Die Niere vor dem Versagen retten

Eine Niere bildet sich im Embryo aus. Eine Konstellation bestimmter Genvarianten kann später dazu führen, dass sie ausfällt. Greifswalder Wissenschaftler suchen nach Abhilfe. <ic:message key='Bild vergrößern' />
Eine Niere bildet sich im Embryo aus. Eine Konstellation bestimmter Genvarianten kann später dazu führen, dass sie ausfällt. Greifswalder Wissenschaftler suchen nach Abhilfe.

30.06.2010  - 

Die personalisierte Medizin will erreichen, dass jeder Patient mit dem für ihn passenden Medikament behandelt wird. Oft entscheidet nämlich die individuelle Erbausstattung, ob eine Arznei anspricht oder nicht. Auch bei Nierenversagen spielen die Erbanlagen offenbar eine Rolle. Wissenschaftler der Universität Greifswald haben zusammen mit internationalen Kollegen über ein Dutzend Genvarianten entdeckt, die das Verhalten der Niere steuern. Jetzt machen sie sich daran, herauszufinden, welche Varianten bei chronisch nierenkranken Patienten eine Bedeutung haben. Dieses Wissen könnte zu früherer Behandlung,  weniger Nierenversagen und damit einem Rückkgang der Dialysepatienten führen. Das Forschungsprojekt ist Teil des "Greifswald Approach to Individualized Medicine". GANI_MED wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) mit 14 Millionen Euro unterstützt.



 

Auf der Suche nach krankheitsbedingenden Genvarianten müssen die Mediziner die genetischen Daten und Krankheitsprofile von möglichst vielen Menschen miteinander vergleichen. In Greifswald haben die Forscher Zugriff auf besonders umfangreiche Daten aus der SHIP-Studie (Study of Helath in Pomerania). Seit 1997 wurden 4310 zufällig ausgewählte Probanden aus Vorpommern zwischen 20 und 78 Jahren mehrmals gründlich medizinisch untersucht, um Erkrankungen und deren Verlauf festzuhalten. Darüber hinaus wurden und werden umfangreiche Daten zur familiären und beruflichen Umwelt, zu sozialen Beziehungen und chronischen Erkrankungen, zur Ernährung und zur Inanspruchnahme medizinischer Leistungen erhoben. Alle Datensätze werden anonymisiert auf einer Großrechneranlage erfasst und stehen der Forschung in der Universität Greifswald sowie ihren nationalen und internationalen Kooperationspartnern zur Verfügung. Die SHIP-Erhebungen werden vom BMBF und mehreren Industriepartnern unterstützt.

GANI_MED

Im "Greifswald Approach to Individualized Medicine" geht es um die Erforschung medizinisch und gesundheitspolitisch bedeutsamer Krankheiten. Über fünf Jahre hinweg von 2009 bis 2014 investiert das BMBF 14 Millionen Euro in die Initiative.

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Jeder zehnte Erwachsene ist von Nierenversagen betroffen

SHIP ist ein Blick in die medizinische Zukunft. Angesichts der demographischen Entwicklung durch Abwanderung und Geburtenrückgang wird in Vorpommern eine Entwicklung vorweggenommen, die in den alten Bundesländern erst in zehn bis 20 Jahren zu erwarten ist. Die Studie ist aber nicht nur auf Zukünftiges gerichtet, schon jetzt greifen Mediziner für Projekte der Grundlagenforschung auf die Daten zurück. Vor einem Jahr etwa konnten Greifswalder Forscher zusammen mit internationalen Kollegen Risikogene für Bluthochdruck identifizeren (mehr...).

