Alexander Bürkle: Vom Krebsspezialisten zum Alternsforscher
10.05.2011 -
Mit seiner Forschung verbindet der Konstanzer Toxikologe Alexander Bürkle zwei der großen Themen der Biomedizin: das Altern und die Krebsentstehung. Auf den ersten Blick haben die beiden Themen scheinbar nicht viel miteinander gemein, Bürkles Forschung setzt aber in beiden Bereichen wichtige Impulse. Seine Arbeit konzentriert sich ganz auf ein Enzym mit dem etwas kryptischen Namen „Poly-[ADP-Ribose]-Polymerase-1“ (PARP). Dieses Protein hält die DNA im Zellkern stabil und spielt damit vermutlich eine Schlüsselrolle sowohl beim Alterungsprozess als auch bei der Krebsentstehung.
Zum ersten Mal hat sich Bürkle mit dem Protein „Poly-[ADP-Ribose]-Polymerase-1“ (PARP) während seiner Zeit am Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg beschäftigt. „Ich habe versucht zu verstehen, welche Funktionen das Enzym hat“, erinnert sich der studierte Mediziner. Mitte der achtziger Jahre begann Bürkle als Postdoktorand im Institut für Virusforschung beim späteren Nobelpreisträger Harald zur Hausen. Drei Jahre später, 1987, wurde er dann Arbeitsgruppenleiter am Institut für Angewandte Tumorvirologie. „Damals wurde schon intensiv über die Beteiligung von PARP an der Krebsentstehung diskutiert“, so Bürkle.
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Ohne Mutation kein Krebs
Das Protein ist hauptsächlich im Zellkern zu finden, dem Ort, wo in lebenden Zellen der größte Teil des menschlichen Erbgutes gespeichert wird. Der Bauplan des Lebens liegt dort in Form von langen Doppelsträngen aus DNA vor. Auch wenn die DNA-Doppelhelix im Zellkern besonders gut geschützt ist, unter bestimmten Umständen können einzelne oder gar beide der Stränge brechen. Einige krebserregende Stoffe oder auch starke Strahlung lösen solche Strangbrüche aus. Der Körper aktiviert dann ein Notfallprogramm, mit dem die Schäden behoben werden sollen. Eine wichtige Aufgabe fällt dabei dem Protein PARP zu. „Sofort nach dem Strangbruch markiert es die Proteine, auf denen die gebrochene DNA aufgewickelt ist, die Histone, und auch sich selbst mit einem besonderen kettenförmigen ‚Anhängsel‘, nämlich Poly-(ADP-Ribose)“, erklärt Bürkle. Das wirkt für die eigentlichen Reparaturproteine offenbar wie eine Signalfackel: „Achtung, hier liegt ein Schaden vor!“. „Um es auf den Punkt zu bringen: Ohne Mutationen, also ohne Veränderungen des Erbgutes, kann es keinen Krebs geben“, betont Bürkle die Bedeutung des PARP-Proteins.
Veränderungen im Erbgut spielen aber nicht nur für die Krebsentstehung eine entscheidende Rolle. „Seit Beginn der 1990er Jahre verdichteten sich die Hinweise, dass es auch bei der biologischen Alterung zu DNA-Veränderungen kommt“, so der promovierte Arzt. Das weckte auch bei ihm Interesse: „Wir wollten verstehen wie PARP-1 sich auf den Alterungsprozess auswirkt.“ Tatsächlich gibt es einen Zusammenhang zwischen der Lebensspanne von verschiedenen Säugetieren und ihrer Fähigkeit Proteine mit Poly-ADP-Ribose-Molekülen zu versehen. Das konnten die Untersuchungen von Bürkles Arbeitsgruppe bereits 1992 zeigen. In langlebigen Tierarten funktioniert das Reparatursystem offenbar besonders effizient. „Mensch und Ratte haben ungefähr die gleiche Menge an PARP-1 im Körper“, so der Alternsforscher. „Trotzdem arbeitet das menschliche Protein etwa fünfmal effizienter als sein Gegenstück aus dem Nagetier.“ Doch nicht nur das, Bürkles Team konnte auch nachweisen, dass mit zunehmendem Lebensalter immer weniger Poly-(ADP-Ribosyl)ierung auftritt.
