Wolfgang Wiechert: Vereinigt Mathematik mit Biologie

Wolfgang Wiechert vernetzt mehrere Disziplinen, um komplexe biochemische Netzwerke zu enträtseln. <ic:message key='Bild vergrößern' />
Wolfgang Wiechert vernetzt mehrere Disziplinen, um komplexe biochemische Netzwerke zu enträtseln. Quelle: Fotostudio Münker

02.06.2009  - 

Was wird man mit einem ungewöhnlichen Lebenslauf, der in kein Raster passt? Multitalent Wolfgang Wiechert schaffte es damit jüngst auf die Direktorenstelle des Instituts für Biotechnologie 2 am Forschungszentrum Jülich, als Nachfolge von Prof. Christian Wandrey. Der Mathematiker mit interdisziplinärem Werdegang hat bislang viel Erfahrung gesammelt, die für seinen jetzigen Posten unerlässlich ist. Auch an neuen Ideen mangelt es dem 49-jährigen nicht: „Hier in Jülich habe ich endlich Freiraum für kreatives Arbeiten - es ist wie ein kleines Paradies für mich.“


Die berufliche Weiche in Richtung Naturwissenschaft hat sich für Wiechert schon als Schüler gestellt: mit dem Sieg im Bundeswettbewerb Mathematik. Als logische Konsequenz absolvierte er anschließend ein Studium der reinen Mathematik. Hier lernte Wiechert strukturiertes Denken von der Pike auf. Doch die Zahlenwelt sei schon sehr abgehoben gewesen, sagt er heute. „Mir fehlte das soziale Networking – Mathematiker sind doch etwas introvertiert“, so der aufgeschlossene Direktor mit einem Schmunzeln. Auf der Suche nach einem Promotionsthema kam Wiechert mit der Biologie in Kontakt. Der Herr der Zahlen fand am Institut für Theoretische Biologe in Bonn ein Thema, bei dem seine mathematischen Kenntnisse gefragt waren. Heute hat diese Art von Wissenschaft einen Namen erhalten und wird als „Systembiologie“ tituliert, einer Symbiose aus Mathematik und Biologie, die u.a. das Ziel hat, komplexe Regulationsnetzwerke von Zellen aufzuklären.

Minibioreaktoren zur parallelen Kultivierung von Produktionsstämmen unter konstant geregelten Bedingungen.Lightbox-Link
Minibioreaktoren zur parallelen Kultivierung von Produktionsstämmen unter konstant geregelten Bedingungen.Quelle: W. Wiechert

Bei den Ingenieuren Wahlheimat gefunden

Ans Forschungszentrum Jülich, seinem jetzigen Arbeitgeber, kam Wiechert schließlich nach seiner Promotion im Jahre 1990. In der Abteilung Bioverfahrenstechnik des Instituts für Biotechnologie arbeitete der wissenschaftliche Angestellte an der Etablierung eines neuen Messverfahrens: der sogenannten Metabolischen Stofffluss-Analyse. Es beschreibt den „Ist“-Zustand von Mikroroganismen oder Zellen, die als Produktionsfabrik in der Industrie eingesetzt werden. Das Verfahren charakterisiert dabei genau, wie ein Substrat im Stoffwechsel verarbeitet wird – inzwischen ein Standard-Verfahren in der Industrie. „Für mich ist das ein schönes Beispiel für die Systembiologie. Experimentelle Arbeiten und Messtechnik wurden hier beispielhaft mit der Mathematik kombiniert", so Wiechert. Und ausgezeichnet wurde der Professor dafür auch. Im Jahr 2008 erhielt er den mit 20.000 Euro dotierten DECHEMA-Preis der Max-Buchner-Forschungsstiftung. Doch nicht nur seine Leidenschaft für die Systembiologie wurde während seiner sechsjährigen Forschungszeit in Jülich gefestigt. „Bei den Ingenieuren habe ich meine Wahlheimat gefunden“, lautet Wiecherts Resümee. „Bei der systemwissenschaftlichen Denkweise und dem eher bodenständigen Typus des Ingenieurs fühle ich mich am Wohlsten“.


