Leuchtmolekül erlaubt Einblick in das Gehirn der Fruchtfliege

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Mit Hilfe von fluoreszierenden Markermolekülen können MPI-Forscher erstmals einzelne Zellen in dem Gehirnbereich beobachten, der bei Fliegen für das Bewegungssehen zuständig ist. Quelle: Reiff / MPI für Neurobiologie

29.07.2010  - 

Auf kleinstem Raum vollbringt das Gehirn der Fliege erstaunliche Leistungen. Besonders das Netzwerk von Nervenzellen, das für die Verarbeitung von Bewegungen zuständig ist, muss bei jedem Fliegenflug – etwa durch ein Zimmer – außerordentlich schnell und präzise arbeiten. Wenn dann noch einer Fliegenklatsche auszuweichen ist, entscheidet ein Sechstel Kubikmillimeter Fliegengehirn über Leben und Tod. Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Neurobiologie in Martinsried haben nun eine spezielle Mikroskopiertechnik mit molekularbiologischer Fluoreszenzmarkierung verbunden, um die Nervenzellen von Fruchtfliegen während der visuellen Informationsverarbeitung zu beobachten. Wie die Technik genau funktioniert, berichten die Wissenschaftler im Fachblatt Nature Neuroscience (Online-Veröffentlichung, 11. Juli 2010).

Fruchtfliegen sind nur zwei Millimeter groß, ihre Gehirne noch viel kleiner. Und trotzdem können die Tiere komplexe Flugmanöver ausführen, ohne miteinander zu kollidieren. In Sekundenbruchteilen verarbeiten die Nervenzentren der Flugakrobaten visuelle Bewegungen. Wie die Nervenzellen im Fliegenhirn dazu verschaltet sind, bleibt auch nach über 50 Jahren Forschung ein Rätsel.

Zwar wurde bereits 1956 ein mathematisches Modell entwickelt, das sehr genau beschreibt, wie Bewegungen im Gehirn von Fliegen erkannt und verarbeitet werden. Zahllose Versuche haben über die Jahre alle Annahmen dieses Modells bestätigt. Dennoch ist nach wie vor unbekannt, welche Nervenzellen in welcher Weise im Fliegenhirn tatsächlich miteinander verbunden sind, sodass sie wie im Vorhersagemodell arbeiten. "Uns fehlten einfach die technischen Möglichkeiten, um einzelne Zellen und ihre Verbindungen in diesem Fliegen-Hochleistungscomputer zu untersuchen", sagt Dierk Reiff vom Max-Planck-Institut für Neurobiologie in Martinsried.

Mit modernsten Mikroskopiermethoden beobachteten Neurobiologen die Aktivität von Nervenzellen, während die Fliege bewegte Muster sieht und verarbeitet.Lightbox-Link
Mit modernsten Mikroskopiermethoden beobachteten Neurobiologen die Aktivität von Nervenzellen, während die Fliege bewegte Muster sieht und verarbeitet.Quelle: Reiff / MPI für Neurobiologie

Leistungsfähiger als jeder Computer

Das überrascht nicht, bedenkt man wie winzig der für das Bewegungssehen zuständige Bereich des Fliegenhirns ist: In einem Sechstel Kubikmillimeter Gehirn befinden sich über 100.000 Nervenzellen – und jede Zelle ist mehrfach mit ihren Nachbarzellen verbunden. Die vergleichsweise wenigen Nervenzellen der Fliege sind hochspezialisiert und verarbeiten die Bilderflut während des rasanten Fluges mit unglaublicher Präzision. So können Fliegen eine Vielzahl von Informationen über Eigen- und Umweltbewegung in Echtzeit verarbeiten – etwas, dass so kein heute existierender Computer leisten könnte, erst recht nicht, wenn er so winzig wie im Fliegenhirn wäre.

