Datenbanken nach wertvollen Enzymen für die Medizin abgrasen

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Die Struktur eines Enzyms ist komplex, kleine Änderungen führen zu ganz anderen Eigenschaften. Greifswalder Forscher fahnden nach mediznisch wertvollen Varianten. Quelle: Universität Chicago

30.09.2010  - 

Matthias Höhne war Doktorand in Uwe Bornscheuers Arbeitsgruppe am Biochemie-Institut der Universität Greifswald, als er den entscheidenden Algorithmus fand. Mit dieser mathematischen Formel ist es es den Wissenschaftlern nun möglich, die genetischen Baupläne von Enzymen systematisch nach bestimmten Eigenschaften abzuklopfen. Mit der Methode durchsuchen die Forscher öffentlich zugängliche Datenbänke und haben so bereits 17 Enzyme gefunden, die interessant für die Herstellung von  Medikamenten sein könnten. Über ihre wirtschaftlich interessante Entdeckung berichten die Biokatalyse-Experten in der Fachzeitschrift Nature Chemical Biology (Online-Veröffentlichung, 26. September 2010).



 

Beinahe jeder hat schon einmal eine Aspirintablette zu sich genommen.  Die darin enthaltene Acetylsalicylsäure ist ein Beispiel für einen Wirkstoff, der auf chemischem Weg hergestellt wird, so wie die meisten Medikamente, die derzeit produziert werden. Doch sind die Möglichkeiten der Chemie beschränkt. Immer stärker nachgefragt sind deshalb biotechnologisch hergestellte Medikamente. Die Natur kann nämlich weitaus komplexere Strukturen und damit ganz neue Wirkstoffe zusammenbauen als selbst der findigste Chemiker.

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Uwe Bornscheuer an seinem Arbeitsplatz im Institut für Biochemie der Universität Greifswald.Quelle: Jan Meßerschmidt / Universität Greifswald

Linke und rechte Hand

Für die Produktion von Medikamenten werden neben Bakterien oder Tierzellen auch gerne einzelne Enzyme eingesetzt, die bestimmte Wirkstoffmoleküle herstellen. Besonders wichtig ist dabei, dass diese Enzyme tatsächlich nur dieses eine Molekül herstellen. Eine Mischung mehrerer unterschiedlicher Wirkstoffmoleküle, auch wenn sie nur minimal voneinander abweichen oder spiegelbildliche Kopien voneinander sind, kann zu verheerenden Nebenwirkungen führen. „Man muss sich das so vorstellen, dass es spiegelbildliche Moleküle gibt, die sich wie eine linke und rechte Hand unterscheiden. Setzt man beide Formen als Gemisch ein, kann es zu schweren Nebenwirkungen kommen, wie dies Anfang der 60iger Jahre durch die Einnahme von Contergan zu schweren Missbildungen bei Neugeborenen führte", erläutert Uwe Bornscheuer, Leiter der Abteilung Biotechnologie & Enzymkatalyse am Institut für Biochemie der Ernst-Moritz-Arndt Universität Greifswald und ein anerkannter Biokatalyse-Spezialist (mehr...).

Um präzise das gewünschte Molekül herzustellen, werden inzwischen oft Enzyme verwendet. Denn anders als chemische Verbindungen weisen Biokatalysatoren oft eine hohe Selektivität auf, können also bei der Umwandlung ganz genau vorgehen. Diese hochselektiven Enzyme müssen aber erst einmal aus der Masse an existierenden Enzymen herausgefiltert werden, aus der Natur oder aus  großen Enzymbibliotheken mit mehreren 10.000 Varianten. Eine weitere Möglichkeit ist es, die Enzyme am Computer Stück für Stück nachzubauen.  Die Idee der Biokatalyse-Experten um Bornscheuer war es nun, nicht immer wieder selbst Enzyme zu analysieren, sondern das bereits vorhandene Wissen aus derartigen Untersuchungen intelligent zu nutzen. Denn in  frei zugänglichen wissenschaftlichen Datenbanken lagern die genetischen Sequenzen von Hunderttausenden verschiedener Enzyme. Diese Rohcodes müssen nur richtig gelesen werden, so die Annahme.

