Hilmar Bading: Beschützer der Nervenzellen
20.10.2009 -
Was Beobachtungen schon seit langem unterstellen, kann Hilmar Bading inzwischen wissenschaftlich bestätigen: Regelmäßiges Training der kleinen grauen Zellen schützt offenbar vor neurodegenerativen Krankheiten wie Alzheimer. „Ein aktives Gehirn aktiviert Schutzgene für Nervenzellen“, so der Direktor des Interdisziplinären Zentrums für Neurowissenschaft in Heidelberg. Badings eigenes Gehirn läuft schon seit langem auf Hochtouren. Mit 18 Jahren veröffentlichte er wissenschaftlich über Buntbarsche. Jetzt tragen die Forschungen des Neurobiologen zum besseren Verständnis des molekularen Denk-Cocktails bei – und könnten womöglich neuen Therapien den Weg ebnen.
Schon früh zeichnete sich ab, dass Hilmar Badings Weg geradewegs in die Welt der Wissenschaft führen würde. „Verhaltensforscher wie Konrad Lorenz haben mich bereits als Jugendlicher inspiriert“, sagt der Neurowissenschaftler. Schon im zarten Alter von 18 Jahren publizierte er seine ersten Beobachtungen zum Verhalten von Buntbarschen im Fachblatt der Deutschen Cichliden-Gesellschaft. Nach dem Abitur entschied sich Hilmar Bading dennoch zunächst für ein Medizinstudium, doch die Liebe zur naturwissenschaftlichen Forschung flammte schnell wieder auf – während seiner Doktorarbeit am Max-Planck-Institut für Medizinsche Forschung in Heidelberg. „Mein Doktorvater Professor Hasselbach hat meinen beruflichen Weg entscheidend geprägt – seine Begeisterung für die Forschung hatte mich tief beeindruckt und ist für mich seit dieser Zeit ein Leitmotiv“, sagt Bading. Nach Jahren als Nachwuchswissenschaftler in Berlin zog es den damals 30-Jährigen an eine der renommiertesten Talentschmieden in den USA, die Harvard Medical School. „In Boston wollte ich untersuchen, wie und warum elektrisch aktive Nervenzellen die Genexpression verändern“, so der gebürtige Berliner.
Neun Überlebensgene identifiziert
Heute – mit 50 Jahren – ist der gelernte Mediziner zum C4-Professor aufgestiegen und leitet als geschäftsführender Direktor das Interdisziplinäre Zentrum für Neurowissenschaften in Heidelberg. Mit seiner 16köpfigen Arbeitsgruppe, bestehend aus Biologen und Physikern, will Bading eine große Frage beantworten, die Neurobiologen rund um die Welt beschäftigt: Warum schalten elektrisch aktivierte Nervenzellen Gene an, und was haben diese genetischen Veränderungen mit Lernen und Gedächtnisbildung oder dem Aufbau von Nervenschutzmechanismen zu tun? Bei der Beantwortung dieser Frage sind die Wissenschaftler in den vergangenen Jahren schon deutlich vorangekommen (mehr...).
Badings Arbeitsgruppe setzt verschiedene Tiermodelle ein – von Zellkulturen über Fruchtfliegen bis hin zur Maus. Dabei stehen vor allem Kalzium-Ionen im Mittelpunkt des Interesses. „Wir wissen schon länger, dass Kalzium-Ionen eine entscheidende Rolle im Überleben der Nervenzellen spielen,“ erklärt Bading. „Durch Kalzium-Einstrom in die Nervenzelle erwirbt diese einen besonderen Schutz für das Überleben.“ Die Weiterleitung von Kalziumsignalen in den Zellkern – hauptverantwortlich für den Dialog zwischen Synapse und Zellkern – und der Transkriptionsfaktor CREB haben dabei eine zentrale Bedeutung. Doch welche Gene werden durch diese Abfolgen von Signalen angeschaltet?
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Im Jahr 2002 machte sich Bading auf die Suche nach Genen, die innerhalb der ersten zwei bis drei Stunden nach der Aktivierung von Neuronen angeschaltet werden. Durch ein erstes Screening identifzierten die Wissenschaftler zunächst knapp 1000 Gene. Zu viele, um sie einzeln zu untersuchen. Nach einem längeren Selektionsprozess reduzierten die Forscher die Anzahl der Kandidaten auf 185 Gene, die alle über den Kalziumschalter im Zellkern reguliert werden. Über den Fortschritt berichteten die Forscher jüngst im Fachblatt PLoS Genetics (Online-Veröffentlichung, 14. August 2009). Einige davon scheinen tatsächlich die Nervenzellen zu schützen. „Neun der 185 Gene zeigten einen neuroprotektiven Effekt,“ sagt Bading. Aus seiner Sicht könnten diese neun "Überlebensgene" zukünftig als Grundlage für therapeutische Ansätze dienen: „Es ist denkbar, dass Erkrankte davon profitieren, wenn man die Überlebensgene in erkrankte Nervenzellen einschleust.“
Ein aktives Gehirn lebt länger
Vor dem Hintergrund der aktuellen Forschungsergebnisse vermutet Bading, dass im Alter und bei neurodegenerativen Erkrankungen der Dialog zwischen den Synapsen und dem Zellkern aufgrund der eingeschränkten Gehirnaktivität nicht mehr richtig funktioniert. „Die fehlende Aktivität führt dazu, dass die Überlebensgene im Zellkern weniger häufig stimuliert werden, was langsam zur Degeneration und sogar zum Absterben der Nervenzellen führen könnte“. Im Umkehrschluss heißt das: Durch regelmäßiges Training können die Signalwege frei gehalten werden. Auch wenn die Wissenschaft erst langsam beginnt, die komplexen Mechanismen der Kommunikation von Nervenzellen im Gehirn und die Bedingungen für ihr Überleben zu verstehen, kann jeder deshalb ganz einfachen Mitteln dafür sorgen, dass die grauen Zellen lange aktiv bleiben, sagt der Vater von zwei Kindern. Lernen, Denksport, Musik und Sport, das sei der Schlüssel für einen einwandfrei funktionierendes Gehirn bis ins hohe Alter.
Autorin: Andrea van Bergen