Zweiter Gentechnologiebericht der BBAW: Eine Disziplin unter Langzeitbeobachtung

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Induzierte pluripotente Stammzellen (iPS), die aus jungen Fibroblasten der Maus gewonnen wurden. iPS-Zellen geben der Debatte über Stammzellen eine neue Richtung. Quelle: Jin Young Joo / Max-Planck-Institut für molekulare Biomedizin

11.11.2009  - 

Die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften möchte mit dem Gentechnologiebericht erklärtermaßen die Gesellschaft informieren und die teils "hitzig geführten öffentlichen Debatten" über einzelne Aspekte der Disziplin sachlich grundieren. Das sagte Bernd Müller-Röber, der Sprecher der interdisziplinären Arbeitsgruppe, bei der Präsentation des 460 Seiten starken Reports in Berlin. Mit quantitativen Indikatoren wird die aktuelle Entwicklung der molekulargenetischen Diagnostik, der Gentherapie und der grünen Gentechnologie mit der Situation beim Erscheinen des ersten Berichts 2005 nachgezeichnet. Neu hinzugekommen ist ein Kapitel über Stammzellforschung und eine abschließende Betrachtung über die ethische Fragestellungen.



Zu jedem der vier Themenbereiche werden der Stand der Technik, aktuelle Entwicklungen und eine Einschätzung, wohin es gehen wird, aufgeführt. Auch werden besondere Probleme aufgezeigt und Handlungsempfehlungen für Wissenschaftspolitiker gegeben. Besonders stolz sind die Studienautoren dabei auf das Bündel an Indikatoren, die auf quantitativen Messgrößen basieren und deshalb eine Vergleichbarkeit erlauben sollen. So wird zum Beispiel in der Gentherapie die Anzahl der durchgeführten klinischen Studien in den Jahren 2002, 2005 und 2008 verglichen. Bei der grünen Gentechnologie werden unter anderem Anbauflächen gentechnisch veränderter Nutzpflanzen oder deren Anteil an den zugelassenen Sorten gemessen. Zusammen mit Umfrageergebnissen, wissenschaftlichen Veröffentlichungen und anderen Daten dienen die Zahlenverläufe den Autoren dann als Richtschnur, um zu erfassen, wie sich ein Themengebiet entwickelt.

Gentechnologiebericht

Auf der Webseite des interdisziplinären Monitoring-Projekts gibt es eine Übersicht über die Themengebiete, die Mitglieder der Arbeitsgruppe und die bisher erschienen Publikationen. Natürlich können Sie dort den Bericht auch bestellen.

www.gentechnologiebericht.de

Induzierte pluripotente Stammzellen als Schlüsseltechnologie der Biomedizin

Im neu hinzugekommenen Kapitel zur Stammzellforschung dokumentieren die Studienautoren, wie schnell wissenschaftliche Durchbrüche das Bild einer Disziplin in der öffentlichen Diskussion verändern können. Die Entwicklung induzierter pluripotenter Stammzellen aus erwachsenen Zellen haben den Bedarf nach embryonalen Stammzellen verringert. Diese benötige man nur noch in überschaubarem Umfang für die Grundlagenforschung, nicht jedoch für mögliche Zelltherapien, sagte der Hauptautor des Kapitels, der Berliner Biochemiker Ferdinand Hucho. Stammzelltherapien seien noch mindestens zehn Jahre entfernt, meinte Hucho, als Zellmodelle in der Krankheits­ursachen- und Wirkstoffforschung könnten die iPS-Zellen jedoch schon bald sehr nützlich werden. Insgesamt trauen die Autoren den Stammzellen zu, mittelfristig zu einer "Schlüsseltechnologie der Biomedizin" zu avancieren.

Der molekulargenetischen Diagnostik, die im zweiten Kapitel behandelt wird, komme in der Humanmedizin dagegen schon jetzt eine zentrale Bedeutung zu, sagte Autor Karl Sperling, Leiter des Instituts für Humangenetik an der Charite in Berlin. Die Weiterentwicklung der Chip-Technologien und die sinkenden Kosten der DNA-Sequenzierung hätten weitreichende Konsequenzen. Allerdings seien Gentests kein Allheilmittel für jedwede Indikation, aufgrund der hohen Kosten werde man nicht umhin kommen, über „einen fairen Interessensausgleich innerhalb der Solidargemeinschaft“ zu diskutieren.

Kurzfassung

Eine 30-seitige Kurzfassung des Gentechnologieberichts 2009 ist im Internet abzurufen.

Kurzfassung als pdf-Download: hier klicken

Kontroverse bei grüner Gentechnik hat eher zugenommen
Die Gentherapie ist dagegen nach wie vor eine Zukunftstechnologie. Nur bei sehr wenigen und seltenen Krankheiten zeigen gezielte Genreparaturen bisher heilsame Wirkung, so Autor Boris Fehse vom Universitätsklinikum Eppendorf in Hamburg. Neue Technologien „könnten in näherer Zukunft klinische Reife erlangen, zumal auch das Nebenwirkungsrisiko viel geringer werden könnte“. Vor einer klinischen Umsetzung sei allerdings eine breitere Etablierung von Good-Manifacturing-Practice-Technologien unabdingbar.

Während sich bei den Stammzellen die öffentliche Debatte beruhigt hat, wird über die Pflanzenbiotechnologie eher noch kontroverser diskutiert als beim Erscheinen des ersten Gentechnologieberichts vor vier Jahren. Außerhalb Europas nehme Nutzung und Forschung unverändert zu, in Deutschland, so die Autoren, bleiben "mögliche Innovationspotenziale ungenutzt". Verantwortlich für diese Situation sei zumindest in Deutschland eine "fehlende konsistente Politik". Notwendig sei daher eine "sorgfältige und fallspezifische" Erörterung der Auswirkungen von gentechnisch veränderten Nutzpflanzen auf die Umwelt, die Wirtschaft und die Gesundheit. 

Mit einem Versuch, eine Schneise in das Dickicht der ethischen Diskussion über die Gentechnik zu schlagen, endet der Bericht. Die Wissenschaftler ordnen die kursierenden Argumente in vier Kategorienklassen ein, in "deontologische versus teleologische Argumentationsformen", "Menschenwürde und Würde der Kreatur", "biokonservative versus bioliberale Argumentationsformen-" sowie Argumentationen, die mit den Begriffen "natürlich" und "künstlich" operieren. "So wird schnell klar, wie prinzipiell unterschiedliche Sichtweisen die sonst so undurchsichtige ethische Debatte strukturieren", sagte Kristian Köchy, Philosoph an der Universität Kassel und Mitautor.

Die BBAW will das Gentechnologie-Monitoring weiterführen. "Mit dieser Langzeitbeobachtung sind wir ein Vorreiter auf diesem Gebiet", sagte BBAW-Präsident Günter Stock bei der Präsentation. Die Langzeit-Monitoring-Berichte seien von "unschätzbaren Wert", weil sie eine wissenschaftliche Grundlage für die Diskussion über die Gentechnologien böten. Die interdisziplinäre Arbeitsgruppe der BBAW sehe sich dabei als unparteiisches "Observatorium der Gentechnologie" an.

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