Bundesverfassungsgericht bestätigt Gentechnikgesetz

Bauern, die gentechnisch veränderte Nutzpflanzen wie die Maissorte MON810 anbauen, müssen auch weiterhin umfangreich haften, falls es zu Vermischungen mit angrenzenden Feldern kommt. Das hat das Bundesverfassungsgericht bestätigt. <ic:message key='Bild vergrößern' />
Bauern, die gentechnisch veränderte Nutzpflanzen anbauen, müssen auch weiterhin umfangreich haften, falls es zu Vermischungen mit angrenzenden Feldern kommt. Das hat das Bundesverfassungsgericht bestätigt. Quelle: pixelio/Rolf van Melis

24.11.2010  - 

Nichts Neues auf deutschen Äckern: Der Anbau gentechnisch veränderter (gv) Pflanzen bleibt weiterhin stark eingeschränkt. Das Bundesverfassungsgericht hat am 24. November wesentliche Bestimmungen des Gentechnikgesetzes für verfassungsgemäß erklärt. Die Karlsruher Richter haben damit eine Normenkontrollklage des Landes Sachsen-Anhalt abgewiesen. Sowohl das umstrittene Standortregister als auch die Haftungsregelungen sind laut Verfassungsgericht mit dem Grundgesetz vereinbar. Während die Umweltorganisationen das Urteil begrüßten, bedauerten die Industrieverbände die Entscheidung und meldeten Änderungsbedarf an. Das Gentechnikgesetz soll noch in diesem Jahr auf der Basis des Karlsruher Urteils erneuert werden.

Das Gentechnikgesetz war 2004 von der rot-grünen Bundesregierung beschlossen worden. Durch strenge Regelungen sollten Landwirte mit konventionellen Anbaumethoden vor Verunreinigungen mit gv-Material aus Nachbarfeldern geschützt werden. Bereits 2005 hatte das Land Sachsen-Anhalt gegen das Gesetz geklagt. Nach der Einschätzung der Landesregierung waren besonders die Vorschriften zur Haftung und zum Standortregister verfassungswidrig, da damit der Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen behindert werde (mehr...).

Nun hat das Bundesverfassungsgericht die Normenkontrollklage abgewiesen und die bestehenden Vorschriften im Gentechnikgesetz bestätigt.

Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts (v.l.n.r.): Michael Eichberger, Reinhard Gaier, Christine Hohmann-Dennhardt, Ferdinand Kirchhof, Wilhelm Schluckebier, Brun-Otto Bryde, Johannes Masing und Andreas L. PaulusLightbox-Link
Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts (v.l.n.r.): Michael Eichberger, Reinhard Gaier, Christine Hohmann-Dennhardt, Ferdinand Kirchhof, Wilhelm Schluckebier, Brun-Otto Bryde, Johannes Masing und Andreas L. PaulusQuelle: BVerfG
In ihrer Begründung verwiesen die Karlsruher Richter "auf die besondere Sorgfaltspflicht des Gesetzgebers angesichts des noch nicht endgültig geklärten Erkenntnisstandes der Wissenschaft bei der Beurteilung der langfristigen Folgen eines Einsatzes von Gentechnik". Die Folgen des Einsatzes der Gentechnik ließen sich - wenn überhaupt - nur schwer rückgängig machen. "Die Ausbreitung einmal in die Umwelt ausgebrachten gentechnisch veränderten Materials ist nur schwer oder auch gar nicht begrenzbar", erklärten die Richter. Auch in der Wissenschaft sei noch nicht endgültig geklärt, wie die langfristigen Folgen eines Gentechnik-Einsatzes zu beurteilen seien. Im geltenden Gentechnikgesetz habe der Gesetzgeber die Interessen der Nutzung und der Regulierung der Gentechnik in einen ausgewogenen Ausgleich gebracht.

Ablehnende Haltung bei gv-Lebensmitteln

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts fällt in eine Zeit, in der die Bevölkerung in allen EU-Ländern gegenüber gentechnisch veränderten Lebensmitteln überwiegend negativ eingestellt ist. Das verraten Ergebnisse der aktuellen Eurobarometer-Umfrage, die im Auftrag der EU-Kommission durchgeführt wurde. Demnach ist der Anteil der Befragten Deutschen, die die Entwicklung gentechnisch veränderte Lebensmittel ablehnen, mit 72 Prozent deutlich höher als der europäische Durchschnitt. Dabei ist der Anbau von gv-Pflanzen in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern sehr gering, weltweit gibt es 134 Millionen Hektar mit gv-Pflanzen (mehr...). Hierzulande sind derzeit nur gentechnisch veränderte Kartoffeln der Sorte Amflora erlaubt, die eine bestimmte Stärkeform für die Industrie produziert und nicht für den Verzehr gedacht ist (mehr...). 2009 wurde der Anbau der in der EU ebenfalls zugelassenen Maissorte MON 810 von Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner untersagt (mehr...). Amflora wurde in diesem Jahr allerdings nur auf einer kleinen Fläche von 15 Hektar in Mecklenburg-Vorpommern gepflanzt und selbst dort musste der Landwirt die Kartoffeln nach der Ernte zunächst einmal einlagern, weil im September auf Amflora-Äckern in Schweden eine andere gentechnisch veränderte Kartoffelsorte aufgetaucht war (mehr....).  