Dennoch folgte er im Jahr 1996 einem Ruf an die Universität Siegen, auf eine Professur für Simulationstechnik. Hier stand weniger die Biologie als Themen wie Materialwissenschaften, Radarfernerkundung, Mikrofluidik und Mikrochemie auf der Tagesordnung. Eine Zeit, die Wiechert heute nüchtern beschreibt: „An einer deutschen Hochschule Spitzenforschung zu treiben ist, wie mit angezogener Handbremse Vollgas geben.“

Hintergrund
Sie wollen mehr über die Arbeit von Wolfgang Wiechert erfahren? Details über Forschungsprojekte gibt es beim Forschungszentrum Jülich.

Mehr Infos: hier klicken

Systembiologe als Manager
Der Ruf auf die Direktorenstelle in Jülich brachte 2009 die Kehrtwende in Wiecherts Leben: „In Jülich fühle ich mich wie von der Leine gelassen.“ Als Direktor kann er viele Freiheitsgrade für Kreativität und Ideen genießen und die finanzielle Ausstattung erlaubt es ihm, große Sprünge zu machen. „Es macht viel Freunde, hier zu arbeiten“, so Wiecherts Fazit. Auf die Frage, woher er seine Fähigkeiten für diese Managerposition gelernt habe, antwortet er lapidar: „Bei der Organisation von Jugendfreizeiten und Zeltlagern“.


Dabei habe er schon jung erlernt, große und vernetzte Projekte am Laufen zu halten. „Auch als Manager muss ich schauen, dass meine Mitarbeiter tolle Arbeitsbedingungen vorfinden“. Wiechert möchte in Jülich ein hohes Maß an interdisziplinärer Zusammenarbeit initiieren und moderieren. Dafür erlaubt ihm sein vielfältiges Wissen einen guten Überblick. „Natürlich bin ich nicht in der Lage, mich ins Labor zu stellen und die Pipette in die Hand zu nehmen“. Das überläßt er denen, die es besser können. Doch für hocheffizientes und fachübergreifendes Arbeiten sei Wiechert der richtige Mann am Platz. Sein Ziel ist klar: das quantitative Verständnis der Zusammenhänge in komplexen biochemischen Netzwerken verbessern. Dafür wird er seine vier bestehenden Arbeitsgruppen aufstocken und bald mit über 60 Mitarbeitern forschen: quantitative „Omics“-Technologien, Biokatalyse, Einzelzell-Untersuchungen und mathematische Modellbildung sind aus seiner Sicht die Schlüsseldisziplinen, die es an seinem Institut zu vernetzen gilt. Auch ist sich Wiechert des gewaltigen Erbes bewusst, dass ihm sein Vorgänger – Prof. Christian Wandrey – überlassen hat: „Die Nähe zur Industrie will ich weiterhin behalten – doch auch die Grundlagenforschung wird bei mir nicht zu kurz kommen“, sagt Wiechert.

Autorin: Andrea van Bergen

Menschen

Forscherprofile

Sie möchten noch mehr Persönlichkeiten aus der biotechnologischen Forschung in Deutschland kennenlernen? In der Rubrik Menschen haben wir bereits eine ganze Reihe von Wissenschaftlern und Unternehmern porträtiert.


Zur Rubrik Menschen

Förderbeispiele

glowing cells in a test tube

Sie möchten erfahren, in welche Forschungsprojekte öffentliche Gelder fließen? Unter der Rubrik Förderbeispiele stellen wir regelmäßig öffentlich geförderte Forschungsvorhaben inhaltlich vor.


Zur Rubrik Erfindergeist

Nachwuchsförderung

Collage aus Broschüren-Deckblatt

Wege in die Biotechnologie: In den vergangenen 25 Jahren hat das BMBF mehr als 200 junge Wissenschaftler darin unterstützt, in die Biotechnologie zu gehen. Eine neue Broschüre verschafft nun Einblicke in den Verlauf dieser Karrieren: Was ist aus den einstigen Nachwuchsforschern geworden? Wie sind sie beruflich vorangekommen? Woran arbeiten sie heute? Die Broschüre kann kostenlos im Bestellservice geordert oder als PDF heruntergeladen werden.


Zur Rubrik Publikationen