Radspinne mit Turboantrieb: Die Düne hinauf gerollt

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Ingo Rechenberg von der TU Berlin mit der Rad schlagenden Spinne "Araneus rota", die Pate für neuartige Antriebssysteme stehen könnte. Quelle: TU Berlin

29.10.2009  - 

Bereits vor einem Jahr beobachtete Ingo Rechenberg von der Technischen Universität Berlin in der marokkanischen Wüste eine Spinne, die verblüffende Tricks auf Lager hatte. Wurde es ihr zu brenzlig, verabschiedete sie sich radschlagend die Dünen hinunter. In diesem Jahr fuhr Rechenberg erneut in die Sahara und wurde erneut überrascht. Die Spinne rollt auch bergauf. Der Bionik-Experte erforscht, wie ihr das gelingt, um den achtbeinigen Radantrieb von Araneus rota vielleicht einmal für die Fahrzeuge der Zukunft zu verwenden.





In diesem Camp hat Ingo Rechenberg sechzig Tage in der marokkanischen Wüste verbracht und die Radspinne in ihrer natürlichen Umgebung beobachtet.Lightbox-Link
In diesem Camp hat Ingo Rechenberg sechzig Tage in der marokkanischen Wüste verbracht und die Radspinne in ihrer natürlichen Umgebung beobachtet.Quelle: TU Berlin

Wie jedes Jahr seit 25 Jahren verbringt Ingo Rechenberg seinen Sommer in der Wüste. Dort sucht der Forscher nach Tieren, die besondere Tricks entwickelt zu haben, um in diesem extremen Lebensraum zu bestehen. Einige dieser Methoden, so die Hoffnung des Bionik-Experten, lassen sich vielleicht kopieren oder abwandeln, um innovative produkte und Technologien für den Menschen zu entwickeln. Im vergangenen Jahr hatte Rechenberg eine Spinne gefunden, die einmal als Vorbild für neuartige Radantriebe dienen könnte. Ihre acht Beine organisiert sie im Notfall so um, dass sie als lebender Ball davonrollt (mehr...).

Nun konnte Rechenberg beobachten, dass ihr das auch bergauf gelingt. Das Bild erinnerte ihn an Sisyphos aus der griechischen Sagenwelt. "Wie der Held in der griechischen Mythologie einen Felsbrocken, so bewegte sie ihren massiven Körper rollend den Dünenberg aufwärts. Als die Steigung zu groß wurde, kippte sie nach hinten über und trudelte wieder bergab – um dann, wie Sisyphos, wieder von vorn zu beginnen", berichtet der Wissenschaftler der Technischen Universität Berlin.

Die Radspinne "araneus rota" kann auch bergauf rollen, wie Ingo Rechenberg in Marokko entdeckte.Quelle: TU Berlin"Ich war 60 Tage vor Ort und habe in jeder Nacht meine Rad-Spinnen beobachtet. Man findet sie nachts auf ebenen Dünenfeldern", erzählt Rechenberg. Nach und nach konnte er an die 20 Exemplare fangen, um sie anschließend im ersten Morgenlicht zu studieren. So hat er gemessen, dass sich die Gliederfüßer mit einer Geschwindigkeit von einem Meter pro Sekunde auf ihren acht Beinen laufend fortbewegen. "Sobald sie jedoch anfangen zu rollen, sind sie doppelt so schnell", berichtet er. Die Geschwindigkeitssteigerung ergibt sich dadurch, dass nach jeder Körperumdrehung eine 15 bis 20 Zentimeter lange Flugstrecke folgt. Die Rolltechnik setzen die Spinnen immer dann ein, wenn sie vor einer Gefahr flüchten. "Selbstverständlich habe ich die Spinnen wieder frei gelassen, wenn sie ihre Schuldigkeit getan hatten", sagt er.

Die überraschende Entdeckung machte Rechenberg zufällig: "Ich baute gerade meine Kamera an einem Hang auf, als die Spinne mir entwischte, indem sie den Hang hinaufrollte!" Der Wissenschaftler vergewisserte sich sofort bei seinem Mitarbeiter Abdulah Regabi El Khyari, ob der das auch gesehen hatte. Er hatte. Grund genug zu untersuchen, ob der Zufall vielleicht eine Regel sein könnte. Andere Spinnen derselben Art zeigten das gleiche Verhalten. Bis zu 40 Prozent Steigung können die Spinnen bewältigen – je steiler die Düne, desto langsamer wird allerdings die Vorwärtsbewegung. "Man merkt ihnen dann die Anstrengung an", sagt der Wissenschaftler.

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Bereits im vergangenen Jahr entdeckte Ingo Rechenberg die für ihn noch unbekannte Art und nannte sie Araneus rota. Der Spinnenexperte Peter Jäger vom Senckenberg-Institut in Frankfurt am Main konnte nun aufklären: Es handelt sich um eine Cebrennus villosus, die bereits aus Algerien und Tunesien bekannt ist. Dass sich diese Art allerdings rollend fortbewegt, wurde bislang noch von keinem Biologen beschrieben. Sogenannte Rad-Spinnen sind nur in der südafrikanischen Namib-Wüste bekannt. Aber diese können nur passiv die Düne hinunterkullern. Das ungewöhnliche Verhalten der fast handtellergroßen Sahara-Rad-Spinne faszinierte den Forscher. Deshalb machte er sich auch in diesem Jahr wieder zwei bis drei Kilometer weiten Nachtwanderungen in der Wüste Erg Chebbi am Rande der Sahara in Marokko auf.

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Seit 25 Jahren fährt der Ingenieur in die Wüste, weil den Bionik-Experten extreme Lebensbedingungen interessieren. So untersuchte Rechenberg in der Sahara Sandfische und Sandschleichen. Beides sind Echsen, deren Oberflächen so glatt sind, dass sie sich in den Dünen wie Fische im Wasser bewegen können. Wie man den außergewöhnlich geringen Reibungswiderstand der Schuppenhäute auf industrielle Anwendungen übertragen kann, hat den Forscher bereits ausgiebig beschäftigt (mehr...).

Seit der Entdeckung "seiner" Spinne treibt ihn die wissenschaftliche Neugierde in eine neue Richtung. "Im vergangenen Jahr hatte ich die Theorie, dass ausschließlich die vordersten Gliedmaßen für die Rollbewegung verantwortlich sind. Da hatte ich mich gründlich geirrt; die Beinbewegung ist viel, viel raffinierter", weiß der Professor nach seinen neuesten Beobachtungen. Anhand der mitgebrachten Filmaufnahmen will er nun das Bewegungsmuster der Spinne genau studieren. Und wer weiß, vielleicht gibt es irgendwann ein Transportvehikel, das – wie Araneus rota – sowohl laufen als auch rollen kann.

Video

Ingo Rechenberg sucht seit einem Vierteljahrhundert in der Sahara nach Vorbildern aus der Natur. Mit dem Sandfisch entdeckte er schon ein Tier, dass mit seiner extrem glatten Haut die Entwicklung neuer Oberflächen ermöglichen könnte. Zum Start des Videos bitte auf das Bild klicken.


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