Nun will er die molekularen Ursachen dieser Unterschiede genauer charakterisieren. Einen Hinweis könnte die Aminosäuresequenz liefern, also die Anordnung der Bausteine des Proteins. „PARP-1 besteht aus insgesamt 1014 Aminosäuren, zwischen Ratte und Mensch sind gerade mal 80 davon unterschiedlich“, weiß der Konstanzer Toxikologe. Im nächsten Schritt könnten die Forscher nun die unterschiedlichen Aminosäurebausteine austauschen und so das weniger leistungsfähige Nagerprotein Stück für Stück humanisieren. Auf diese Weise könnten die Bausteine identifiziert werden, die den größten Effekt auf die Effizienz des Proteins haben. Noch ist dieser Ansatz aber Zukunftsmusik. Bereits Wirklichkeit ist stattdessen ein anderes Projekt. Bürkles Konstanzer Arbeitsgruppe hat die Erbinformation für das menschliche PARP-1 in eine Maus eingeschleust. Im Zellkern dieser transgenen Tiere ist nun nicht nur das normale Maus-PARP aktiv, sondern zusätzlich auch das effizientere menschliche Protein aktiv. Welche Auswirkungen das hat, untersucht Bürkle nun gemeinsam mit seinen Mitarbeitern.
Alternsforschung |
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Vom Krebsspezialisten zum Experten für Alternsforschung
Bürkles Wandlung vom Krebsspezialisten zum Experten für Alternsforschung spiegelt sich auch in seinen beruflichen Stationen wider. Als er sich immer mehr für die Rolle von PARP bei Alterungsprozessen interessierte, war für Bürkle klar, dass er das DKFZ verlassen wollte. Im Jahr 2000 schließlich wechselte er auf eine Stelle als Assistenzprofessors (senior lecturer) an der Medizinischen Fakultät der Universität in Newcastle upon Tyne. „Ich habe mich immer mehr von der Krebsforschung entfernt, für die Alternsforschung fehlten mir am DKFZ aber die Gesprächspartner“, erinnert sich Bürkle. Die fand er schließlich in Großbritannien. Seit mehr als 40 Jahren beschäftigen sich die Wissenschaftler an der englischen Universität mit der Biologie des Alterns. Im Jahr 2002 ging es dann aus familiären Gründen wieder zurück nach Deutschland. An der Universität Konstanz wurde er Professor für Molekulare Toxikologie. An Gesprächspartnern herrscht aber auch hier kein Mangel. „Ich bin inzwischen sehr stark europäisch vernetzt“, betont Bürkle. Allein in seiner Rolle als Koordinator eines großen EU-Projekts hält er ständig Kontakt zu den 26 aus allen Teilen Europas stammenden Projektpartnern. Gefördert durch das siebte Forschungsrahmenprogramm der EU suchen sie im Rahmen von „MARK-AGE“ gemeinsam nach Biomarkern für das Altern. Indem Proben von bis zu 3.700 Studienteilnehmern untersucht werden, wollen die Wissenschaftler die Proteine identifizieren, die das biologische Alter eines Probanden besonders präzise charakterisieren. Dem Konstanzer Toxikologen fällt nun die Aufgabe zu, dass Zusammenspiel aller Wissenschaftler so zu orchestrieren, dass beste Voraussetzungen für den Erfolg des Projekts herrschen.
Allzu schwer dürfte ihm diese Aufgabe nicht fallen: Als passionierter Kammermusiker versteht sich Bürkle schon seit seiner Jugend auf das exakte und stimmige Zusammenspiel zwischen verschiedenen Akteuren. An verschiedenen Tasteninstrumenten wie Orgel, Klavier oder Cembalo spielt er vor allem Musik aus Barock und Klassik. Für Bürkle ein wichtiger Ausgleich zur Arbeit. „Ohne dieses Hobby wäre ich sehr unglücklich“, räumt er ein. An geeigneten Instrumenten besteht kein Mangel; dies gilt gerade auch für die Orgeln, die in den Kirchen seines Wohnorts, der Insel Reichenau, stehen. Allenfalls fehlt dem 54-Jährigen die Zeit zum regelmäßigen Üben.
Autor: Bernd Kaltwaßer