Rückschlag bei klinischer Studie für TeGenero

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Britische Medien wie hier die BBC berichteten über die fehlgeschlagene klinische Studie von TeGenero.

16.03.2006  - 

Herber Rückschlag für die TeGenero ImmunoTherapeutics AG in Würzburg: Ihr fortgschrittenster Wirkstoffkandidat zur Behandlung von Erkrankungen des Immunsystems scheint beim Menschen starke Nebenwirkungen auszulösen. Wie britische Medien - darunter die Zeitung The Guardian und der Sender BBC berichten - mussten sechs gesunde Männer in London nach der Einnahme des Wirkstoffs auf die Intensivstation verlegt werden. Sie hatten an einer ersten klinischen Studie von TeGeneros Wirkstoff TGN 1412 teilgenommen. Dabei handelt es sich um einen monoklonalen Antikörper zur Behandlung von Rheumatoider Arthritis und Leukämie.

TGN 1412 ist der einzige fortgeschrittene Wirkstoffkandidat des Unternehmens, das im Jahr 2000 vom Immunologen Thomas Hünig gemeinsam mit Thomas Hanke aus der Universität Würzburg heraus gegründet wurde. Als monoklonaler Antikörper aktiviert der Wirkstoff spezielle Aufpasser-Zellen der Immunabwehr (regulatorische T-Zellen) und soll auf diese Weise zur Behandlung von Krankheiten eingesetzt werden, die durch eine fehlgeleitete Immunabwehr entstehen – beispielsweise Rheumatoide Arthritis, Multiple Sklerose oder Leukämie. Wie die Forscher in Laborversuchen und an Tierversuchen festgestellt haben, erhöht TGN 1412 diese regulatorischen T-Zellen um ein Vielfaches, steigert ihre Aktivität und hält dadurch fehlgeleitete Immunreaktionen in Schach, die durch autoreaktive T-Lymphozyten ausgelöst werden. Darüber berichteten die Wissenschaftler im August 2005 unter anderem im Fachmagazin The Journal of Experimental Medicine (2005, Vol. 202, S. 445-455) In diesen präklinischen Studien habe sich TGN 1412 als wirksam und vor allem sicher erwiesen, wird Thomas Hanke, Wissenschaftlicher Leiter von TeGenero, in einer Stellungnahme auf der Website der deutschen Biotech-Firma zitiert. Die britische Arzneimittelaufsichtsbehörde (MHRA) sah das ähnlich und hatte die Erlaubnis für eine Phase-I-Studie am Menschen erteilt. Es habe keine Auffälligkeiten in den Tierversuchen gegeben, heißt es in der Online-Ausgabe der britischen Zeitung The Guardian.

Sechs Studienteilnehmer auf Intensivstation

Wie mehrere britische Medien berichten, rief jedoch bereits der erste Einsatz des Wirkstoffs am Londoner Northwick Park Hospital am Dienstagabend so heftige Nebenwirkungen hervor, dass sechs freiwillige, gesunde Studienteilnehmer auf der Intensivstation des Krankenhauses behandelt werden mussten. Zwei würden sich demnach noch immer in einer sehr kritischen Lage befinden. „Solche schweren Reaktionen auf neue Wirkstoffe treten sehr selten auf und das ist eine unglückliche und unübliche Situation“, sagte Herman Scholtz, Leiter der Abteilung Klinische Pharmakologie von Parexel International, gegenüber The Guardian. Die US-Firma hat im Auftrag von TeGenero die Studie in einer eigenen Abteilung des Londoner Northwick Park Hospials durchgeführt. Insgesamt acht kerngesunde Freiwillige zwischen 18 und 40 Jahren hatten sich am Test beteiligt. Medienberichten zufolge bekamen sie etwa 2900 Euro für die Teilnahme. Während zwei von ihnen - unwissentlich - Placebos bekommen haben, erhielten die anderen den TeGenero-Wirkstoff. Nach Aussage von Ganesh Suntharalingam, Direktor der Intensivstation, hat TGN 1412 bei diesen sechs Testpatienten eine starke Immunantwort hervorgerufen, die einige Organe angegriffen hat. Wie Angehörige in britischen Medien berichten, seien bei einem Probanden Kopf und Hals um das Dreifache angeschwollen. „Diese Ereignisse kommen sehr unerwartet und spiegeln nicht die Ergebnisse unserer Labortests wieder“, wird TeGenero-Geschäftsführerin Benedikte Hatz auf der Firmenwebsite zitiert. Die Firma entschuldigte sich bereits den Studienteilnehmern und ihren Familien.

