Nils Blüthgen: Krebszellen in den Selbstmord treiben
06.07.2009 -
Nils Blüthgen hat keinen geradlinigen Weg in die Wissenschaft gewählt. Eigentlich zog es ihn in die Physik, doch über Umwege kam er schließlich zur Biologie. Heute will der Systembiologe dazu beitragen, molekularbiologische Vorgänge mithilfe von theorethischen Modellen besser zu verstehen. Als Arbeitsgruppenleiter am Labor für Molekulare Tumorpathologie der Charité und am Institut für theorethische Biologie an der Humboldt-Universität Berlin arbeitet Blütghen daran, Krebszellen gezielt in den Selbstmord treiben und damit die Grundlagen für neue Therapien zu legen.
Vielleicht war es ja das Wattenmeer, was Nils Bluethgen in die Biologie getrieben hat. Denn eigentlich wollte der 1976 in Bremen geborene Systembiologe eher in Richtung Physik gehen. Doch vor das Studium hatte das Land den Zivildienst gesetzt, und den verbrachte Blüthgen in einem Naturschutzgebiet an der Nordsee, „Vögel beobachten und so“, wie er beschreibt. „Da habe ich das erste Mal überlegt, ob das was für mich wäre.“ Trotzdem schrieb er sich zunächst in Heidelberg für sein bisheriges Lieblingsfach Physik ein. „Ich fand die Physik methodisch spannend, aber die ganze Zeit im dunklen Labor mit Lasern herumexperimentieren, das war nichts für mich. Die meisten wichtigen Fragen schienen mir in der Physik schon beantwortet.“
Hintergrund |
Nils Blütghen gehört zur Generation von jungen Wissenschaftlern, die sich der Systembiologie verschrieben haben. Sie wollen mehr über seine Arbeiten erfahren? mehr Infos: hier klicken |
Von der Physik zur Bioinformatik
Während diese Erkenntnisse im Laufe seines Hauptstudiums an der Technischen Universität in Berlin heranreiften, suchte das Berliner Institut für Theoretische Biologie eine Hilfskraft zur Rechnerbetreuung. Blüthgen meldete sich, zunächst nur aus finanziellen Gründen. Doch mit der Arbeit an der EDV des Instituts wuchs auch das Interesse an der Biologie. Blüthgen fing schließlich an Vorlesungen und Vorträge zu besuchen und begann im Nebenfach Bioinformatik zu studieren. „In den Fachzeitschriften wurden immer wieder Papers veröffentlicht, die irgendwie spannend klangen“, schwärmt er noch heute. Und schrieb seine Diplomarbeit über die Modellierung von Signalwegen in Krebszellen.
Heute beschäftigt sich Nils Blüthgen in seinen Forschungen mit den sogenannten MAP-Kinase-Signalwegen (mitogen-activated protein). Kinasen sind Enzyme und in diesem Fall sehr aktiv an der Zellteilung (Mitose) beteiligt. Selbst winzige Unterschiede in der Aktivität dieser Enzyme entscheiden, ob eine Zelle wächst, sich differenziert oder den programmierten Zelltod (Apoptose) wählt. „Wir versuchen rauszufinden, wie diese MAP-Kinasen die Informationen, die die Zelle zur Verfügung hat, genau integrieren, und versuchen dann, in den Signalweg einzugreifen“, beschreibt Blüthgen seine Arbeit.
Wie sich Krebszellen gegen Arzneien wehren
Weil sich Krebszellen krankhaft vermehren, sind diese Forschungen vor allem für die Krebstherapie interessant. So könnte man den Signalweg in den Krebszellen gezielt umprogrammieren, so dass die Zellen in den Selbstmord getrieben werden. Eine Reihe von Pharmafirmen versuchen bereits, mit Hemmstoffen (Inhibitoren) in diesen Signalweg einzugreifen. Doch oft funktioniert das nicht – und das liegt vor allem an bestimmten Rückkopplungsmechanismen der MAP-Kinasen, mit denen die Zelle das Funktionieren des Signalwegs absichert.