Hohes Risiko für gv-Pflanzenanbauer

Mit dem Karlsruher Urteil ändert sich für die Landwirte, die gv-Saatgut ausbringen, in Zukunft eigentlich nichts: Sie haften weiterhin in vollem Umfang für auftretende Schäden. Selbst wenn alle gesetzlichen Regelungen eingehalten werden, müssen die Bauern unter Umständen zahlen: Findet sich in einem konkreten Fall kein Verursacher, werden alle Landwirte zur Kasse gebeten, die in der Umgebung gentechnisch veränderte Pflanzen anbauen. Der Kritik des Landes Sachsen-Anhalt, dass dies unzulässig in die Berufsfreiheit der Bauern eingreife, folgte das Gericht nicht. Die Verfassungshüter halten auch das bundesweiten Standortregister für rechtlich zulässig. Der sachsen-anhaltinische Kläger hatte moniert, das Register würde das Recht auf informationelle Selbstbestimmung verletzen und „politisch motivierte Feldzerstörungen“ begünstigen.

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In der Urteilsbegründung verwarfen die Richter diese Argumentation und verwiesen auf den Schutz des Gemeinwohls vor den Gefahren der Gentechnik. Durch die Veränderung des Erbguts werde nämlich „in die elementaren Strukturen des Lebens“ eingegriffen. Auch wenn das Urteil aus Karlsruhe zunächst einmal Rechts- und Planungssicherheit für den Umgang mit grüner Gentechnik in der Landwirtschaft schafft, bleibt der Anbau von gv-Pflanzen  für innovationsfreundliche Landwirte ein Vabanquespiel. Durch die Gefährdungshaftung können sie selbst dann in Regress genommen werden, wenn sie alle gesetzlichen Auflagen erfüllen. Und auf diesem Risiko werden sie wohl sitzenbleiben, bislang ist kein Versicherer in der Lage, entsprechende Policen anzubieten.

Gentechnikgesetz soll novelliert werden

Positive Resonanz auf das Urteil gab es aus der Politik: Das Bundeslandwirtschaftsministerium begrüßte die Entscheidung und sieht den Kurs der Bundesregierung bestätigt. Staatssekretär Robert Kloos sagte: „ Das deutsche Gentechnikgesetz soll den Schutz von Mensch und Umwelt gewährleisten und dabei verantwortbare Gentechnik ermöglichen“. Das Urteil schaffe Rechts- und Planungssicherheit. Dennoch bleibt das Ministerium bei seinen Plänen, das Gentechnikgesetz noch in diesem Jahr zu erneuern. Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner will den Bundesländern mehr Spielraum dafür einräumen, eigene Regeln für den Anbau von gv-Pflanzen festlegen zu können. Sie sollen beispielsweise von den bundesweit geltenden Abstandsregeln abweichen können. Aigner hatte angekündigt, vor der Vorlage eines konkreten Gesetzentwurfes  zunächst das heutige Urteil des Verfassungsgerichtes abwarten zu wollen. "Die Biotechnologie ist eine wichtige Zukunftsbranche für Forschung, Wirtschaft und Landwirtschaft. Deshalb müssen gleichzeitig Möglichkeiten eröffnet werden, verantwortbare Chancen, die in der Anwendung liegen können, wirtschaftlich zu nutzen. Die Bundesregierung hat sich im Koalitionsvertrag verpflichtet, auf der Basis des bestehenden Gentechnikgesetzes die Regelungen zur Grünen Gentechnik weiterzuentwickeln. Das werden wir auch tun", so Kloos.

Gentechnikgesetz

Das Gentechnikgesetz in seiner 2004 verabschiedeten Form: hier klicken

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts im Wortlaut: hier klicken

Das  Urteil in der Pressemeldung des BVerfG: hier klicken

Die Umweltorganisationen begrüßten das Urteil durchweg: Für BUND-Gentechnikexpertin Heike Moldenhauer ist der Richterspruch "eine Abmahnung für die Befürworter einer genmanipulierten Landwirtschaft". Das Verfassungsgericht habe deutlich gesehen, dass der Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen die Existenz konventionell und ökologisch wirtschaftender Landwirte gefährde. Für NABU-Präsident Olaf Tschimpke ist das Urteil ein Sieg für den Schutz von Mensch und Umwelt. „Doch nun müssen den Worten auch Taten folgen und eine industrieunabhängige, ökologische Risikoforschung für einen besseren Schutz von Natur und Umwelt gefördert werden", sagte er. Für Stephanie Töwe von Greenpeace bestätigt das Urteil, dass Gefahren und Risiken bei der Aussaat von "Gen-Pflanzen" bestehen. Mit ihrer Klage habe sich die Landesregierung von Sachsen-Anhalt auf Kosten des Steuerzahlers zum Handlanger der Gentechnik-Industrie gemacht.

Industrie: Gesetzgeber nimmt Feldzerstörung in Kauf

Industrievertreter wiederum zeigten sich enttäuscht vom Urteil des Verfassungsgerichts. Die Deutsche Industrievereinigung Biotechnologie (DIB) bedauerte die Entscheidung und drängte auf Änderungen. „Die Tatsache, dass das Gentechnikgesetz verfassungskonform ist, schließt Nachbesserungen durch den Gesetzgeber nicht automatisch aus. Das Gentechnikgesetz beeinträchtigt in seiner jetzigen Form notwendige Innovationen in der Pflanzenbiotechnologie für die Landwirtschaft.“, sagte der DIB-Vorsitzende Stefan Marcinowski. Hinzu komme, dass der Gesetzgeber mit dem Standortregister die Zerstörung von Eigentum deutscher Landwirte und Forscher billigend in Kaufe nehme. Der Verband BIO Deutschland bemängelt die nun zementierte Gesetzeslage ebenfalls: Er fürchtet, dass unpraktikable und unklare Vorgaben Deutschland im Wettkampf um die Weltspitze noch weiter zurückfallen lassen könnten. Die Zukunft malt der Verband in düsteren Farben: „Wenn die derzeitige Einstellung zur Gentechnik nicht wesentlich verändert wird, kann sich Deutschland von einem eigenen Beitrag in der weltweiten Entwicklung der Pflanzentechnologie verabschieden.“

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