit beeinträchtigt wird.

"M. mycoides JCVI-syn1.0" und der natürliche Wildtyp "M. mycoides" sehen auf den ersten Scharz-Weiß-Blick ähnlich aus. Lightbox-Link
"M. mycoides JCVI-syn1.0" und der natürliche Wildtyp "M. mycoides" sehen auf den ersten Scharz-Weiß-Blick ähnlich aus. Quelle: JVCI

Wasserzeichen im genetischen Code

Dieses Minimalgenom wollten Venter und seine Mitstreiter nun zuerst im Labor nachbauen und dann in eine empfangende Zelle einpflanzen. Doch die Technologie für die Gensynthese und die Herstellung ganzer Chromosomen steckte noch in den Kinderschuhen, weshalb die Forschungen noch Jahr andauerten. Im Jahr 2007 konnten die Wissenschaftler nachweisen, dass sie Chromosomen von einer Zelle in die andere verpflanzen können, wo diese dann das Erbgut ersetzen. Seitdem ging es jedoch Schlag auf Schlag. Im Jahr 2008 verkündeten die Forscher, das Genom von M. genitalium nicht nur erfolgreich im Labor nachgebaut, sondern es auch zusätzlich mit "Wasserzeichen" im genetischen Code versehen zu haben, die dessen synthetischen Ursprung anzeigen (mehr...).

Der nächste Schritt, nämlich das künstliche Genom in eine Zelle zu übertragen und dort zum Arbeiten zu bringen, erwies sich als überraschend schwierig. Wegen des langsamen Wachstums von M. genitalium entschied sich Venter schließlich, das Bakterium zu wechseln. Das Erbgut von M. mycoides ist zwar mit einer Milllion Basenpaaren deutlich größer als das von M. genitalium, allerdings wächst M. mycoides viel schneller. Im Jahr 2009 konnten die Wissenschaftler dann zeigen, dass sie die Chromosomen von M. mycoides extrahieren, in eine Hefezelle übertragen, dort modifizieren und schließlich in M. capricolum einsetzen konnten, einen engen Bakterienverwandten (mehr...). Nun musste der gleiche Trick nur noch mit der synthetisch hergestellten DNA gelingen.

E-Mail-Adressen versteckt im DNA-Code

Beim Zusammenbau des künstlichen Genoms vertrauten Venter und seine Mitarbeiter auf die Expertise des Gensynthese-Spezialisten Blu Heron. Das im Bundesstaat Washington angesiedelte Biotechnologie-Unternehmen lieferte tausend DNA-Sequenzen von jeweils einer Länge von 1080 Basenpaaren an das JVCI. Um nicht durcheinanderzukommen, hatte jede DNA-Sequenz an ihren Enden einen Bereich von 80 Basenpaaren, der mit dem benachbarten Streifen übereinstimmte. Außerdem orderten die Wissenschaftler vier zusätzliche DNA-Streifen, die keine bakterielle Erbinformation enthielten, sondern einen genetischen Code, der ausgeschrieben die E-Mail-Adressen und Namen der beteiligten Forscher sowie einige berühmte Zitate enthielt. Um die einzelnen Streifen zusammenzufügen, benutzten die Wissenschaftler Hefezellen. Dort entstanden zunächst Streifen mit der Länge von 10.000 Basenpaaren. Diese wurden dann zu Sequenzen mit 100.000 Basenpaaren und schließlich zum kompletten Genom zusammengefasst.

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Dass bei einer Million Basenpaaren trotz aller Vorsicht ein Fehler schnell passiert ist, mussten die Forscher erfahren, als sie das Genom in M. capricolum pflanzten. Erstmal passierte nämlich gar nichts. Die Fehlersuche dauerte drei Monate. Die Forscher kombinierten jeweils einen künstlichen DNA-Streifen mit natürlicher DNA, von der sie ja wussten, dass sie funktioniert. So fanden sie schließlich ein einziges vertauschtes Basenpaar, das für den Ausfall verantwortlich war. Als das ausgetauscht war und sie die richtige Kombination verpflanzt hatten, entdeckte der Projektleiter Daniel Gibson schließlich nach einem Wochenende eine Population von blauen Bakterien in einer Nährlösung. Die blaue Färbung zeigte an, dass das synthetische Genom die Zelle steuerte. Er schickte Venter sofort eine SMS.

Diskussionen zur Synthetischen Biologie angestoßen

Venter ist vom Nutzen seiner Arbeit überzeugt. "Dies ist ein sehr machtvolles Instrument, um die Biologie nach unseren Wünschen neu zu formen", sagte Venter. "Es gibt eine Vielzahl von Anwendungsmöglichkeiten." Bis Wissenschaftler aber auf diese Weise Organismen schaffen können, die bestimmte Aufgaben wie zum Beispiel die Konversion von Kohlendioxid in nützliche Rohstoffe erledigen, wird noch viel Zeit vergehen. "Momentan sind wir weit davon entfernt, einen Organismus am Reißbrett zu entwerfen", sagt MPI-Forscher Lehrach.

Venter selbst wird die Entwicklung auf jeden Fall weiter vorantreiben. 2009 hatte seine Firma Synthetic Genomics einen Vertrag mit Exxon Mobil  abgeschlossen. Das Ölunternehmen will Venter 480 Millionen Euro zahlen, falls er Algen oder Bakterien entwickelt, die den Treibstoff der Zukunft herstellen. Venter ist mit dieser Vision allerdings nicht allein. Auch in Deutschland arbeiten Wissenschaftler daran. Ob Venter auch dieses Rennen gewinnt, wird sich erst in einigen Jahren herausstellen. Sein Erfolg zeigt aber, dass eine Diskussion über den gesellschaftlichen Nutzen und den Umgang mit der Synthetischen Biologie immer dringlicher wird. In Deutschland veröffentlichten drei große Wissenschaftsorganisationen im Herbst 2009 ein erstes Positionspapier (mehr...). Daraufhin lud der Deutsche Ethikrat Anfang 2010 zu mehreren öffentlichen Diskussionsrunden (mehr...). Das Bundesministerium für Bildung und Forschung plant, die Experten der Synthetischen Biologie zusammenzubringen, um über einen abgestimmten Kurs zu beraten. Die Auftaktveranstaltung für diesen "Strategieprozess zur nächsten Generation biotechnologischer Produktionsverfahren" findet im Julöi in Berlin statt.

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