Nach Abbruch der Studie ermittelt Polizei

Aufgrund der Vorfälle hat die MHRA zunächst den Abbruch der klinischen Studie verfügt. Jetzt soll herausgefunden werden, wodurch die starken Reaktionen hervorgerufen wurden. Dafür müssen die präklinischen Ergebnisse nochmals genau studiert werden. Es könnte aber auch Probleme bei der Herstellung oder eine Kontaminierung des Medikaments gegeben haben. Denkbar ist auch, dass die Nebenwirkungen völlig unvorhersehbar waren, weil sie nur beim Menschen auftreten und daher nicht in Tierversuchen erkannt werden können.

Gleichzeitig wurden Ermittlungen der Polizei angeordnet, ob eventuell menschliches Versagen für die starken Reaktionen verantwortlich war. Parexel wies alle Vorwürfe von sich, dass die Nebenwirkungen aufgrund falscher Dosierungen hervorgerufen wurden. Man habe alle Anordnungen korrekt befolgt, so das Unternehmen. Die MHRA hat zudem die Aufsichtsbehörden aller anderen europäischen Länder alarmiert, in denen ähnliche Tests laufen könnten.




Hintergrund klinische Studien:

Bevor ein neues innovatives Medikament für den Markt und für die Anwendung beim Menschen zugelassen wird, muss es mehrere Phase der Prüfung durchlaufen. In der Forschungsphase werden Wirkungstests im Labor, vereinzelt im Tierversuch durchgeführt. In der präklinischen Phase finden Versuche zur Wirksamkeit und Unbedenklichkeit mit den letzten 10 bis 20 Substanzen auch in Tierversuchen statt. In der ersten klinischen Phase (Phase I) wird die generelle Verträglichkeit an gesunden Menschen getestet. In der zweiten (Phase II) wird der Wirkstoff an eine kleine Patientengruppe verabreicht, die an der Krankheit leidet, gegen die das künftige Medikament helfen soll. In der dritten und letzten Phase (Phase III) soll der Wirkstoff schließlich seine Wirksamkeit an einer großen Patientenzahl beweisen. Ganz zum Schluss wird die Zulassung beantragt. Soll das Medikament in Europa eingesetzt werden, muss dies bei der  EMEA geschehen. Für die Zulassung im amerikanischen Markt ist die FDA zuständig. 

Tabelle 1: Erfolgsraten von Biopharmazeutika in klinischen Studien

Phase IPhase IIPhase IIIZulassungGesamt
Dauer in Jahren11,52,51,56,5
Erfolgsrate74%61%87%90%18%

Quelle: Arthur D. Little, Stand 2005

Hintergrund monoklonale Antikörper:

Innerhalb des biopharmazeutischen Marktes nehmen Wirkstoffe auf der Basis von monoklonalen Antikörpern nach den Impfstoffen den größten Anteil ein. Nach einer Analyse des Verbandes der französischen Arnzeimittelhersteller LEEM waren im Jahr 2004 weltweit 78 monoklonale Antikörper in den klinischen Entwicklungsphasen, im Gegensatz zu 90 Impfstoffen und 23 rekombinanten Proteinen.

Tabelle 2: Monoklonale Antikörper in der Entwicklung 

Phase IPhase IIPhase IIIZulassung
Anzahl monoklonaler Antikörper1544181

Quelle: Arthur D. Little, LEEM (2005, Zahlen von 2004)