Lernen vom perfekten Killer

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Salinispora tropica ist ein Bakterium, das im Schlamm auf dem Meeresgrund vor der Küste der Bahamas lebt. Nebenbei ist es einer der elegantesten Killer der Natur. Quelle: University of California

21.08.2009  - 

Wenn es schon nicht den perfekten Mord gibt, dann vielleicht den perfekten Mörder. Das Bakterium Salinispora tropica, das im Meeresboden vor den Bahamas lebt, tötet Zellen, indem es die interne Müllverwertungsanlage lahmlegt. Das könnte ein Angriffspunkt für zukünftige Krebstherapien sein. Doch so effizient wie das Bakterium haben die Wissenschaftler den Zelltod bisher noch nicht hinbekommen. Deshalb sind Biochemiker der Technischen Universität München jetzt bei dem Killer in die Lehre gegangen. Sie bauten das Mordmolekül nach und beobachteten, wie es wirkt. Mit den Erkenntnissen hoffen sie, ein verbessertes Krebsmittel zu entwerfen, schreiben die Forscher im Fachblatt Journal of Medicinal Chemistry (Online-Veröffentlichung, 13. August 2009).



 

Die Bekämpfung von Krebs bleibt eine der großen Herausforderungen der medizinischen und biotechnologischen Forschung. Trotz aller Bemühungen der vergangenen Jahrzehnte ist die Entartung von Zellen immer noch eine tödliche Bedrohung. Schwierigkeiten bereitet den Forschern unter anderem die Frage, wie sich Tumorzellen von gesunden Zellen unterscheiden lassen. Denn Zellen abzutöten ist nicht so schwierig. Ungemein knifflig ist es dagegen, nur die wuchernden Zellen zu treffen.

Recyclingsystem der Zellen ausschalten

Vor einigen Jahren machte die Entdeckung Hoffnung, dass bei Tumorzellen das Müllverwertungssystem auf ungewöhnlich hohen Touren läuft. Das ist eine Folge des rasanten Wachstums der Krebszellen. Da im hochgedrehten Stoffwechsel der wuchernden Zellen mehr Eiweiße entstehen, müssen auf der anderen Seite auch mehr entsorgt werden. Überflüssige Eiweiße scheidet die Zelle dabei nicht einfach aus, sondern bricht sie in ihre Komponenten auf, die dann wiederverwendet werden können. Dieses Recycling übernehmen tonnenartige Rieseneiweiße, die sogenannten Proteasome. Würde man das Recyclingsystem nun blockieren, so die Überlegung der Krebsforscher, würden die Tumorzellen an ihrem eigenen Müll ersticken. Medikamente, die Proteasome hemmen, würden dabei in erster Linie Krebszellen treffen, da bei ihnen die Proteasome besonders aktiv sind.

Nach einem zweistufigen Reaktionsweg blockiert das Molekül des Bakteriums das Proteasom der Zelle zuverlässig.Lightbox-Link
Nach einem zweistufigen Reaktionsweg blockiert das Molekül des Bakteriums das Proteasom der Zelle zuverlässig.Quelle: TU München

Es gibt bereits ein Medikament auf dem Markt, das nach diesem Prinzip arbeitet. Bortezomib ist zur Therapie des Multiplen Myeloms zugelassen, einer Krebserkrankung des Knochenmarks. Unter dem Markennamen Velcade wird es in den USA von Millennium Pharmaceuticals und in Deutschland von Janssen Cilag vertrieben, einem Tochterunternehmen von Johnson & Johnson. In diesem Jahr wird es wahrscheinlich mehr als eine Milliarde Dollar Umsatz erwirtschaften.

In Jahrmillionen eine perfekte Waffe entwickelt

Das Potenzial derartiger Medikamente ist also groß, doch die bisher angewandten Methoden zur Proteasom-Hemmung bringen eine Vielzahl schwerwiegender Nebenwirkungen mit sich. Deshalb haben sich Biochemiker der Technischen Universität München und der kalifornischen Firma Nereus Pharmaceuticals auf die Suche nach Alternativen gemacht. Sie wurden in der Natur fündig. Salinispora tropica ist ein Bakterium, das 1991 im Schlamm auf dem Meeresgrund vor den Bahamas entdeckt wurde. Es produziert ein kleines Molekül, das die Zellen der Opfer von Salinispora abtötet, indem es Proteasome lahm legt. Das funktioniert mit einer bisher unbekannten Präzision und Gründlichkeit. "Das Bakterium hat den Stoff in Jahrmillionen der Evolution zu einer perfekten Waffe entwickelt," sagt Barbara Potts, Vizepräsidentin für chemische und onkologische Entwicklung bei Nereus.

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Doch das vom Bakterium produzierte Salinosporamid A, das nach vielversprechenden präklinischen Versuchen inzwischen an Patienten erprobt wird, zeigt ebenfalls Nebenwirkungen. In der Hoffnung, die Reaktion modifizieren zu können, sahen sich die Forscher den Reaktionsweg genauer an.

Schlüssel steckt unverrückbar im Schloss

Den Forscherteams um Barbara Potts und Michael Groll von der Technischen Universität München gelang es, ein durch Salinosporamid A blockiertes Proteasom in einem Kristall "einzufrieren" und so in einer Röntgenstrukturanalyse die genaue Lage der Atome zu bestimmen. Es wurde klar, warum das Bakteriengift so effektiv ist: Wie ein Schlüssel passt das Molekül in eine Öffnung des Proteasoms und blockiert es. Und: In einer Folgereaktion reagiert es weiter zu einem nicht mehr lösbaren Komplex - der Schlüssel steckt fest und nichts geht mehr.

Den Forschern gelang es, das Molekül nachzubauen und mit einem leuchtenden Fluoratom zu versehen. Jetzt konnten sie beobachten, was die Mordwaffe des Bakteriums in der Zelle anrichtet.  Nach einer Stunde Reaktionszeit hätte man das Molekül noch von dem Proteasom trennen können. Ein paar Stunden aber war der Schlüssel mit dem schloss verwachsen. Das Proteasom war somit dauerhaft untauglich gemacht, die Müllverwertung lahm gelegt.

 "Es ist unwahrscheinlich, dass es eine bessere Möglichkeit gibt, das Proteasom zu blockieren, als die in Jahrmillionen von der Evolution entwickelte Methode des Bakteriums," sagt Michael Groll voller Bewunderung. "Nachdem wir nun wissen, wie die bestmögliche Reaktion abläuft, können wir sie gezielt variieren, um ein möglichst wirksames Medikament mit nur geringen Nebenwirkungen zu entwickeln."

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