Pest-Erreger: Forscher entschärfen Thermozünder

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Yersinia pseudotuberculosis auf einer eukaryotischen Zelle. Quelle: Manfred Rohde/HZI Koloration:biotechnologie.de

21.02.2012  - 

Die Pest war eine der furchterregendsten Seuchen des Mittelalters. In Europa entvölkerte sie einst ganze Landstriche. Um sich vor einer Ansteckung zu schützen, empfahlen Ärzte damals, ätherische Kräuter zu verbrennen oder durch ein in Essig getauchtes Schwämmchen zu atmen. Geholfen hat dieser Schutz vor dem Miasma bekanntermaßen nicht. Heutzutage wird die Krankheit mit Antibiotika behandelt. Doch auch diese Therapie könnte bald veraltet sein: Forscher vom Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI) in Braunschweig haben nun eine Möglichkeit gefunden, den nächsten Verwandten des Pesterregers auf genetischer Ebene zu entwaffnen. Ihre Ergebnisse stellen sie im Fachmagazin PLOS Pathogens (2012, Bd. 8, e1002518) vor.

 

Möglich wird das durch eine Besonderheit der Mikroben. Yersinia pestis, der Erreger des schwarzen Todes (mehr...), der im Mittelalter jeden dritten Europäer tötete, gehört genau so wie sein nächster Verwandter Yersinia pseudotuberculosis zu den sogenannten Yersinien. Dieser Bakterientyp besitzt im Zellinnern ein molekulares Thermometer, so dass das krankmachende Programm der Winzlinge erst im menschlichen Körper startet. Genau diesen Mechanismus haben die Forscher um Katja Böhme von der Abteilung Molekulare Infektionsbiologie am HZI manipuliert. Ihnen gelang es, den Temperaturfühler durch genetische Veränderungen dauerhaft auf eine zu niedrige Temperatur einzustellen, bei der die Bakterien inaktiv bleiben.

Als Modellorganismus diente den HZI-Forschern Yersinia pseudotuberculosis, der hierzulande vor allem Kleinkinder infiziert und zu schweren Durchfällen führt. „Nach der Aufnahme merkt der Erreger durch den Temperaturwechsel, dass er jetzt im Menschen ist“, erklärt Böhme. Im Dünndarm wechseln die Yersinien dann in das menschliche Gewebe – und schalten auf Angriff: Nun produzieren sie Faktoren, mit denen sie die Angriffe des menschlichen Immunsystems abwehren und sogar Immunzellen töten können.

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RNA-Knäuel als Angriffsschalter

Als Schalter dient dabei das erwähnte molekulare Thermometer. Außerhalb des Körpers, bei niedrigen Temperaturen, blockiert das Regulatorprotein YmoA das Angriffsprogramm. Steigt die Temperatur auf 37Grad Celsius wird YmoA jedoch inaktiviert und die Erbinformation für das Protein LcrF wird abgelesen und in eine RNA umgeschrieben. LcrF ist so etwas wie eine Allzweckwaffe der Yersinien, es löst die Produktion einer ganzen Reihe von krankmachenden Faktoren aus. Die RNA dient der Maschinerie der Proteinproduktion als Vorlage. Damit LcrF nicht zu früh aktiv wird, ist eine zusätzliche Sicherung eingebaut: Ist die Umgebung kälter als 37Grad Celsius, bildet die RNA ein Knäuel und ist für die Proteinproduktion unzugänglich. Die Folge: Das Angriffsprogramm der Bakterien bleibt ausgeschaltet.

Die Verbreitung des "Y. pestis" Erregers in Europa im 14. Jahrhundert, wie sie von den Forschern rekonstruiert werden konnte.Lightbox-Link
Die Verbreitung des "Y. pestis" Erregers in Europa im 14. Jahrhundert, wie sie von den Forschern rekonstruiert werden konnte.Quelle: Krause

„Wir konnten die Temperaturkontrolle von LcrF gleich auf zwei Ebenen beeinflussen“, sagt Böhme. „Zunächst haben wir die Menge von YmoA künstlich gesteigert und so auch das Gen für den Regulator LcrF inaktiviert.“ Das allein reicht allerdings nicht aus, um den Erreger unschädlich zu machen: Die Wissenschaftler konnten trotzdem noch eine Rest-Aktivität von LcrF nachweisen, die auf bereits vorher gebildete RNA zurückging. Computersimulationen der RNA-Moleküle zeigten den Forschern, welche Bereiche für die Faltung und Entfaltung besonders wichtig sind. Die Forscher haben dann einzelne RNA-Bausteine ausgetauscht, sodass sich das Molekül auch bei Körpertemperatur nicht mehr entfalten konnte. Die Bakterien waren dadurch nicht mehr in der Lage, ihr Abwehrprogramm zu starten und konnten vom Immunsystem beseitigt werden.

Ziel ist die Entwicklung eines neuen Medikaments

„Unser Ziel ist es, Krankheitserreger zu entschärfen, ohne wie die gängigen Antibiotika gleichzeitig auch nützliche Bakterien zu beseitigen“, sagte Petra Dersch, Leiterin der Abteilung Molekulare Infektionsbiologie am HZI. Gegen klassische Antibiotika werden die Erreger zunehmen resistent, die Suche nach neuen Wirkstoffen läuft darum auf Hochtouren (mehr…). Sie wären vor allem für Asien, Afrika und Südamerika wichtig, wo auch heute noch immer wieder Menschen an der Pest erkranken. „Ein Molekül, das die mRNA von LcrF wie eine Klammer zusammenhält, würde die Yersinien inaktivieren und sie so dem Immunsystem ausliefern“, so Dersch. Außerdem würde ein solcher Wirkstoff ausschließlich die krankmachenden Yersinien treffen, da nur sie dieses molekulare Thermometer besitzen.

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