Im gesamten GANI_MED-Projekt dienen die SHIP-Daten als Kontrollzahlen. Die an Patienten erhobenen Daten werden mit dem gewöhnlichen Bevölkerungsquerschnitt abgeglichen, um abnorme Abweichungen bei den Erkrankten herauszufinden. GANI_MED heißt "Greifswald Approach to Individualized Medicine". Noch bis 2014 stehen in Greifswald für Forschungsvorhaben der personalisierten Medizin insgesamt 15,4 Millionen Euro bereit - von denen das BMBF unter dem Dach der Innovationsinitiative Neue Länder "Unternehmen Region" 14 Millionen Euro stellt, den Rest trägt die Landesregierung.

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Eines der ersten Projekte innerhalb von GANI_MED leiten die Greifswalder Forscher Karlhans Endlich und Rainer Rettig. Sie wollen herausfinden, welche genetischen Risikofaktoren bei chronische Nierenkranken eine Rolle spielt. Im Idealfall ließen sich so schon früh diejenigen Menschen identifizieren, die ein erhöhtes Risiko tragen, dass ihre Nieren irgendwann einmal nicht mehr richtig funktionieren. Weltweit leiden mehr als 500 Mio. Menschen an einer chronischen Nierenkrankheit, die zu einer Schwächung der Nierenfunktion bis hin zum Nierenversagen führen kann. "Bundesweit ist jeder zehnte Erwachsene betroffen. Allein in Deutschland sind mehr als 90.000 Menschen von einer Nierenersatztherapie wie regelmäßiger Dialyse oder einer Transplantation abhängig", betont Endlich.

Häufigste Ursachen in Deutschland und anderen Industrieländern sind Diabetes und Bluthochdruck. "Aber nicht alle Patienten, die an diesen Erkrankungen leiden, entwickeln ein chronisches Nierenversagen. Wissenschafter vermuten daher schon lange, dass die erbliche Veranlagung eine wichtige Rolle spielt", erklärt Rettig. Konsequenzen einer nicht erkannten Nierenerkrankung sind der fortschreitende Verlust der Nierenfunktion sowie Herz-Kreislauf-Komplikationen. Chronisch Nierenkranke haben ein zehnfach erhöhtes Risiko, vorzeitig an einer Herz-Kreislauf-Erkrankung zu sterben.

Study of Health in Pomerania

Die "Study of Health in Pomerania" (SHIP) ist eine Bevölkerungsstudie in der Region Vorpommern im Bundesland Mecklenburg-Vorpommern. Seit 1997 wurden mehr als 4000 Menschen bezüglich Gesudnheit und Lebensumständen befragt.

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Nierenersatz kostet jährlich 2 Miliarden Euro

Würde man diese Risikogruppe eventuell schon früh behandeln, so das Kalkül der Mediziner, ließen sich damit vielleicht Folgeschäden und aufwändige Behandlungen in Zukunft vermeiden. "Die Blutwäsche und Transplantationen künftig weitestgehend überflüssig zu machen, ist das Hauptanliegen unserer Arbeit", sagt Rettig. "Auch wenn das noch ein weiter Weg ist", ergänzt Endlich. Das Gesundheitssystem würde ebenfalls profitieren. Schätzungen zufolge liegen die jährlichen Ausgaben in Deutschland für die Nierenersatztherapie nicht unterhalb von 2 Milliarden Euro.

Erst vor kurzem waren die Greifswalder Wissenschaftler an der Entdeckung der Genvarianten beteiligt, die sie jetzt überprüfen wollen. Zusammen mit Forschern aus Europa und den USA konnten sie mehr als ein Dutzend Genvarianten ausfindig zu machen, die langfristig die Nierenfunktion beeinflussen. Jede einzelne Variante hat für sich genommen nur einen geringen Einfluss, in der Kombination aber könnten sie die erbliche Veranlagung für eine Nierenerkrankung erheblich steigern, beschreibt das internationale Forscherteam im Fachblatt Nature Genetics (Online-Veröffentlichung, 11. April 2010). Insgesamt wurden bei der großangelegten Studie über 67.000 Menschen untersucht. Grundlage des Greifswalder Beitrags war wiederum die SHIP-Studie, die mit Unterstützung des BMBF noch bis mindestens 2020 läuft.

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