Mit Grünem Tee gegen HIV
27.05.2009 -
Forscher haben nie Ruhe. Nicht einmal, wenn sie sich hinsetzen und eine Tasse Tee genießen. Das hat jetzt die Hamburger Virologin Ilona Hauber feststellen müssen. Aus ihrer Leidenschaft für eine schöne Tasse Grünen Tee entstand die Idee zu einem „Hobbyprojekt“ – so nennt sie selbst die Anfänge einer Entdeckung, die die Ansteckung mit dem HI-Virus beim Sexualverkehr eindämmen könnte. Wie die Forscher im der Fachzeitschrift PNAS (2009, Online-Vorabveröffentlichung 18. Mai) berichten, hemmt ein Wirkstoff im Grünen Tee offenbar die Übertragung des Erregers.
Bislang können Menschen, die an der Immunschwächekrankheit Aids erkrankt sind, nicht geheilt werden. Bestehende Medikamente richten sich lediglich gegen die Vermehrung des Aids auslösenden HI-Virus (HIV) und können die Krankheit bestenfalls in Schach halten. Dass HIV längst nicht nur ein Problem von Entwicklungsländern ist, zeigten erst jüngst die neuesten Zahlen des Robert-Koch-Instituts (RKI). Demnach ist die Zahl der HIV-Neudiagnosen in Deutschland auch im Jahr 2008 wieder gestiegen. Das RKI zählte 2806 nachgewiesene Ansteckungen mit dem Erreger. "Die noch immer hohe Zahl zeigt, dass Prävention und Forschung weiterhin wichtig sind", sagte RKI-Präsident Jörg Hacker in Berlin bei der Vorstellung des Jahresberichts. (PDF-DOWNLOAD)
Warum Ansteckungsgefahr beim Sex so hoch ist
HIV zählt zu den Retroviren, bei denen die Erbinformation nicht als DNA, sondern als RNA vorliegt. Sobald das Virus in eine Wirtszelle eingedrungen ist, stellt es eine Kopie seines Erbguts her und baut diese fest in das Erbgut der Zelle ein. Auf diese Weise machen sich die Viren den Zellapparat zunutze und lassen immer neue Viren herstellen. Es waren Ulmer Wissenschaftler um Jan Münch und Frank Kirchhoff, die vor zwei Jahren genauere Übertragungsmechanismen von HIV beim Geschlechtsverkehr entdeckt hatten (2009, Cell, Vol. 131, S. 1059-1071). Leibniz-Preisträger Kirchhoff beschäftigt sich schon seit 20 Jahren mit HIV (mehr...) und konnte nun gemeinsam mit seinem Kollegen Münch nachweisen, warum sich Menschen vor allem beim Sex mit HIV infizieren. Und zwar bedient sich der Aids-Erreger offenbar bestimmten Molekülen, die sich in der Samenflüssigkeit von Männern befindet. So enthalten Spermien dünne Fäden, so genannte amyloide Fibrillen. Diese kommen in engen Kontakt mit den Empfängerzellen. Die HI-Viren nutzen diesen Übertragungsweg, indem sie sich in das Eiweißnetz der Fibrillen einlagern und bei deren Kontakt andere Zellen infizieren. Die Fibrillen sind Abbauprodukte eines Eiweißes, das in hohem Maße in den Spermien vorkommt, und sie erhöhen drastisch die Infektionsgefahr. Deshalb werden sie auch SEVI (Semen-derived Enhancer of Viral Infection) genannt.
Folgenreicher Rezept-Tausch
Ilona Hauber kennt diese Studie. Die Forscherin arbeitet seit Jahren in der Arbeitsgruppe ihres Ehemannes Joachim Hauber, Professor für Virologie am Heinrich-Pette-Institut, der als HIV-Forscher 2007 für Schlagzeilen sorgte, weil er eine molekulare Schere entwickelte, mit der sich das Erbgut des HI-Virus aus infizierten Zellen herausschneiden lässt (mehr...). Sein Ansatz zur Entwicklung einer Therapie der gefährlichen Immunschwächekrankheit AIDS bietet erstmals die Möglichkeit, den Erreger selbst zu zerstören. Im Rahmen des GO-Bio-Wettbewerbs des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) versucht Hauber nun, diesen Weg in die Praxis umzusetzen (mehr...).
