Genom des Schwamms: Mehr Mensch als gedacht

Von wenigen Millimetern bis mehreren Metern messen die 7500 Arten von Schwämmen. Die Gene der primitiven Tiere sind denen höherer Säugetiere erstaunlich ähnlich. <ic:message key='Bild vergrößern' />
Von wenigen Millimetern bis mehreren Metern messen die 7500 Arten von Schwämmen. Die Gene der primitiven Tiere sind denen höherer Säugetiere erstaunlich ähnlich. Quelle: Wikipedia.de

05.08.2010  - 

In der Entwicklungsgeschichte der Tiere verkörpern Schwämme eine frühe Phase. Sie besitzen weder Nerven noch Organe. Umso größer war die Überraschung für ein internationales Forscherteam, das sich an die Entschlüsselung des Genoms eines Hornkieselschwamms machte. So gestaltete sich die Aufbereitung des Erbguts nicht nur unerwartet schwierig, auch das Ergebnis erstaunte: Unter den rund 18.000 Genen des Schwamms befinden sich viele, die von komplexeren Tieren bekannt sind. An der Schwelle vom Einzeller zum mehrzelligen Organismus eröffnet sich damit ein Blick in die genetische Werkbank des Lebens, berichten die Wissenschaftler, unter ihnen auch Molekularbiologen der Universität Göttingen, im Fachblatt Nature (Ausg. 466, S. 720-726).



 

Schwämme sind evolutionsgeschichtlich uralt. Vor 600 Millionen Jahren spalteten sie sich als Tierstamm ab, gerade in dem Moment, als sich der Übergang von in Kolonien lebenden Einzellern zu echten Mehrzellern ereignete. Auch Algen gehören zu den einfachen Mehrzellern. Mit dem Genom der Volvox-Alge entzifferten Wissenschaftler vor kurzem das Erbgut des einfachsten Vielzellers überhaupt (mehr...).

Schwämme sind einfach aufgebaut, sie besitzen weder Organe noch Nervenzellen, leben meist im Meer und sitzen dort fest verankert auf dem Untergrund. Sie können sich nicht aktiv bewegen, sondern filtern ihre Nahrung mit Hilfe von Geißelzellen aus dem vorüberfließenden Wasserstrom.

Für die Wissenschaft sind die primitiven Tiere wegen ihrer Schlüsselposition in der Evolution besonders interessant. Deshalb hat ein internationales Team von Genetikern nun die Genom eines Schwamms sequenziert, genauer gesagt eines Exemplars von Amphimedon queenslandica aus der Klasse der Hornkieselschwämme, das vor der Küste Australiens im Great Barrier Reef lebte. Zu dem Team aus 31 Wissenschaftlern gehörten auch Daniel Jackson und Mario Stanke von der Universität Göttingen.

Ein Schnitt durch ein Exemplar Klasse der Hornkieselschwämme, zeigt, dass die Tiere sehr einfach und gleichmäßig aufgebaut sind. Organe fehlen.Lightbox-Link
Ein Schnitt durch ein Exemplar Klasse der Hornkieselschwämme, zeigt, dass die Tiere sehr einfach und gleichmäßig aufgebaut sind. Organe fehlen.Quelle: Humboldt-Universität Berlin

Junk-DNA ausgefiltert

Schwämme mögen einfach sein, die Entschlüsselung ihres Genoms ist es nicht, wie die Forscher feststellten. Die erste Hürde: ausreichend reine Schwamm-DNA gewinnen. Erwachsene Tiere sind jedoch häufig von einer ganzen Menge Bakterien besiedelt, die eindeutige Zuordnung wird erschwert. Deshalb haben die Forscher zunächst Embryonen und Larven des Hornkieselschwamms aus dem erwachsenen Tier isoliert. Deren Chromosomen wurden dann in Stücke zerlegt, um an die Buchstaben des Erbguts zu kommen. Das ergibt zunächst eine ungeordnete Suppe aus insgesamt 170 Millionen Nukleotiden. An dieser Stelle kam Daniel Jackson vom Courant-Forschungszentrum Geobiologie der Universität Göttingen ins Spiel. Er erstellte eine sogenannte DNA-Bibliothek, in der nur diejenigen Abschnitte der DNA archiviert sind, die auch tatsächlich Bauanleitungen für Eiweiße enthalten. Die sogenannte Junk-DNA, Abschnitte mit noch bisher weitgehend unerforschter Funktion, blieben außen vor. Diese Vorfilterung erleichterte die weitere Funktionsanlayse des Erbguts enorm.

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Mario Stanke, bis Juni 2010 am Institut für Mikrobiologie und Genetik der Universität Göttingen tätig, war für die nächste Untersuchungsphase zuständig. Er entwickelte ein Computerprogramm, das basierend auf einem mathematischen Modell gelernt hatte, welche Abschnitte auf dem Erbgut wohl ein Gen bilden. Die so vorhergesagten Gensequenzen wurden dann mit denen anderer Tiere verglichen, darunter Würmer, Fruchtfliegen und Mäuse.

Genetische Grundausstattung der Mehrzeller

Hier gab es die nächste Überraschung für die Wissenschaftler. Mit 18.000 Genen hat der Schwamm nicht nur erstaunlich viele Gene: Der Mensch besitzt mit 25.000 nicht viel mehr. Für Erstaunen sorgte auch die Ähnlichkeit der Schwamm-Gene mit denen von höheren Tieren. Bei den gemeinsamen Genen scheint es sich um die genetische Grundausstattung der Mehrzelligkeit zu handeln. So besitzen die Schwämme zum Beispiel Gene, die den Zellzyklus kontrollieren, das Wachstum von Zellen steuern oder deren Tod einleiten, wenn bestimmte Bedingungen erreicht sind. Auch die Steuerung zur Bildung von Keimzellen, das Anheften der Zellen aneinander und sogar die Fundamente eines Immunsystems sind im Schwamm schon angelegt. "Aus dem Erbgut der Schwämme können wir ablesen, was Mehrzeller brauchten, um solche zu werden", sagt Mansi Srivastava von der University of California in Berkeley, der die Studie als Erstautor leitete.

Die Erkenntnisse sind nicht nur im Blick zurück interessant – die Ergebnisse geben eine Vorstellung davon, wie ein universeller Vorfahr aller Tiere genetisch ausgestattet gewesen sein könnte. Auch für die Zukunft könnten die Erfahrungen mit dem Schwamm-Genom nützlich sein. Denn viele der Gene, die mit dem Aufkommen von Komplexität bei Tieren in Verbindung gebracht werden, sind nach Ansicht der Forscher mit Krebs verknüpft – der im Grunde ein Fall gestörter Mehrzelligkeit ist. Vielleicht ergeben sich so neue Angriffspunkte für die Krebstherapie, hoffen die Wissenschaftler.

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