Die europäische Wirkstoffforschung vernetzen
16.11.2010 -
Um die biologische Wirkung chemischer Substanzen zu analysieren, nutzen Forscher Stoffbibliotheken. In ihnen sind abertausende chemisch definierter Substanzen hinterlegt, die in aufwendigen Testverfahren hinsichtlich ihrer Eigenschaften gescreent werden. Bisher arbeiten viele der Testlabore isoliert voneinander und konzentrieren sich häufig nur auf eine eng eingegrenzte Fragestellung. Aber das soll sich ändern: Die Europäische Kommission fördert für die nächsten drei Jahre ein Projekt unter Federführung des Leibniz-Instituts für Molekulare Pharmakologie (FMP) in Berlin, das die einzelnen Labore zu einer Plattform zusammenführen will. So soll das Wissen um die biologische Wirkung von chemischen Substanzen gesammelt, vereinheitlicht und öffentlich zur Verfügung gestellt werden.
Wirkstoffforschung ist ein mühsames Geschäft. Oft werden zehntausende von Molekülen durchgetestet, damit eine Substanz gefunden wird, die eine gewünschte Wirkung entfaltet. Dementsprechend hochtechnisiert geht es in der Branche zu: Roboter bearbeiten Tag und Nacht im Hochdurchsatzverfahren unzählige Substanzen, ob sie in einem Test einen „Hit“ liefern, also eine bestimmte Wirkung zeigen. Die automatisierten Eignungstests schlagen an, wenn eine Substanz etwa ein bestimmtes Bakterienprotein hemmen oder das Wachsen von Krebszellen verhindert werden. Mit solchen Screenings kann aber immer nur eine bestimmte Eigenschaft des Moleküls abgefragt werden, für jede neue Fragestellung muss das Testsystem angepasst werden. Statt wenige Substanzen umfassend zu charakterisieren, erhalten die Wissenschaftler auf diese Weise immer genau eine Information über eine große Menge von Substanzen.
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„Wir müssen alles über eine Substanz erfahren“
Die Screening-Einheit am Leibniz-Institut für Molekulare Pharmakologie in Berlin ist eine der wenigen Einrichtungen, deren Plattform offen für Forschungsprojekte von externen Partnern ist. „Die Wissenschaftler melden sich bei uns an und erklären ihren Test. Wir bringen diesen dann in ein Format, so dass er automatisiert verarbeitet werden kann“, erläutert Jens-Peter von Kries, verantwortlich für die Screening-Unit am Berliner FMP.
Das Problem: Die meisten europäischen Labore arbeiten voneinander vollkommen unabhängig, jedes widmet sich einer eng abgegrenzten Fragestellung. Dass andere Forscher mit derselben Substanz in anderen Testsystemen völlig andere, eventuell auch unerwünschte Wirkungen finden, bleibt so im Dunkeln. „Wir müssen alles über eine Substanz erfahren. Nur so können wir ihren biologischen Wirkmechanismus verstehen und auch etwaige Nebenwirkungen so früh wie möglich erkennen“, sagt Ronald Frank vom Leibniz-Insitut in Berlin, der als Projektkoordinator für das von der EU finanzierte Projekt EU-OPENSCREEN fungiert. Das Ziel: eine europaweite offene, zentrale Datenbank schaffen.
Darin sieht der Chemiker Frank eine Lösung des bisherigen Problems. Denn im Zusammenführen der bisher verstreuten Informationen können die Screening-Labore über die Landesgrenzen hinweg vernetzt und so für andere Forscher geöffnet werden. Dafür stellt die Europäische Kommission 3,7 Millionen Euro zur Verfügung. In den nächsten drei Jahren sollen sich so 17 Projektpartner aus zwölf Staaten auf eine gemeinsame Lösung verständigen, Messmethoden vereinheitlichen und Datenbanken zentralisieren. Vorher müssen aber noch wichtige Fragen geklärt werden. Sie betreffen nicht nur rechtliche Fragen, sondern auch administrative Details und wissenschaftliche Arbeitsweisen.
Standards für Testverfahren und Zelllinien entwickeln
So wollen die Forscher zum Beispiel klären, in welcher Organisationsform die in ganz Europa verteilten Projektpartner überhaupt zusammenarbeiten sollen. Auch in Sachen Patentierbarkeit der Ergebnisse gilt es eine tragfähige Lösung zu entwickeln. Wie kann gewährleistet werden, dass so viele Daten wie möglich offen zugänglich sind, während neu identifizierte Wirkstoffkandidaten oder Zielstrukturen gleichzeitig durch Patente geschützt werden? Einigen müssen sich die Forscher auch auf einen gemeinsamen Standard bei den Testverfahren, erst dann können sie alle Ergebnisse in einer Datenbank zusammenführen.
EU-OPENSCREEN |
EU-OPENSCREEN wird im Rahmen der Europäischen Strategie für Forschungsinfrastruktur (ESFRI) gefördert. Mehr zu ESFRI: hier klicken Mehr zu EU-OPENSCREEN: hier klicken |
Darüber hinaus müssen sie gemeinsame Qualitätsstandards für die verwendeten Chemikalien und Zelllinien finden. "Am Ende des Prozesses steht ein Businessplan, wie sich die Initiative künftig tragen kann", erklärt Projektkoordinator Frank.
Die Hoffnungen, die er in das über einen Zeitraum von drei Jahren laufende Projekt setzt, sind groß: „Dass Weichmacher in Kunststoffen Menschen und Tiere unfruchtbar machen können, hätte man mit vernetzten Testsysstemen vielleicht rechtzeitig gefunden." Die neue Infrastruktur könnte dafür sorgen, dass die Wissenschaftler solch komplexe Wirkmechanismen in Zukunft schneller erkennen.