Pilz und Bakterium: Im Doppelpack gegen Osteoporose

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Flocken des Bakteriums Streptomyces hygroscopicus in engem Kontakt mit Mycel von Aspergillus nidulans. Quelle: HKI/FSU

28.08.2009  - 

Da staunten die Forscher in Jena nicht schlecht: Der Schimmelpilz Aspergillus nidulans bildete überraschend eine Reihe von Substanzen, die bei dem Pilz vorher nie beobachtet wurden. Grund für das ungewöhnliche Verhalten sind bestimmte Bakterien. Sind sie in der Nähe und besiedeln den Pilz, dann aktivieren sie offenbar verschiedene Gene, die bei dem Pilz in Reinkultur stillgelegt sind. Von der Wohngemeinschaft aus Pilz und Bakterien, die auch Stoffe gegen Osteoporose hervorbringt,   berichten die Wissenschaftler des Hans-Knöll-Instituts (HKI) und der Friedrich-Schiller-Universität im Fachblatt Proceedings of the National Academy of Sciences (Vol. 106, Ausg. 34, S. 14558-14563).



 

Bei der Lebensgemeinschaft aus Pilz und Bakterium entstehen mit der Orsellinsäure und der Lecanorsäure zwei Substanzen, die schon aus Flechten bekannt sind. Außerdem entdeckten die Forscher um Axel Brakhage und Christian Hertweck die gegen Osteoporose wirksamen Stoffe F-9775 A und B. Dass Pilze begehrte Stoffe produzieren können, weiß man spätestens seit der Entdeckung des Penicillins vor 80 Jahren. In sogenannten Screening-Programmen suchen die Pharmaindustrie und akademische Einrichtungen in Hunderttausenden von Mikroorganismen-Stämmen nach immer neuen Verbindungen, die vorzugsweise der Entwicklung von Arzneistoffen dienten. So wird ein Großteil der heute bekannten etwa 10.000 Antibiotika von Mikroorganismen produziert. So wird der Schimmelpilz Aspergillus niger - dessen Genom 2007 entschlüsselt wurde (mehr....) - für die Herstellung von Zitronensäure oder speziellen Enzymen für die Backzutatenindustrie enutzt.

Ein DNA-Microarray, mit dem die Aktivierung des Genclusters beim Schimmelpilz nachgewiesen wurde.Lightbox-Link
Ein DNA-Microarray, mit dem die Aktivierung des Genclusters beim Schimmelpilz nachgewiesen wurde.Quelle: HKI

Funktion ganzer Gencluster vorhersagen
Der klassische Weg, an die begehrten Substanzen zu gelangen, ist die Reinkultur von Pilzen oder Bakterien in riesigen Fermentern von einigen Kubikmetern Fassungsvermögen. Hierzu verwendet man heute meist gentechnisch optimierte Hochleistungsstämme. Inzwischen sind die Genome von vielen Mikroben vollständig entschlüsselt. Durch Vergleiche der DNA-Sequenz können die Wissenschaftler in zunehmendem Maße auch die Funktion ganzer Gruppen zusammengehörender Gene, sogenannter Gencluster, vorhersagen. Bei diesem als Genome mining bezeichneten Verfahren fiel auf, dass Pilze häufig Gencluster beherbergen, die eigentlich für die Synthese bestimmter Substanzen verantwortlich sein sollten. Bei der Kultivierung dieser Pilze im Labor fand man jedoch diese Substanzen nie, die betreffenden Gene „schliefen“ und konnten bislang auch nicht „geweckt“, sprich: aktiviert werden.

Hans-Knöll-Institut

Mit der Gründung des HKI 1992 wurde in Jena 50-jährige Tradition der Naturstoff-Forschung fortgesetzt, die 1942 mit der Entwicklung des Penicillinverfahrens durch Hans Knöll begonnen hatte. Das HKI gehört zur Leibniz-Gemeinschaft und arbeitet eng mit der Friedrich-Schiller-Universität in Jena zusammen.

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Ein Blick zurück in die Natur, aus der die Pilze stammen, führte die Wissenschaftler um Axel Brakhage und Christian Hertweck auf die richtige Fährte: Mikroorganismen kommen nie isoliert vor, sondern immer vergesellschaftet mit anderen Arten. Kein Wunder, dass sich im Laufe der Evolution Kommunikationsprozesse entwickelt haben, die den Arten das Überleben sichern. Dabei geht es um die Bekämpfung gemeinsamer Gegner, die Besiedelung neuer Lebensräume und vieles mehr. Bei all diesen Vorgängen spielt der Austausch von chemischen Informationsträgern auch über Artgrenzen hinweg eine wesentliche Rolle. Bis heute war es weitgehend unbekannt, unter welchen natürlichen Bedingungen, solche stillen Gencluster aktiviert werden.

