Schnittmuster von molekularen Scheren gezielt beeinflussen

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Wissenschaftler haben herausgefunden, wie sich das Schnittmuster von molekularen Scheren gezielter als bisher beeinflussen lässt. Quelle: Nature/ Thomas Kodakek

16.06.2008  - 

Es gibt Eiweiße, die ganz gezielt andere Eiweiße in kleine Stücke zerschneiden können. Diese Eigenschaft ist nicht immer von Vorteil, sondern führt mitunter zu Krankheiten. Immer öfter entwickeln Forscher deshalb therapeutische Strategien, um die Aktivität solcher molekularen Scheren zu hemmen. Dieser Weg hat jedoch einen Nachteil: Schneidet die Schere gar nicht mehr, dann werden womöglich auch nützliche Bruchstücke nicht mehr hergestellt. Am Beispiel von Alzheimer haben amerikanische Wissenschaftler zusammen mit Kollegen der Technischen Universität Darmstadt nun ganz überraschend herausgefunden, dass das Schnittmuster der Scheren auch gezielter als bisher zu beeinflussen ist – indem sich hemmende Substanzen nicht gegen die Schere selbst, sondern gegen das zu zerschneidende Eiweiß richten. Wie die Forscher im Fachmagazin Nature (2008, Vol. 453, S. 925-929) berichten, schaffen es kleine chemische Moleküle jedenfalls auf diese Weise, die Produktion von Alzheimer fördernden Eiweißbruchstücken zu reduzieren.

Proteasen sind ganz besonders nützliche Eiweiße: Wie eine Schere können diese Enzyme andere Eiweiße in kleine Stücke schneiden. Nicht immer ist ein solcher Prozess erwünscht, weil erst diese Stücke zu Krankheiten führen können. Das ist beispielsweise bei Alzheimer der Fall. Die molekulare Schere Gammasekretase sorgt in den Nervenzellen von Betroffenen dafür, dass das sogenannte Vorläufereiweiß (APP, Amyloid precursor protein) in kleinere Stücke unterschiedlicher Länge geschnitten wird. Von einem dieser Abfallprodukte (Abeta 42) ist bekannt, dass es sich im Gehirn zu den gefährlichen Eiweißklumpen ansammeln kann, die das typische Krankheitsbild von Alzheimer ausmachen.

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Boris Schmidt, Professor an der TU Darmstadt, war an der Studie beteiligt.Quelle: TU Darmstadt

Der Wirkung von Alzheimer-Medikamenten auf der Spur

Inzwischen haben Forscher herausgefunden, dass antientzündliche Medikamente wie Tarenflurbil offenbar die Symptome von Alzheimer abmildern können und den Anteil von Abeta 42 senken. Bislang waren die Wissenschaftler davon ausgegangen, dass diese relativ einfachen, kleinen chemischen Moleküle direkt an die Enzym-Schere binden, dessen Aktivität hemmen und dadurch weniger molekularer Abfall wie Abeta 42 entsteht. Therapeutisch werden solche Strategien bereits genutzt, beispielsweise in der Behandlung der Immunschwächekrankheit AIDS: Sogenannte Protease-Inhibitoren werden eingesetzt, um die Aktivitäten einer enzymatischen Schere zu verhindern, die bei der Vermehrung der HI-Viren eine entscheidende Rolle spielt.

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Am Beispiel von Alzheimer haben US-Wissenschaftler von der Mayo Clinic in Rochester und der Harvard Medical School in Cambridge gemeinsam mit Kollegen um Boris Schmidt von der Technischen Universität Darmstadt nun eine ganz erstaunliche Entdeckung gemacht, die die Therapieentwicklung mit Protease-Hemmern vermutlich entscheidend beeinflussen wird. Eigentlich wollte das Team ‚nur’ der Wirkungsweise von Tarenflurbil und Fenofibrat auf die Spur kommen – bislang nämlich war im Detail unklar, wie diese einfachen chemischen Moleküle die Produktion von Abeta 42 beeeinflussen. Wie die Forscher nun im Fachmagazin Nature (2008, Vol. 453, S. 925-929) berichten, hemmen die kleinen chemischen Moleküle nicht die Schere direkt, sondern binden am zu schneidenden Eiweiß APP. Eine solche Möglichkeit der Bindung war bisher nicht in Betracht gezogen worden, weil man annahm, dass Eiweiße keine Medikamenten-freundlichen Bindungstaschen aufweisen. In ihren Arbeiten konnten die Forscher aber nun genau das nachweisen: Über die Bindung an das Eiweiß verändern die Medikamente bei Alzheimer-Patienten das Schnittmuster der Schere und sorgen so für eine veränderte Freisetzung der krankheitsfördernden Eiweißbruchstücke (Abeta 42). Während Tarenflurbil die Abeta42-Produktion auf diese Weise senkt, wird sie durch Fenofibrat erhöht. 

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Neue Wege für Therapien mit weniger Nebenwirkungen

Nach Ansicht von Experten eröffnet die Entdeckung nun ganz neue Wege der Therapieentwicklung auf der Basis von Proteasen. Während bisher nur die Scheren als ganzes ins Visier genommen wurden, könnte nun weitaus zielgerichteter vorgegangen werden. So wären kleine chemische Moleküle denkbar, die ganz spezifisch auf zu schneidende Substanzen abzielen und auf diese Weise das Schnittmuster selektiver als bisher beeinflusst wird. Bisherige Protease-Hemmern haben nämlich oft einen großen Nachteil: Legen spezielle Hemmstoffe alle Aktivitäten der Schere lahm, dann treten mitunter hohe Nebenwirkungen auf. Schließlich sind Proteasen oft in viele Reaktionen miteingebunden. Können sie also gar nicht mehr schneiden, trifft das nicht nur eine gewünschte Substanz, sondern meist viele andere nützliche mit. Die neuen Erkenntnisse können solche Nachteil jetzt womöglich verhindern helfen, weil jetzt die Möglichkeit besteht, das Schnittmuster der molekularen Scheren gezielter zu beeinflussen.

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