Systembiologie |
Bereits seit Jahren fördert das Bundesministerium für Bildung und Forschung Forschungsarbeiten zum Thema Systembiologie. Im Jahr 2006 wurden vier Standorte als "Forschungseinheiten der Systembiologie" (FORSYS) ausgewählt, die bis zum Jahr 2001 mit 54 Millionen Euro unterstützt werden. Seit 2008 gibt es zudem FORSYS-Nachwuchsgruppen. |
Dieser Sicherheitsmechanismus ist auch Blüthgens Forschungsobjekt. „Die Rückkopplungen machen es schwer, den Signalweg zu manipulieren“, erklärt er. „Gleichzeitig macht sich der Tumor genau diesen Sicherheitsmechanismus zu Eigen, um sich gegen Krebsmedikamente zu wehren.“
Sonderforschungsbereich als wichtiger Ausgangspunkt
Als Blüthgen seinen Studienabschluss in der Tasche hatte, kannte er die Systembiologie als Begriff noch nicht. Die Konstruktion mathematischer Modelle, um biologische Mechanismen zu verstehen, fristete in den Biowissenschaften „ein Nischendasein“, erinnert sich Blüthgen. Im Jahr 2002 wurde jedoch ein Sonderforschungsbereich Theoretische Biologie an der HU Berlin eingerichtet. Blüthgen setzte dort seine Forschungen fort und verfasste seine Dissertation über krebsrelevante Signalwege in Zellen. Diese Arbeit brachte ihm schließlich im Mai 2008 den MTZ®-Award der medizinisch orientierten Systembiologie ein – eine Auszeichnung, mit der die MTZ®stiftung aus Erkrath bei Düsseldorf, das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und der Projektträger Jülich (PTJ) drei junge Nachwuchswissenschaftler für ihre Dissertationen im Bereich der Systembiologie auszeichnen.
Das Thema Krebs führt er bis heute in seiner Arbeitsgruppe fort. Und auch davon abgesehen war der damalige Sonderforschungsbereich eine wichtige Basisarbeit. „Es war eines der ersten Forschungszentren, wo systematisch experimentelle und theoretische Gruppen zusammengearbeitet haben“, erzählt Blüthgen. „Die Arbeit war immer sehr offen, aber wir haben gute eineinhalb Jahre aneinander vorbei geredet.“ Inzwischen sei „das Theoretikerdenken auch dort verständlich“ und der Begriff „Systembiologie“ fest etabliert.
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Von Manchester zurück nach Berlin
Der Promotion folgte schließlich ein Forschungsaufenthalt am Bernstein-Zentrum Berlin, wo Blüthgen sich intensiver mit Laborarbeit beschäftigte, und ein zweijähriges Research Fellowship im Manchester Center for Interdisciplinary Systems Biology. In Manchester entdeckte Blüthgen schließlich die BMBF-Ausschreibung im Bereich „Forschungseinheiten der Systembiologie (FORSYS)“ für so genannte Nachwuchs-Partnergruppen der vier großen FORSYS-Zentren in Potsdam, Freiburg, Magdeburg und Heidelberg (mehr...). „Für mich klang das sofort interessant“, erinnert er sich. „Die Forschungsbedingungen waren einfach günstig.“
Seit Juli 2008 arbeitet Blütghen nun in Berlin an der Charité, seine Nachwuchsgruppe „Adaptation mechanisms of signalling in the MAPK cascade“ ist auf acht Mitarbeiter angewachsen, darunter Biologen, Biotechnologen und Biophysiker. In Parnerschaft mit der Freiburger Initiative für Systembiologie (FRISYS) (mehr...) diskutieren die Forscher verschiedene systembiologische Fragestellungen in mehreren Projekten. Mit dem Arbeiten in freier Natur, was Blüthgen ursprünglich an der Biologie reizte, hat seine aktuelle Tätigkeit nur noch wenig gemein. Und die Freizeit ist auch rar, so dass wenig Freiraum für Wandern, Radfahren und Musik bleibt. Auch die eigene Gitarre steht derzeit häufig ungespielt in der Ecke, und die „vielen guten Outdoor-Klettermöglichkeiten“ in Berlin warten nach wie vor darauf, erkundet zu werden. Aber davon lässt sich Blüthgen nicht abhalten, auch kleine Lücken im System zu finden: Bei einer Tagung zu Chancen der Systembiolgie in der Krebsforschung in Rostock nutzte der Systembiologe eine Sitzungspause, um in der 13 Grad kalten Ostsee zu baden.
Autorin: Cornelia Kästner