Bioanalytik: Zweite Chance für Krebsarzneien

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Mehr als 180 Experten aus Wissenschaft und Wirtschaft kamen zu den Potsdam Days on Bioanalysis 2011. Quelle: Christoph Hedrich

16.11.2011  - 

Nicht alle Medikamente wirken bei allen Patienten gleich gut. Um diejenigen Patienten zu finden, die auf eine Arznei wahrscheinlich besonders gut ansprechen verlassen sich die Pharmafirmen zunehmend auf therapiebegleitende Diagnostika. Gerade kleine, spezialisierte Biotech-Unternehmen bieten häufig passgenaue Lösungen an. Auf den Potsdamer Biotechnologie-Tagen stellten Unternehmen aus der Hauptstadtregion ihre Ideen und Produkte vor: Von virtuellen klinischen Tests bis zur Krebsangel reichen inzwischen die Werkzeuge der Bioanalytik-Spezialisten.

Bioanalytik ist ein Milliardenmarkt. „Allein im Geschäft mit Biosensoren wurden im vergangenen Jahr 13 Milliarden US-Dollar umgesetzt“, berichtete Anthony Turner, der Leiter des Zentrums Biosensoren und Bioelektronik an der schwedischen Universität IFM-Linköping auf den „Potsdam Days on Bioanalysis 2011“. Am 9. und 10. November fanden rund 180 Experten den Weg in die brandenburgische Landeshauptstadt. In der Hauptstadtregion Berlin-Brandenburg hat sich in den vergangenen Jahren ein dichtes Netzwerk vor allem kleiner Bioanalytik-Unternehmen gebildet. Mit den Bioanalytik-Tagen boten das Zentrum für Molekulare Diagnostik und Bioanalytik (ZMDB) und das Fraunhofer-Institut für Biomedizinische Technik (IBMT) nun den Wissenschaftlern und Unternehmen in der Region eine Bühne, um ihre Forschungsergebnisse und Produkte zu präsentieren.

Die Geburtsstunde der modernen Bioanalytik liegt im Jahr 1941. Damals kamen Tabletten auf den Markt, die eine Urinprobe verfärbten, sobald sie Zucker enthielt. Damit wurde der Test auf die Zuckerkrankheit Diabetes revolutioniert. Ein Gemisch aus zwei Enzymen setzte in Anwesenheit von Zucker eine zunächst farblose Chemikalie in einen kräftig grünen Farbstoff um. Bis heute nutzen die Urin-Teststreifen diese Glukoseoxidase-Peroxidase-Methode – und nach wie vor ist Diabetes das wichtigste Einsatzgebiet für die Biosensoren, auch wenn sich die Messtechnik inzwischen weiter verfeinert hat. „Produkte für die Glukosemessung machen noch immer ungefähr 80 Prozent des Biosensor-Marktes aus“, sagte Turner in Potsdam. Inzwischen kommt jedoch Bewegung in das Feld. Vor allem therapiebegleitende Diagnostika, sogenannte Companion Diagnostics, spielen hierbei eine Rolle, glaubt der schwedische Wissenschaftler Turner: „Die Integration von Diagnostik und Therapie bietet ganz neue Möglichkeiten der Forschungsförderung.“ Viele der modernen Krebsmedikamente setzen bereits heute zwingend einen molekularen Test voraus. Der Grund: Sie wirken nicht bei allen Krebsarten gleich gut, so dass mit dem Companion Diagnostic diejenigen Patienten identifiziert werden, denen eine Behandlung am ehesten helfen kann. Menschen, denen die Arznei ohnehin nicht helfen würde, bleibt so die zehrende Therapie erspart.

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Virtuelle klinische Studien geben Krebsmedikamenten eine zweite Chance

Dass dabei auch die Unternehmen aus der Hauptstadtregion eine wichtige Rolle spielen können, zeigte sich im weiteren Verlauf des 3. Potsdamer Kolloquiums zur Bioanalytik, das im Rahmen der Potsdam Days on Bioanalysis veranstaltet wurde. Erst seit September 2011 bietet die Alacris Theranostics GmbH ihre Dienste an. In Potsdam berichtete Geschäftsführer Bodo Lange wie er mithilfe von computergenerierten Tumormodellen die Wirkstoffauswahl für Krebsmedikamente maßschneidern will. Dafür soll das auch vom Mutterunternehmen Alacris Pharmaceuticals genutzte Programm ModCell zum Einsatz kommen. Mit zusätzlichen Genom- und Transkriptomdaten soll aus dem Universalmodell eine patientenspezifische Tumorsimulation entstehen. „Damit lässt sich die Suche nach Biomarkern beschleunigen“, sagte Lange. Durch „virtuelle“ klinische Studien erhielten auch gescheiterte Medikamente eine zweite Chance, wird auf diese Weise doch die Suche nach Patientenuntergruppen möglich, bei denen die Arznei doch angeschlagen hat. Das Konzept scheint andere Biotech-Unternehmen zu überzeugen. Mit Qiagen hat sich die größte deutsche Biotech-Schmiede einen Minderheitsanteil an Alacris gesichert (mehr...).