58 Bakterienarten mit dem Pilz zusammen getestet
Die Jenaer Forscher suchten nun eine Möglichkeit, um bei ihrem Modellobjekt Aspergillus nidulans, einem harmlosen Schimmelpilz, stille Gencluster zu aktivieren und deren Biosynthese-Potential nutzbar zu machen. Sie wählten hierfür gezielt eine Gruppe von Genen, die an der Biosynthese von Polyketiden beteiligt sein könnten, wie ihnen die Gensequenzen verrieten. Polyketide sind eine große Familie von Naturstoffen, die von vielen Pilzen und Pflanzen gebildet werden. Hierzu gehören Farbstoffe ebenso wie viele Antibiotika z. B. Tetrazyklin oder Pilzgifte wie Ochratoxin. Aspergillus nidulans ist im Erdboden weit verbreitet und daher lag es nahe, ihn mit Bakterien in Kontakt zu bringen, die den gleichen Lebensraum besiedeln und als seine natürlichen Kommunikationspartner in Frage kommen. Insgesamt 58 Vertreter der Actinomyceten wurden für einige Stunden gemeinsam mit dem Pilz kultiviert. Actinomyceten sind eine große Gruppe bodenbewohnender Bakterien, die selbst für die Synthese vieler Wirkstoffe bekannt sind.

Einzelne Zellen von Streptomyces hygroscopicus schmiegen sich sehr eng an die Hyphen des Schimmelpilzes Aspergillus nidulans.Lightbox-Link
Einzelne Zellen von Streptomyces hygroscopicus schmiegen sich sehr eng an die Hyphen des Schimmelpilzes Aspergillus nidulans.Quelle: HKI/FSU

Anschließend analysierten die Biologen mit Hilfe von sogenannten Microarrays – kleinen Glasplatten, die mehrere tausend Genabschnitte eines Organismus tragen – Veränderungen im Genom von Aspergillus nidulans. Die dabei anfallende riesige Datenmenge wurde von Bioinformatikern des HKI ausgewertet. Sie waren es, die die gesuchte Aktivierung des stillen Genclusters nachweisen konnten: Einzig die gemeinsame Kultivierung des Pilzes mit dem Bakterium Streptomyces hygroscopicus führte dazu, dass die Synthese von Polyketiden angeschaltet wurde.

F-9775A und B blockieren Osteoporose-Enzym
Die Naturstoffchemiker um Christian Hertweck isolierten aus einem großen Versuchsansatz die neu gebildeten Substanzen und führten eine Strukturaufklärung durch. Dabei konnten sie vier Substanzen identifizieren, die Aspergillus nidulans im Laborversuch noch nie gebildet hatte. Orsellinsäure und die eng verwandte Lecanorsäure sind archetypische Polyketide, die im Laufe der Evolution frühzeitig auftraten. Zwei weitere Verbindungen, die von Aspergillus nidulans nach Aktivierung der Synthesegene gebildet wurden, tragen bisher nur Nummern: F-9775A und B. Diese etwas komplexeren Moleküle blockieren ein Enzym, das an der Ausprägung der Osteoporose beteiligt ist. Sie könnten für die Therapie interessant sein.

Aber wie regt das Bakterium den Pilz zur Produktion an? Die Forscher gingen zunächst davon aus, dass Streptomyces hygroscopicus einen Signalstoff bildet, der die Synthese der neuen Substanzen im Pilz auslöst. Sämtliche Versuche, ein solches Botenmolekül nachzuweisen, schlugen jedoch fehl. Beispielsweise war es nicht möglich, die Genaktivierung herbeizuführen, wenn beide Organismen durch eine Membran getrennt waren, die für einen Signalstoff durchlässig war. Es half auch nichts, Pilzkulturen mit Nährlösung zu versetzen, in denen die Bakterien vorher gezüchtet wurden. Umso größer war die Überraschung angesichts elektronenmikroskopischer Bilder. Sie zeigten, dass sich die Bakterien im Inneren der vom Pilzgeflecht gebildeten Flocken ansammeln. Viele Bakterien schmiegten sich eng an die fadenförmigen Pilzzellen an und schienen eine größtmögliche Kontaktfläche zwischen beiden Organismen anzustreben. Offenbar ist es genau dieser enge physische Kontakt zwischen Bakterium und Pilz, der über einen noch unbekannten Mechanismus die Genaktivierung auslöst.

Tausende von Naturstoffen von Mikroorganismen warten auf Entdeckung

Das enge Beeinander der Mikroben erinnert an Symbiosen, bei denen sich mindestens zwei verschiedene Arten zum beiderseitigen Vorteil zusammenfinden. Ein Paradebeispiel sind Flechten. Sie sind Lebensgemeinschaften aus Pilzen und Grünalgen oder Cyanobakterien und für eine Vielzahl von Natur-, insbesondere Farbstoffen bekannt. Die Liaison ist im Gegensatz zum untersuchten System meist dauerhaft und untrennbar. Auch die nun bei Aspergillus nidulans wachgeküssten Substanzen Orsellin- und Lecanorsäure werden von Flechten gebildet.

Die soeben veröffentlichte Arbeit zeigt, dass auch seit langem bekannte und gut charakterisierte Mikroorganismen ein großes Potential an noch nicht entdeckten Substanzen bergen. Viele davon könnten für den Menschen nützlich sein. Diesen bislang unentdeckten Schatz zu heben bedarf es – wie im vorliegenden Fall geschehen – der engen Kooperation zwischen Wissenschaftlern unterschiedlichster Ausrichtung. Die Ergebnisse wurden im Rahmen der Jena School for Microbial Communication, dem einzigen von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Exzellenz-Projekt in Thüringen, erzielt.

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