EU-Kommission: Mehr nationale Autonomie bei gv-Anbau

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Die EU will den Nationalstaaten die Frage des Anbaus von gv-Pflanzen überlassen. Quelle: Maria Lanznaster / pixelio.de

14.07.2010  - 

"Wir bieten den Staaten nun Freiräume, ihre eigenen Entscheidungen zu fällen und umzusetzen", sagte Gesundheitskommissar John Dalli am 12. Juli in Brüssel. Mit dem Vorschlag, dass in Zukunft die einzelnen Mitgliedsländer entscheiden sollen, ob eine gentechnisch veränderte (gv) Pflanze angebaut werden darf, will die EU-Kommission den jahrelangen Streit über die Zulassungen beenden. Bisher entschied die EU-Kommission auf Grundlage der Bewertung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA), die Zulassung war bindend für jeden Mitgliedsstaat. So richtig froh ist über die neue Freiheit aber niemand. Umweltverbände befürchten eine größere Verbreitung von gv-Saatgut, Unternehmen beschwören den Anfang vom Ende des  Binnenmarktes und Politiker prophezeien ein großes regulatorisches Chaos. Ministerrat und EU-Parlament müssen aber noch zustimmen. Frühestens 2012 könnte die Novelle in Kraft treten.




"Die Kommission ist weder für noch gegen den Anbau von genveränderten Organismen. Aber in der heutigen Welt sind sie eine Realität.“ John Dalli, EU-Kommissar für Gesundheit und Verbraucherschutz, will sich nicht mehr positionieren müssen und damit das Feuer von Gentechnikgegnern auf sich ziehen. Deshalb soll nun jedes Mitgliedsland selbst bestimmen dürfen, was innerhalb der eigenen Grenzen angebaut werden darf und was nicht.

"Wir bieten den Staaten nun Freiräume, ihre eigenen Entscheidungen zu fällen", sagte der EU-Kommissar für Gesundheit und Verbraucherschutz, John Dalli.Lightbox-Link
"Wir bieten den Staaten nun Freiräume, ihre eigenen Entscheidungen zu fällen", sagte der EU-Kommissar für Gesundheit und Verbraucherschutz, John Dalli.Quelle: EU-Kommission

Verbote aus ethischen oder sozioökonomischen Gründen

Dafür soll die  EU-Freisetzungslinie 2001/18  (zur Richtlinie: hier klicken) einen zusätzlichen Artikel (26b) erhalten. Falls diese Änderung auch Ministerrat und EU-Parlament passiert, würde sich am europäischen Zulassungsprozess zunächst einmal nichts ändern. Nach  wie vor würde die EFSA die Gesundheits- und Umweltrisiken auf wissenschaftlicher Basis abwägen und eine Empfehlung aussprechen. Die EU-Kommission würde dieser Empfehlung wie bisher wahrscheinlich auch folgen. Nur wäre es den einzelnen Ländern danach erlaubt, den Anbau auf ihrem Gebiet ganz oder teilweise zu verbieten. Welche Gründe dafür herangezogen werden, ist der EU-Kommission dann egal. Ein Verbot kann aus ethischen oder sozioökonomischen Gründen erlassen werden, auch eine "massive Abneigung" der Bevölkerung gegen GVO sei als Verbotsgrund denkbar, sagte Dalli in Brüssel. Eine Ablehnung aufgrund von wissenschaftlich begründeten Zweifeln an der Sicherheitsbewertung sei aber in Zukunft ausgeschlossen, so Dalli. Und auch der Import und die Vermarktung von bereits zugelassenen gv-Sorten dürfe nicht behindert werden.

Ob sich Verbote, die ökonomisch oder kulturell begründet werden, juristisch halten lassen, ist noch unsicher. Ein Gutachten (PDF-Download), das die Umweltorganisationen Greenpeace und "Freunde der Erde" zu dieser Frage bei einem der führenden Rechtsexperten auf diesem Gebiet in Auftrag gegeben hat, sieht nur noch "ethische" Beweggründe als legitime Verbotsgrundlagen und warnt davor, dass diese so schwer zu definieren seien, dass Unternehmen, die dagegen klagen, vor dem Europäischen Gerichtshof gute Chancen hätten, solche Verbote wieder zu kippen.

