Überlebenskünstler Bärtierchen

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Das Bärtierchen kann in seiner Überdauerungsform als Tönnchen sogar im All überleben, wie der Stuttgarter Forscher Ralph Schill herausgefunden hat. Quelle: Schill/Universität Stuttgart

05.03.2009  - 

Kein Tier würde das überstehen: Monate ohne Wasser, dreißig Grad minus oder ein Weltraumspaziergang ohne Schutzanzug. Bärtierchen dagegen scheint das nichts auszumachen. Die mikroskopisch kleinen Wirbellosen, die mit mehr als 900 Arten überall auf der Welt vorkommen, wo es feucht ist, faszinieren die Wissenschaft. Im Verbundprojekt FUNCRYPTA untersuchen mehrere Forscherteams, mit welchen Tricks sich der Stamm der Tardigraden gegen die extremen Bedingungen wappnen. Solche Kenntnisse könnten zur Verbesserung von Biobanken führen. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung unterstützt die Suche nach den Geheimnissen der Bärtierchen mit 1,5 Millionen Euro.


Im Jahr 1772 fand der Pastor Johann August Ephraim Goeze in Wasserproben aus den Gräben und Tümpeln seiner Heimatstadt Quedlinburg ein kleines "Würmchen", das er unter seinem neu gekauften Mikroskop untersuchte. "Seltsam ist dieses Thierchen", beschrieb er seine Entdeckung, "weil der ganze Bau seines Körpers außerordentlich und seltsam ist, und weil es in seiner äußerlichen Gestalt, dem ersten Anblicke nach, die größte Ähnlichkeit mit einem Bäre im Kleinen hat. Dies hat mich auch bewogen, ihm den Namen des  kleinen Wasserbärs  zu geben."

FUNCRYPTA
Auf der Website des weltweit größten Tardigradenprojekts ist mehr über die Bärtierchen und ihre Erforschung zu erfahren.
www.funcrypta.de

Extreme Trockenheit und Kälte
Mehr als zweihundert Jahre später vermag es das Bärtierchen nach wie vor, seine Erforscher zum Staunen zu bringen. Ralph Schill kann das bestätigen. Der Zoologe des Biologischen Instituts der Universität Stuttgart untersucht seit zwei Jahren in dem Verbund, wie Bärtierchen es schaffen, extreme Trockenheit und Kälte zu überleben. Mit insgesamt 1,5 Millionen Euro unterstützt das BMBF die  „Funktionelle Analyse dynamischer Prozesse in cryptobiotischen Tardigraden“ (FUNCRYPTA), das weltweit größte Forschungsprojekt über Bärtierchen (Tardigrada), an dem neben dem Biologischen Institut der Universität Stuttgart auch Forscherkollegen der Universität Würzburg, dem Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) Heidelberg und der Oncoscience AG  aus Wedel beteiligt sind. Das Verbundprojekt ist Teil der Initiative "Quantitative Analyse zur Beschreibung dynamischer Prozesse in lebenden Systemen" (QuantPro), die Teil des Rahmenprogramms "Biotechnologie - Chancen nutzen und gestalten" ist.

Normalerweise leben Bärtierchen in feuchten Umgebungen. Dann sind sie so aktiv wie in dieser Aufnahmen. Wird es zu trocken, werden sie zur Tonne.Quelle: You Tube / adamspongB6F1

Die Forscher um Schill wollen herausfinden, was bei der Trockenstarre von Bärtierchen abläuft. Bei langen Trockenperioden verwandeln sich die Bärtierchen in eine kleine Tonne und stellen alle nachweisbaren Stoffwechselaktivitäten ein. Dieser scheinbar leblose Zustand wird als Cryptobiose bezeichnet. Innerhalb von FUNCRYPTA wollen die Wissenschaftler Gene, Enzyme und deren Stoffwechselprodukte finden, die den Bärtierchen das Eintrocken und Überleben ermöglichen. Außerdem sollen bekannte zelluläre Prozesse auf ihre Beteiligung während der Phasen untersucht werden und mathematische Modelle entwickelt werden, um die Mechanismen und den Ablauf der Cryptobiose zu verstehen.

Bärtierchen sind mikroskopisch kleine Wirbellose, die vor allem im Süßwasser, aber auch in Moosen und feuchten Böden und im Meer anzutreffen sind. Manch eine alte Mauer oder ein Ziegeldach beherbergt gleich mehrere der mehr als 900 weltweit vorkommenden Arten, die durch ihre versteckte Lebensweise und geringe Größe aber nur selten entdeckt werden. Das Besondere an Bärtierchen ist die Fähigkeit, selbst in extremen Lebensräumen zu überleben. Bärtierchen können vertrocknen oder einfrieren, ohne dabei Schaden zu nehmen.

Als Tonne alles überleben

Oliver Ullrich erforscht, was mit Zellen in der Schwerelosigkeit passiert. Dazu schwebt er auch schon mal selbst.Lightbox-Link
Quelle: Ullrich

Oliver Ullrich erforscht, was mit Zellen in der Schwerelosigkeit passiert. Dazu schwebt er auch schon mal selbst.

