Multiresistente Sorgenkeime im Visier der Forscher

Zu den in Indien aufgetauchten Keimen mit vielfacher Antibiotika-Resistenz gehören gram-negative Darmbakterien. In Deutschland sind die gefürchteten Keime extrem selten.  <ic:message key='Bild vergrößern' />
Zu den in Indien aufgetauchten Keimen mit vielfacher Antibiotika-Resistenz gehören gram-negative Darmbakterien. In Deutschland sind diese gefürchteten Mikroben noch extrem selten.

19.08.2010  - 

In Indien sind Mikroben aufgetaucht, die gegen nahezu alle Antibiotika Resistenzen entwickelt haben. Dazu hat ein britisches Forscherteam im Fachblatt Lancet Infectious Diseases (11. August 2010, Online-Veröffentlichung) eine besorgniserregende Studie veröffentlicht. Demnach sorgt ein Resistenz-Gen namens NDM-1 bei zwei Darmbakterienarten dafür, dass selbst die schlagkräftigsten Antibiotika nichts mehr gegen eine Infektion ausrichten können. Zudem hat das Gen das Potenzial, sich schnell auf andere Bakterienpopulationen zu übertragen. Deutsche Experten warnen allerdings vor Panikmache. Unterdessen suchen Forscher nach Alternativen, mit denen sich den resistenten Keimen dennoch der Garaus machen lässt.

Das Kürzel NDM-1 steht für „Neu-Delhi-Metallo-Beta-Lactamase“. Es handelt sich um ein Enzym, mit dem Bakterien Antibiotika aus der Klasse der Carbapenemen unschädlich machen können. Carbapeneme gehören zu den sogenannten Reserveantibiotika, sie kommen bei besonders schwerwiegenden Infektionen als letzte Wahl zum Einsatz. Daneben kann das NDM-1 Enzym auch fast alle anderen gängigen Antibiotika inaktivieren. Die Folge: Bakterien mit NDM-1 zeigen gefürchtete Multi-Resistenzen, nahezu alle Antibiotika-Präparate können nichts gegen die Keime ausrichten. Bislang ist NDM-1 in zwei Mikrobenarten aufgetaucht: Klebsiella pneumoniae und Escherichia coli. Beide Mikroben sind eigentlich harmlose Bewohner des Darms. Unter bestimmten Umständen können sie jedoch Krankheiten auslösen. Zum Beispiel ist E.coli häufig Auslöser von Harnwegsinfekten, Klebsiellen können zu Lungenentzündungen führen.

Resistente gram-negative Bakterien auf dem Vormarsch

Beide Keime gehören zur Klasse der sogenannten gram-negativen Bakterien. Mikrobiologen beobachten mit Sorge, dass gerade Vertreter aus dieser Bakteriengruppe zunehmend Resistenzen gegen die gängigen Antibiotika-Therapien entwickeln. Das Auftauchen von NDM-1 ist das jüngste Anzeichen für diesen Trend. Doch was die Mediziner besonders besorgt: NDM-1 hat das „alarmierende Potenzial“, sich auszubreiten und so verschiedene Bakterienarten zu einer Multi-Resistenz zu verhelfen. Denn das NDM-1-Gen ist nicht im Erbgut der Mikroben verankert, sondern sitzt auf Plasmiden, kleinen DNA-Ringen, die die Bakterien untereinander austauschen können. In der Regel übernehmen Keime solche Resistenzen nicht, denn sie bieten ihnen keinen Vorteil. Nur wenn Bakterien häufig Antibiotika ausgesetzt sind, verschaffen ihnen die Gene einen Überlebensvorteil, und sie breiten sich aus.

Besonders Medizintouristen betroffen

Gerade Indien, wo sich die meisten der Patienten mit NDM-1-positiven Keimen angesteckt haben, ist für seinen recht sorglosen Umgang mit Antibiotika bekannt. Hier ist es möglich, Antibiotika ohne Rezept zu bekommen. Die Folge: Medikamente werden oft zu früh und dann aber nicht konsequent genommen. Beides bietet einen Nährboden für die Entwicklung von Resistenzen. Bei den knapp 60 betroffenen Patienten, die sich mit den „Superkeimen“ angesteckt haben, handelt es sich offenbar um Medizintouristen, die sich Indien und Pakistan Schönheitsoperationen unterzogen haben. Auch in Europa und den USA sind nun weitere Fälle bekannt, ein Mann in Belgien starb infolge einer Infektion. Nach Angaben des Robert-Koch-Instituts (RKI) sind in Deutschland bislang vier Fälle bekannt.

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Aufgrund der noch geringen Zahlen warnen deutsche Experten jedoch vor Panik. „Weniger als jeder tausendste Klebsiella-Keim dürfte das Resistenzgen tragen“, sagt Martin Kaase vom Nationalen Referenzzentrum (NRZ) für gramnegative Krankenhauserreger in Bochum, „resistente Bakterien sind also extrem selten“. Somit sei die Wahrscheinlichkeit, sich mit einem solchen Erreger zu infizieren, äußert gering. Deshalb sieht der Mikrobiologe auch keinerlei Grund zu übertriebener Sorge.

Auch für das RKI gelten für den Fall NDM-1 all jene Empfehlungen, die auch für andere multiresistente Infektionserreger bereits in Krankenhäusern umgesetzt werden. Allerdings raten die RKI-Experten zu einem umsichtigen Einsatz von Reserve-Antibiotika aus der Klasse der Carbapeneme.

Aufmerksamkeit erhöhen

Die Forscher weltweit sind sich einig: Trotz der bisher vereinzelten Fälle müsse man den gefährlichen gramnegativen Bakterien jetzt schon dieselbe Aufmerksamkeit schenken wie dem schon länger bekannten Sorgenkeim MRSA. Mit dieser multiresistenten Variante von Staphylococcus aureus infizieren sich jährlich etwa 14 000 Menschen in deutschen Krankenhäusern.

Superresistenz NDM-1

Das Robert-Koch-Institut (RKI) in Berlin hat Informationen zu resistenten Keimen mit dem NDM-1-Gen zusammengestellt. Weitere Infos bietet das Nationale Referenzzentrum (NRZ) für gramnegative Krankenhauserreger in Bochum.

zum RKI: hier klicken

zum NRZ in Bochum: hier klicken

Die zunehmende Verbreitung der multiresistenten Keime lässt auch den Ruf nach neuartigen Antibiotika lauter werden. Die großen Pharmakonzerne haben sich aus diesem Markt weitgehend zurückgezogen. Grund: die nur wenige Tage eingesetzten Medikamente sind nicht profitabel genug. So wird die Antibiotikaforschung heute zumeist von akademischen Forschern und kleineren Firmen geleistet. Auch in Deutschland wird nach neuen Bakterienkillern gefahndet: Im Juni haben Bonner Forscher  zusammen mit der dänischen Firma Novozymes eine schlagkräftige Substanz namens Plectasin vorgestellt (mehr...). In Jena gelang es Mikrobiologen, durch raffinierte Kultivierungsbedingungen Bodenmikroben einen neuartigen antibakteriellen Wirkstoff zu entlocken (mehr...). Forscher am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig haben aus Myxobakterien neuartige antibiotische Substanzen isoliert (mehr...). Mit vielfätigen Strategien versuchen die Mikrobenforscher, die Ausbreitung gefürchteten muliresistenten Erregern zu stoppen.

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