Hintergrund

In der Hauptstadregion hat sich eine vitale Bioanalytikszene etabliert. Das Zentrum für molekulare Diagnostik und Bioanalytik spielt eine wichtige koordinierende Rolle.

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Die Potsdamer Gilupi GmbH konzentriert sich mit ihren Produkten ebenfalls auf die Krebsdiagnostik. „Metastasen können aus Zellen mit ganz anderen Eigenschaften bestehen, als die eigentlichen Primärtumore“, berichtet der Geschäftsführer Nils Morgenthaler. Für eine wirklich umfassende Biomarkeranalyse müssten daher nicht nur die Haupttumore sondern auch die im Blut zirkulierenden Tumorzellen (CTC) analysiert werden, die möglicherweise später die Metastasen verursachen – sozusagen als flüssige Biopsie. Dafür hat das Unternehmen eine eigene Nachweismethode entwickelt, mit der nach den CTCs regelrecht geangelt werden kann. Der Sensor ähnelt auf dem ersten Blick einer normalen Injektionsnadel. Nur bei genauem Hinsehen sind die abgerundete Spitze und die Goldbeschichtung erkennbar. Dort, wo der Metalldraht mit Gold beschichtet ist, befindet sich zusätzlich ein funktionelles Polymer, das spezifisch die Tumorzellen binden kann. „Mit dem Nanodetektor können wir die CTCs in allen Stadien der Krebserkrankung nachweisen“, sagte Morgenthaler mit Verweis auf die durchgeführten klinischen Studien.

Das Labor für die Westentasche

In Potsdam präsentierten jedoch nicht nur Unternehmen ihre neuesten Entwicklungen. Gemeinsam mit dem Kolloquium fand auch das 2. Statusseminar der Forschungsplattform Taschentuchlabor statt. Insgesamt 14 akademische und industrielle Partner aus Berlin und Brandenburg, haben sich 2009 zusammengeschlossen, um die nächste Generation der Diagnostik zu entwickeln: eine molekular integrierte Analyse, die sich in einen Zwirnfaden einspinnen und in Textilien oder Hygienetüchern verarbeiten lassen soll – eben ein Taschentuchlabor. Das Ziel: Krankheitserreger sollen sofort und ohne komplizierte Aufreinigung detektiert werden können. So sollen biochemische Bindungsreaktionen ohne Umwege sichtbar und für die Diagnostik nutzbar gemacht werden. Viele der dafür notwendigen Techniken haben die Forscher bereits im Griff, etwa zum Erkennen einzelner Keime oder zur Umwandlung der auf Molekülebene ablaufenden Prozesse in ein mit dem bloßen Auge zu erkennendes Signal.

Hintergrund

Im Projekt "Das Taschentuchlabor" arbeiten 14 akademische und industrielle Partner aus der Hauptstadtregon zusammen, um ein integriertes Analyseverfahren zu entwickeln, dass sich in Textilien verarbeiten lassen soll. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung fördert das Projekt seit 2009.

 

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„Der nächste Schritt ist das Zusammenführen all dieser Bausteine in ein funktionierendes Ganzes“, sagte Carsten Teller vom Fraunhofer IBMT. Er arbeitet mit daran, die Vision Wirklichkeit werden zu lassen. Dafür wollen die Forscher die einzelnen benötigten Elemente in einem Hydrogel-Polymer-Netzwerk zusammenbringen. Die Keimerkennung könnte – ähnlich wie bei Antikörpern – über die Detektion bestimmter Proteinabschnitte laufen. Denkbar wäre aber auch, stattdessen nach speziellen Zuckerstrukturen, den Glycanmustern, zu suchen. Werden dann tatsächlich Krankheitserreger gefunden, muss eine Signalkaskade in Gang gesetzt werden, an deren Ende mit bloßem Auge zu erkennen ist, dass die Probe keimbelastet ist. Auch hier könnte das Hydrogel-Polymer-Netzwerk wertvolle Hilfe leisten. „Zunächst liegen die Polymere in dem Gel gelöst vor“, erklärt Teller. „Wenn ein Keim gebunden wird, fällt das Polymer in sich zusammen.“ Diesen Mechanismus könnte man sich zu Nutze machen, um die Signale so weit zu verstärken, dass sie einfach zu erkennen sind, hoffen die Forscher.

Am Ende der Veranstaltung zogen die Veranstalter ein positives Fazit. "Die 180 Teilnehmer aus dem In- und Ausland belegen, dass es eine gute Entscheidung war, das Potsdamer Bioanalytik Kolloquium und das Statusseminar der Forschungsplattform Taschentuchlabor zu den Potsdam Days on Bioanalysis zusammenzufassen“, sagte Frank Bier, der Leiter des Fraunhofer IBMT in Potsdam. Christine Mißler, Projektmanagerin im ZMDB kündigte an, die beiden Veranstaltungen auch künftig gemeinsam durchzuführen: Wir sind zuversichtlich, dass die Potsdam Days on Bioanalysis auch im nächsten Jahr wieder die Plattform für den internationalen Austausch zwischen Wissenschaft und Wirtschaft in der Hauptstadtregion sein werden.“

© biotechnologie.de/bk

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