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Bislang geltende Anbauverbote in der EU basieren vor allem auf dem Argument, dass es neue Erkenntnisse zur Sicherheitsbewertung gibt. Nicht nur Deutschland hatte diese Schutzklausel für ein Anbauverbot der gv-Maissorte MON810 genutzt (mehr...), auch in Österreich, Griechenland, Frankreich, Ungarn und Luxemburg existieren Anbaumoratorien. Die Europäische Kommission war mehrmals im Ministerrat gescheitert, als es diese nationalen Verbote beenden wollte (mehr...). Die festgefahrene Situation führte Holland und Österreich dazu - die als Gentechnikbefürworter und –gegner eigentlich auf unterschiedlichen Seiten stehen - gemeinsam einen Vorschlag zur Novelle der Freisetzungslinie zu machen, der sich in großen Teilen nun in Dallis Plänen wieder findet.

Neue Leitlinien zur Koexistenz

Neben des zusätzlichen Artikels in der EU-Richtlinie zur Freisetzung und Zulassung von gv-Pflanzen hat Dalli in seinem Maßnahmen-Paket auch neue rechtlich allerdings nicht bindende Leitlinien zur Koexistenz verabschiedet, die ab sofort in Kraft treten. Diese beinhalten Empfehlungen, wie sich die Mitgliedsstaaten zu verhalten haben, um das Nebeneinander einer Landwirtschaft mit und ohne Gentechnik zu ermöglichen. In der bisherigen Fassung aus dem Jahr 2003 vertrat die Kommission die Meinung, dass Staaten nur eingreifen müssten, wenn der ungewollte Anteil von gv-Anteilen in der konventionellen Ernte einen Anteil von 0.9% zu überschreiten droht - was dem auf EU-ebene geltenden Kennzeichnungspflicht entspricht. Dafür sollten entsprechende Anbauvorschriften erlassen werden. Nun überlässt die Kommission den Mitgliedsstaaten selbst, wie sie den gv-Anbau regeln wollen. Die Ausweisung von gentechnikfreien Zonen ist ebenso möglich wie sehr strenge oder gar keine Vorschriften. Des weiteren können nun auch Verunreinigungen als wirtschaftlicher Schaden gelten, die unterhalb der Kennzeichnungspflichts-Grenze von 0,9 Prozent liegen.

Mehr als zehn Anträge für neue Anbaugenehmigungen 

Derzeit sind in der EU nur zwei gv-Pflanzen zum Anbau zugelassen, der Futtermais MON810 von Monsanto sowie die für die Industrie gedachte stärkehaltige Kartoffel Amflora, die von BASF entwickelt wurde. BASF hatte zehn Jahre warten müssen, bis Amflora im Frühjahr 2010 zugelassen wurde (mehr...). Weltweit haben Regierungen dagegen inzwischen schon 150 gentechnisch veränderte Pflanzen für den Anbau freigegeben. Bei der Kommission sollen mehr als zehn Anträge anhängig sein, noch in diesem Jahr soll über die gv-Maissorten Bt11 von Syngenta und 1507 von Pioneer entschieden werden. Für den Import als Nahrungs- und Futtermittel sind hingegen mehr als hundert gv-Pflanzen zugelassen. Erst vor kurzem hat Deutschland für die Zulassung von sechs neuen Sorten gestimmt. Die schwarz-gelbe Koalition positioniert sich in Sachen Pflanzenbiotechnologie auf nationaler und europäischer Ebene differenziert. Im Koalitionsvertrag steht einerseits, dass man das Anbauverbot für MON810 nicht kippen wolle. In dem Papier auch festgehalten, dass man künftige Zulassungen auf EU Ebene schnell durchwinken will.

