Berit Jungnickel: In der Blackbox des Immunsystems

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Zellbiologin Berit Jungnickel ist dem Ruf von München nach Jena gefolgt. Quelle: Anne Günther/FSU

03.08.2010  - 

„In Jene lebt sichs bene“, scheint der Wahlspruch von Berit Jungnickel zu sein. Die 42-Jährige ist seit Mitte Juni Professorin für Zellbiologie an der biologisch-pharmazeutischen Fakultät der Universität Jena und kehrt damit an ihren Geburtsort zurück.  Der Forschungsschwerpunkt der Biomedizinerin: das Immunsystem. Jungnickel interessiert sich dabei insbesondere für die Mutation von Antikörpergenen – ein Mechanismus, der das Immunsystem funktionsfähig hält, gleichzeitig aber auch ungewollte Genmutationen bis hin zu Krebs auslösen kann.


Die Ursachen für die Genschäden liegen in bestimmten Zellen des Immunsystems, den sogenannten B-Zellen. Ist ein Erreger in den Körper eingedrungen, sorgen diese B-Zellen unter anderem dafür, dass Antikörper produziert werden, die zur Bekämpfung genau auf diesen Erreger passen. Und selbst wenn sich dieser verändert, können die B-Zellen bis zu einem gewissen Grad angepasste Antikörper herstellen. Dieser auch als somatische Hypermutation bezeichneter Vorgang wurde vom Immunsystem geradezu perfektioniert und immer dann aktiviert, wenn der Körper von Erregern angegriffen wird, die sich schnell verändern.

Schäden am Genom fehlerhaft repariert

Wie genau sich jedoch B-Zellen auf bestimmte Erreger fokussieren, ist „sozusagen die Blackbox des Immunsystems“, meint Jungnickel. Und auch – so ihre Theorie – der Schlüssel zu den ungewollten Mutationen. „Bisweilen werden Schäden am Genom falsch repariert“, erklärt Jungnickel. Aus ihrer Sicht könnte der Grund bei einem Reparaturmechanismus liegen, der unter Forschern als SOS-Response oder Transläsionssynthese bekannt ist. „Das ist sozusagen der Notmechanismus, wenn die Zelle sehr unter Stress ist. Er hält die Grundfunktionen aufrecht, ist aber nicht präzise“, so Jungnickel.

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Bereits vor einiger Zeit, als Jungnickel als Leiterin einer Forschungsgruppe am Helmholtz-Zentrum München gearbeitet hat,  konnte sie herausfinden, dass das Immunsystem in manchen Fällen diesen Schnellreparaturmodus übernimmt, obwohl es keine entsprechende Notsituation gibt. Für die Forscherin steht damit fest: Es entstehen dadurch gewollte Mutationen in den Genen für die Antikörper. Der Kampf gegen Infektionen kann damit im Körper zu Krebs führen – sozusagen als Abfallprodukt einer eigentlichen nützlichen Strategie. „Jetzt haben wir Gewissheit“, meint sie. „Aber heilen können wir Krebs deshalb noch nicht.“

Während der Elternzeit über das Immunsystem gelesen

Die Begeisterung der Wissenschaftlerin für ihre Forschung ist groß, wenngleich diese auch bei ihr erst geweckt werden musste. Denn lange Zeit konnte Jungnickel mit Biologie überhaupt nichts anfangen.  „In der Schule war das nicht mein Fach“, gesteht die Mutter zweier Kinder rückblickend. Erst als es in die Molekularbiologie ging, wurde die Lebenswissenschaft interessant für sie. Jungnickel promovierte zunächst in der Zellbiologie über den Proteinexport von Zellen. Während der Promotion folgte sie ihrem Doktorvater an die Harvard University in Boston, USA, kehrte jedoch zurück nachdem sie ihr erstes Kind zur Welt gebracht hatte, und verteidigte die Arbeit in Berlin. „Darin ging es um einen grundlegenden Mechanismus, keine Defekte“, erklärt sie. „Ich wollte aber in einem medizinisch relevanten Gebiet forschen.“

Während der Elternzeit begann sie, über das Immunsystem zu lesen. Das neue Forschungsgebiet führte sie nach Köln und München, bevor sie das Stellenangebot aus ihrer Heimat Jena erreichte. „Es war klar, dass das völlig passt“, erinnert sie sich. Eine Professur für Zellbiologie ist in Jena ein Novum, in ihrer Position ist Jungnickel gleichzeitig Brücke zu und Säule des Jenaer Zentrums für molekulare Biomedizin (CMB).

Abends nach acht Vorlesungen vorbereiten

Auch die Familie war ein Grund, die Stelle anzunehmen. „Wir  sind sehr oft umgezogen, das hinterlässt auch bei den Kindern Spuren“, sagt sie. „Da war es schön, diesmal in ein vertrautes Umfeld zu kommen.“ Da sie auch noch mit der Forschungsgruppe in München arbeitet, pendelt die Professorin regelmäßig nach Bayern. Die übrige Zeit widmet sie vor allem ihren 9 und 14 Jahre alten Kindern. „Und abends nach acht, wenn ich sonst lesen oder Klavier spielen würde, muss ich jetzt Vorlesungen vorbereiten.“

Die Lehre, von Professoren oft als lästige Pflicht wahrgenommen, macht Jungnickel besonders viel Spaß, schließlich spielt sich die gesamte Biologie in der Zelle ab. „Es ist faszinierend zu sehen, wie drei oder vier Jahre Studium die Studenten verändern“, sagt sie. Ohnehin sei die Immunologie „ein sehr dankbares Thema, da verstehen die Leute sofort die medizinische Relevanz.“ So gesehen ist das Lehren für sie auch Entspannung. „Ein Grundpraktikum abzuhalten, kann eine sehr beruhigende Wirkung haben“, lächelt Jungnickel. „Und wenn ich nach einer anstrengenden Besprechung in ein Seminar komme, wo 20 Studenten angeregt diskutieren, dann geht es mir wieder gut.“
 

Autorin des Textes: Cornelia Kästner

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