In diesem mehrtausendfach verzweigten Mosaik die Reaktion einer einzelnen Nervenzelle auf einen bestimmten Bewegungsreiz herauszufiltern, scheint nahezu unmöglich. Doch genau das haben die Martinsrieder Neurobiologen nun geschafft, und zwar mit einer neuartigen Kombination von molekularbiologischen und physikalischen Methoden.

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Leuchten zeigen Aktivität der Nervenzellen

Grundsätzlich ist die Übertragung von Nervenreizen etwas für Physiker. Denn Nervenzellen leiten Informationen mit Hilfe von elektrischen Signalen weiter. Um an jede Zelle Elektroden anzubringen, dafür sind jedoch fast alle zu untersuchenden Nervenzellen im Gehirn der Fliege viel zu klein. "Wir mussten einen Weg finden, die Aktivität dieser Winzlinge ohne die Hilfe von Elektroden zu beobachten", beschreibt Dierk Reiff eine der Herausforderungen. Diese Hürde nahmen die Forscher bei der Fruchtfliege Drosophila melanogaster nun durch den Einsatz biotechnologischer Methoden. Dadurch gelang es, einzelne Nervenzellen der Fruchtfliege mit einem Indikator-Molekül auszustatten: TN-XXL macht dabei durch Änderung seiner Fluoreszenzeigenschaften die Aktivität von Nervenzellen sichtbar.

Verfeinerte Mikroskopiertechnik

Um zu untersuchen, wie Fruchtfliegenhirne Bewegungen verarbeiten, starteten die Forscher einen Versuch. An einem Leuchtdioden-Bildschirm zeigten sie den Fliegen sich bewegende Streifenmuster. Die Nervenzellen im Gehirn der Fliegen reagierten auf diese LED-Lichtreize mit Aktivität, was wiederum zu Änderungen im Leuchtverhalten des Indikator Moleküls führte. Obwohl TN-XXL deutlich heller ist als bisherige Indikator-Moleküle, war es lange Zeit unmöglich, die immer noch sehr geringe Lichtmenge einzufangen und vom LED-Lichtreiz des Bildschirms zu trennen. Nach einigem Tüfteln fand Dierk Reiff jedoch die Lösung, indem er das Zwei-Photonen-Laser-Mikroskop mit dem LED-Bildschirm gleichschaltete. So konnte das TN-XXL Signal vom kurz vorher gesendeten LED-Licht unterschieden und dann selektiv gemessen werden.

Nur Lichtabnahme wird weitergegeben

"Nach über 50 Jahren haben wir nun endlich die technischen Möglichkeiten geschaffen, um den zellulären Aufbau des Bewegungsdetektors im Fliegenhirn zu untersuchen“, sagt Alexander Borst, der mit seiner Abteilung am Max-Planck-Institut für Neurobiologie dieses Ziel schon seit Jahren verfolgt. Wie viel noch zu entdecken ist, zeigte der erste Einsatz der neuen Methode. Hierzu nahmen die Wissenschaftler sogenannte L2-Zellen unter die Lupe, die Informationen von den Fotorezeptoren des Auges erhalten. Die Fotorezeptoren reagieren, wenn die Lichtintensität zu- oder abnimmt.

Die Neurobiologen fanden heraus, dass die mit den Rezeptoren verdrahtete L2-Zelle diese Information umwandelt, dabei vor allem Information über eine Helligkeitsabnahme an nachfolgende Nervenzellen weitergibt. Diese wiederum errechnen daraus die Bewegungsinformation. "Das bedeutet, dass die Information ‚Licht-an’ von den L2-Zellen herausgefiltert wird", fasst Dierk Reiff die Entdeckung zusammen. "Es bedeutet aber auch, dass ein anderer Zelltyp ‚Licht-an’" weitergeben muss – die Fliege reagiert ja auf beides." Nun wollen die Forscher den Bewegungsdetektor im Fliegenhirn Zelle für Zelle untersuchen und so die Arbeitsweise der beteiligten Nervenzellen aufklären.

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