Rock'n' Roll in der Sahara
12.11.2008 -
Ingo Rechenberg staunte nicht schlecht, als eine Wüstenspinne sich bei seiner letzten Forschungsreise auf eine sehr ungewöhnliche Art aus dem Staub machte. Sie fächerte ihre Beine zu einem Rad auf und rollte von dannen. Wahrscheinlich hat Rechmann eine bisher unbekannte Spinnenart entdeckt. Doch damit hört Rechmanns Interesse an der Spinne noch lange nicht auf. Der Ingenieur der TU Berlin überlegt, wie sich das ungewöhnliche Talent der Spinne technisch verwerten lässt. Seit einem Vierteljahrhundert bereist der Bionik-Experte die Sahara, um sich von den Überlebenskünstlern dieser extremen Welt inspirieren zu lassen.
Seit 25 Jahren reist Professor Ingo Rechenberg in die Wüste. Im Süden Marokkos, nahe der algerischen Grenze, schlägt der eingefleischte Sahara-Fan sein Lager auf und beobachtet die Tiere der Wüste. "Für uns Bioniker sind extreme Landschaften deshalb interessant, weil wir dort Lebewesen finden, die sich auf eine besondere Art und Weise an schwierige Lebensbedingungen anpassen müssen", sagt er. Im Erg Chebbi bei Rissani ist der Professor aus Berlin inzwischen als Monsieur Sandfisch bekannt. Seine Beobachtungen an den schlüpfrigen Echsen, die wie durch den Dünensand zu tauchen scheinen, haben bereits für spannende Erkenntnisse für die Forschung an besonders reibungsarmen Oberflächen gesorgt.
Im November 2008 präsentierte Ingo Rechenberg, der Bionik-Experte der TU Berlin, eine Spinnenart aus der Sahara, die ihre acht Beine zu einem Rad formen und davonrollen kann.Quelle: TU Berlin
Die Sandberge hinunter rollen
Während des jüngsten sechswöchigen Forschungsaufenthaltes entdeckte er das Tier, das sich auf eine Art und Weise fortbewegt, wie man es bislang nur von der Wolfsspinne in den Dünen Floridas und der Goldenen Radspinne Carparachne aureoflava beobachtet hat, die im Südwesten Afrikas in der Namib-Wüste beheimatet ist: Sie kann rollen. Die Radspinne rollt die Sandberge hinunter, um sich vor der Schwarzen Wegwespe in Sicherheit zu bringen. Die Wespenweibchen lähmen die Spinne mit ihrem Gift, vergraben sie im Sand und legen ein Ei auf den starren Körper. Die Wespenlarve frisst die Spinne dann bei lebendigem Leib auf.
Rechenberg war die kleine weiße Spinne in der Sahara schon einmal aufgefallen. "Bereits vor vier Jahren habe ich das Tier zum ersten Mal gesehen, als ich nachts mein Wüstenlager gerade fertig aufgeschlagen hatte", sagt Rechenberg. Er fing die ihm unbekannte Spinne ein, um sie genauer zu begutachten. Doch am kommenden Morgen zeigte sich die Nachtspinne wenig kooperativ. Aber Rechenberg glaubte zu erkennen, dass die ermattete Spinne versuchte, ihre acht langen Beine zu einem Rad zu formen um davon zu rollen.
Nächtliche Sammelexpeditionen
Erst in diesem Jahr lief ihm das nachtaktive Krabbeltier wieder vor die Füße. Der Professor und sein Mitarbeiter Abdulah Regabi El Khyari glaubten ihren Augen nicht zu trauen: Die Spinne faltet ihre Beine zu einem Rad und rollt schnurstracks davon. Im Gegensatz zu ihrem südafrikanischen Vetter, der nur passiv eine Düne hinunterkullern kann, konnte das beobachtete Tier durch Beinarbeit sein Rollen beschleunigen. Ein Anruf beim Bionik-Kollegen Prof. Werner Nachtigall bestätigte Rechenbergs Vermutung. Eine rollende Spinne mit Beinantrieb in der Sahara war bislang unbekannt.
Doch in dieser Nacht nützte der Spinne ihre innovative Fortbewegung wenig. Sie rollte einem Skorpion vor den Stachel und wurde verspeist. In weiteren nächtlichen Expeditionen konnte Rechenberg aber zwei weitere Exemplare einfangen. Eines davon schwimmt nun in Alkohol eingelegt in einem Probenglas. Das zweite Tier lebt nun bei Rechenberg zu Hause.
Männchen der Gattung cebrennus
Spinnenexperte Peter Jäger am Senckenberg-Institut konnte das konservierte Exemplar als Männchen der Gattung Cebrennus zuordnen. "Ob es sich tatsächlich um eine neue Art handelt, kann man zweifelsfrei erst nach der Untersuchung eines weiblichen Tieres der gleichen Art feststellen", erläutert Rechenberg. Ob die zweite, bei ihm zuhause lebende Spinne tatsächlich weiblich ist, weiß Rechenberg noch nicht. Zumindest hat er sie optimistisch "Ariadne" getauft.
Bionik an der TU Berlin |
Auf der Webseite des Fachgebiets Bionik der Technischen Universität Berlin gibt es weitere Infromationen über die Arbeit von Ingo Rechenberg. |
Ob die Spinne also künftig als Cebrennus rechenbergii an ihren Entdecker erinnert, bleibt noch abzuwarten. Ihre Eigenschaft auf ebenem Untergrund rollen und auch laufen zu können, findet der Bionik-Experte Rechenberg aber mindestens genauso spannend. "Auf einem geeigneten Untergrund ist Rollen deutlich Energie sparender als Laufen", sagt der Ingenieur. Und hofft nun auf Inspiration für ein Vehikel, das sich sowohl laufend als auch fahrend fortbewegen kann. "So ein System zu entwickeln, wäre zum Beispiel für eine Marsmission interessant" sagt er. Bis ein solches Konstrukt tatsächlich im Marsstaub herumrollt, wird aber noch viel Zeit vergehen.
Warum das Tier vermutlich bislang unentdeckt blieb, ist für Rechenberg dagegen schnell zu erklären: "Wer rennt schon nachts um 3 Uhr mit einem Handscheinwerfer durch die Sahara?"