Die geplante Novelle, die frühestens 2012 in Kraft tritt, ist mit Skepsis, teils mit Unverständnis aufgenommen worden. Befürworter der Pflanzenbiotechnologie befürchten willkürliche Beschränkungen, Gentechnik-Gegner warnen vor einer zunehmenden Vermischung von gv-Saatgut und konventionellen Pflanzen.

Bei BASF will man die Umsetzung abwarten. „Die Vor- und Nachteile des Vorschlags sind zurzeit schwer abschätzbar“, sagte ein Sprecher des Ludwigshafener Chemiekonzerns dem Handelsblatt. Nach wie vor werde man bei BASF bei der Pflanenbiotechnologie vorsichtshalber nicht auf den EU-Markt bauen. Bayer sieht den Vorschlag kritischer. "Aus unserer Sicht verlagert die EU damit die Verantwortung auf Mitgliedsstaaten, die jedoch keine klaren Kriterien für ihre Entscheidungen haben", sagte ein Sprecher von Bayer CropScience in Monheim. "Damit gibt die Kommission auch das Prinzip des gemeinsamen Marktes auf."

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"Chaotische Situation in der EU"

Den meisten nationalen Politikern gefällt die Laissez-faire-Haltung der EU-Kommission ebenfalls nicht. „Wenn das durchgeht, ist das der erste Sargnagel für die Gemeinsame Agrarpolitik der EU“, sagte der agrarpolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, Peter Bleser, der „Neuen Osnabrücker Zeitung“. Er rechnet mit einer chaotischen Situation in der EU. Deutschland werde aber keinen nationalen Alleingang unternehmen. „Das bedeutet, dass wir nach einer EU-Zulassung auch hierzulande den GVO-Anbau erlauben", so Bleser. Die Grünen befürchten, dass die unbeabsichtigte Verbreitung von gv-Pflanzen über Sporen massiv zunimmt. "Es wird noch mehr Fälle von Verunreinigung geben, wenn mehr Produkte zugelassen werden", sagt Rebecca Harms, Grünen-Fraktionschefin im Europa-Parlament.

Die europäische Biotechnologievereinigung EuropaBio bedauert die Abkehr von rein wissenschaftlichen Bewertungskriterien. "Wir glauben fest daran, dass ein praktikabler Vorschlag wissenschaftlich begründet, verhältnismäßig und nicht diskriminierend gegenüber jenen Landwirten sein muss, die mit den Sorten arbeiten möchten, die sich am besten für ihre Zwecke eignen", sagte Generalsekretärin Nathalie Moll. Werden diese grundlegenden Prinzipien missachtet, wirkt sich das negativ auf die Nachhaltigkeit und den Erfolg des Agrarsektors aus." Die Deutsche Industrievereinigung Biotechnologie ist der gleichen Ansicht. „Die Einführung einer zusätzlichen nicht wissenschaftlichen Entscheidungsbasis für den Anbau widerspricht EU-Prinzipien für wissenschaftsbasierte Entscheidungen“, heißt er’s in einer Stellungnahme zu den Plänen.

Mehrere Umweltverbände protestierten ebenfalls. Deutschlands größter ökologischer Anbauverband Bioland bezeichnete die Regelung als „völlig unpraktikabel“. „Die EU-Kommission drückt sich vor ihrer Verantwortung“, sagte Bioland-Präsident Thomas Dosch. „Sie erarbeitet keine europaweiten Regeln für die Koexistenz von gentechnikfrei arbeitenden Bauern und Landwirten mit GVO.“ Heike Moldenhauer, Sprecherin des Umweltverbands BUND, monierte unter anderem, dass die Kommission bisher keine Verbesserung im Zulassungsverfahren der Gen-Saaten ins Auge fasse, wie dies vom Umweltministerrat verlangt worden war. Die bisherige Prüfung von gv-Pflanzen sei unzureichend, so Moldenhauer.

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