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Um hinter die Tricks der Bärtierchen zu kommen, hat Ralph Schill seinen Untersuchungsobjekten schon einiges abverlangt. Im September 2007 schickten Schill und sein schwedischer Kollege Ingemar Jönsson einige Bärtierchen dorthin, wo bisher noch niemand ohne aufwendige Schutzvorrichtungen überlebt hat: das All. In ihrem Tonnenzustand umkreisten die Tierchen mit der Mission Foton-M3 zehn Tage lang in einer Höhe von rund 270 Kilometern die Erde (mehr...). In dem BIOPAN-6-Modul der Europäischen Weltraumagentur ESA waren die Überlebenskünstler sogar teilweise direkt dem Weltall und seiner Strahlung ausgesetzt. Das Vakuum stellte für die meisten Bärtierchen kein Problem dar, wie die Wissenschaftler in der Zeitschrift Current Biology (2008, Ausg. 18, Nr. 17, S. 729-731) berichteten.

Bärtierchen-Journal
Seit Juli 2000 unterhält Michael Mach im Internet das Bärtierchen-Journal. Jeden Monat gibt es Neuigkeiten zu den kleinen Überlebenskünstlern. Auf der Seite finden sich zudem Bilder, Videos und weitere Informationen.
www.baertierchen.de

Zum ersten Mal haben Tiere im Weltraum überlebt

Erst als sämtliche Filter entfernt wurden und der Teilchenhagel des Weltraums sowie ultraviolette, kosmische und Gammastrahlung auf die Tiere einprasselten, gab es deutliche Verluste. Doch jedes fünfzigste Tier überlebte sogar diese Behandlung und fing nach der Rückkehr zur Erde wieder ohne Umschweife an, zu fressen und sich fortzupflanzen. „Damit haben zum ersten Mal Tiere Weltraumbedingungen überlebt“, sagt Schill. Bisher war das nur einigen Bakterien und Flechten gelungen.
In einem zweiten Versuch, den Schill zusammen mit seinem Team und Roger Worland von der British Antarctic Survey (BAS) in Cambridge durchgeführt hat, ging es um eine weitere erstaunliche Fähigkeit der Tiere. Sie überstehen nicht nur Dürren, sondern auch arktische Temperaturen. Wie widerstandsfähig die Winzlinge sind, überraschte aber selbst die Bärtierchen-Experten, wie sie in der Fachzeitschrift Journal of Experimental Biology (2009, Ausg. 212, S. 802-807) erläutern.

Die Versuchstiere gefroren erst bei minus 20 Grad Körpertemperatur - und auch dann schaden die Eiskristalle ihren Körperzellen nicht. Das Gefrieren von Zellen führt meist zu einer massiven Schädigung der Zellmembrane und Proteine. Viele Tiere können den Gefrierpunkt durch eine Einlagerung von Gefrierschutzsubstanzen hinauszögern, sterben aber dann, wenn die Temperaturen weiter fallen und gebildete Eiskristalle die Körperzellen zerstören.

Bärtierchen  der Art "Echiniscus mediantus" in verschiedenen BewegungsstadienLightbox-Link
Bärtierchen der Art "Echiniscus mediantus" in verschiedenen BewegungsstadienQuelle: Michael Mach / baertierchen.de

Auf minus dreißig Grad tiefgekühlt 
Nicht so die Bärtierchen: Sie überleben selbst vollständiges Gefrieren. Um dem Mechanismus auf  die Spur zu kommen, der hier am Werke ist, testeten die Wissenschaftler erstmals neun Bärtierchenarten aus verschiedenen Klimaregionen auf ihre Kältetoleranz. Hierzu wurden sie unter kontrollierten Bedingungen schrittweise auf -30 Grad Celsius abgekühlt und nach einer Weile wieder langsam auf Raumtemperatur gebracht. Es zeigte sich, dass bei sehr langsamen und sehr schnellen Abkühlungsraten die meisten Tiere überleben.
Dies scheint daran zu liegen, dass sich die Tiere bei sehr langsamen Abkühlungsraten auf die heran nahenden Minustemperaturen und eine mögliche Eisbildung einstellen können. Bei schnellen Abkühlungsraten dagegen entstehen meist nur kleine Eiskristalle, so dass die hohe Überlebenschance hauptsächlich auf einem physikalischen Effekt beruht. Fast alle untersuchten Bärtierchenarten gefrieren erst bei Temperaturen um -20 Grad und tolerieren die Eiskristallbildung im Körper. Dabei spielte es keine Rolle, ob die Bärtierchen aus den tropischen Regionen Afrikas, den gemäßigten Zonen Europas oder aus Alaska stammen.

Längere Konservierung in Biobanken
Wie Bärtierchen in der Lage sind, die kleine Eiszeit unbeschadet zu überstehen, ist allerdings bislang unklar und soll in weiteren Studien herausgefunden werden. Ihr Erkenntnisse,  so die Forscher, werden auch für den Menschen interessant sein. Die Dürre- und Kälteresistenz der Bärtierchen könnten in Zukunft dazu verwendet werden, biologisches Material verlustfrei über große Zeiträume zu konservieren. Das wäre für die weitere Entwicklung von Biobanken sehr nützlich, aber auch für weitere Gebiete, in denen die kurz- oder langfristige Aufbewahrung von Zellen eine Rolle spielt: das trifft auf die Zelltransplantation und die Regenerative Medizin ebenso zu wie auf den Lebensmittelbereich und die Sammlungen im Rahmen der Biodiversitätsforschung.

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