Seine Frau Ilona Hauber hat nun wiederum einen Weg gefunden, das Ansteckungsrisiko zu vermindern – indem sie SEVI außer Gefecht setzt. Auf die Idee kam sie eher zufällig. Ausgangspunkt war ein Artikel über einen Wirkstoff im Grünen Tee, der Eiweißablagerungen und feinste Fibrillen in Blutgefäßen abbauen kann. Autor war der einer der führenden Hämatologen, Werner Hunstein. Der emeritierte Hochschulprofessor, der die Abteilung Hämatologie, Onkologie und Rheumatologie an der Heidelberger Medizinischen Poliklinik aufgebaut und bis 1998 geleitet hat, litt an einer schweren leukämieähnlichen Blutkrankheit (Systemische Leichtketten-Amyloidose) und heilte sich mit dem Wirkstoff aus Grünem Tee im Selbstversuch. „Ich habe Hunstein sofort angemailt, wollte allerdings eigentlich nur wissen, wie er seinen Tee zubereitet“, erzählt Ilona Hauber.
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Tee trinken reicht nicht
Grüner Tee enthält den Wirkstoff EpiGalloCatechinGallat (EGCG), der die Bildung von Fibrillen nicht nur verhindert, sondern auch bestehende Fibrillen abbaut. Eine Wirkung, die nicht nur bei verschiedenen Formen der Amyloidose erforscht wird, sondern auch bei der Behandlung von Krankheiten wie Parkinson und Alzheimer. Hunstein selbst wiederum kam nämlich über einen Vortrag von Erich Wanker vom Max-Delbrück-Centrum für molekulare Medizin (MDC) auf den Grünen Tee, der über Untersuchungen mit dem Inhaltsstoff EGCG zur Verminderung der Amyloid-Ablagerungen bei der neurodegenerativen Erkrankung Huntington berichtete (2006, Human Molecular Genetics, Vol. 15, S. 2743-2751).
Auf die Idee, das Mittel in der HIV-Prävention einzusetzen, kam Ilona Hauber nur, indem die Ergebnisse von Hunstein und den Ulmer Forschern kombinierte. Im fachlichen Austausch reifte schließlich die Überlegung, die HIV-übertragenden Fibrillen der Spermien außer Kraft zu setzen. „Es war eigentlich nur so ein Versuch, ein Hobbyprojekt“, erinnert sich die Forscherin heute. "Wir haben den Wirkstoff in hochreiner und konzentrierter Form an Zellen in Anwesenheit von SEVI getestet. Dabei stellten wir fest, dass die Infektion von Zellen mit HIV dramatisch sank.“ EGCG baut die Fibrillen nicht nur innerhalb mehrerer Stunden ab, sondern verhindert auch ihre Bildung. Mit dem Elektronenmikroskop konnten die Forscher am Heinrich-Pette-Institut diese Prozesse verfolgen.
Hintergrund |
Das Robert-Koch-Institut informiert jedes Jahr ausführlich über den aktuellen Stand von HIV-Neuinfektionen in Deutschland. |
Hochrein und hoch konzentriert sind dann auch die Stichworte für eine mögliche Therapie – Tee trinken allein nützt nämlich wenig. Bei Amyloidose werden einige Patienten inzwischen mit konzentrierten EGCG-Präparaten in Kapseln behandelt, die bisher nur im Ausland erhältlich sind. Aus Sicht der Aidsforscher müssten auch HIV-infizierte Spermien mit einer solchen hochkonzentrierten Form in Berührung kommen, damit das Medikament hilft. „Da sind Vaginalcremes vermutlich am besten", meint Ilona Hauber. „Wir hoffen, dass sich so vielleicht verbesserte Cremes entwickeln lassen, die auch für den afrikanischen Markt als kostengünstige Prophylaxe geeignet wären.“ In Kooperation mit einem AIDS-Arzt am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf soll jetzt geklärt werden, ob das EGCG noch andere Auswirkungen auf die Spermien hat - und wie man es am besten einsetzt.