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Data-Mining für Enzyme

„Der Zuwachs an Detailinformationen über Proteine in den wissenschaftlichen Datenbanken ist in den vergangenen Jahren exponential angestiegen. Die Kunst und Herausforderung besteht nun darin, die Daten zu analysieren und so in Beziehung zu setzen, dass man genau die Enzyme findet, die so extrem bedeutsam sind“, erläutert Uwe Bornscheuer. Genau das bewerkstelligt ein mathematischer Algorithmus, den Matthias Höhne entwickelte, damals noch Doktorand in der Arbeitsgruppe von Uwe Bornscheuer. Mit der Formel können die genetischen Datensätze computergestützt auf interessante Sequenzen und damit interessante Eigenschaften der daraus entstehenden Enzyme abgeklopft werden. Das Auswerten von Datenbanken, sogenanntes Data-Mining, fasst in der Biologie immer mehr Fuß. So sucht das schweizerische Start-Up-Unternehmen Mondobiotech in wissenschaftlichen Veröffentlichungen nach kleinen Proteinen, die als Therapeutika für seltene Erkrankungen eingesetzt werden könnten. Aussichtsreiche Medikamentenkandidaten werden von den Schweizern weiterentwickelt und schließlich an Pharmafirmen auslizenziert.

Nach einem ähnlichen Prinzip verfahren die Greifswalder. Dort waren die Forscher erstaunt, wie schnell sie in Datenbanken fündig wurden. Innerhalb weniger Wochen konnten 17 Enzyme identifiziert werden. Derzeit wird die Methode nur bei einer bestimmten Untergruppe von Enzymen eingesetzt, den sogenannten Transaminasen. Transaminasen sind an einer zentralen Stelle im Stoffwechsel aller lebenden Organismen tätig. Das ist mediznisch bedeutsam und damit auch wirtschaftlich interessant. Deshalb arbeitet das Team auch mit dem schweizerischen Biopharmazie-Spezialisten Lonza zusammen, der leistungsfähige Enzyme gut gebrauchen kann.

Vom Wissenschaftler zum Unternehmer

Und nicht zuletzt hat Uwe Bornscheuer 2009 mit Enzymicals selbst eine Firma gegründet, die sich der Entwicklung innovativer Biokatalysatoren verschrieben hat. Das Start-Up aus Greifswald, das in der ersten Phase Fördergelder aus dem Exist-Programm des Bundeswirtschaftsministeriums erhalten hat, will sich in langer Sicht auf dem Markt für Feinchemikalien etablieren. Kurzfristig soll das Geld zunächst mit speziellen Enzymen verdient werden, die als Arbeitstiere für die chemische Industrie gelten - zum Beispiel sogenannte Monooxygasen oder Schweineleber-Esterasen, für die die Greifswalder ein biotechnologisches Produktionsverfahren entwickelt haben. "Enzymicals ist der Verwertungskanal der Arbeitsgruppe von Prof. Uwe Bornscheuer“, erläutert Ulf Menyes, seit Anfang 2010 als Chef der Firma mit an Bord. Denn Bornscheuer versteht sich nicht nur als Wissenschaftler, er will seine Arbeit auch kommerziell verwertet sehen. Nicht zuletzt aus diesem Grund stehen Kooperationen mit der Wirtschaft schon lange auf der Tagesordnung.  "Die Zusammenarbeit zwischen einem akademischen Institut und einem Chemiekonzern gestaltet sich aber nicht immer einfach. Zwei Firmen können viel unkomplizierter miteinander kooperieren“, so Bornscheuer. So denke die Universitätsforschung vor allem in Veröffentlichungen, Doktorarbeiten oder gar Habilitationen. „Problematisch sind kurzfristige Anfragen aus der Industrie, die für das Unternehmen zwar wichtig sind, sich aber nicht in Veröffentlichungen niederschlagen“, so der Professor weiter. Mit dem Start up gehe nun vieles leichter. Dienstleistungsaufträge können jetzt über Enzymicals abgewickelt werden. Dazu hat sich das Unternehmen mit einem Sitz im Biotechnikum Greifswald und eigener fünfköpfiger Belegschaft von der Universität abgenabelt. Patente, die im Arbeitskreis Bornscheuer entwickelt wurden, können von der Enzymicals exklusiv genutzt werden und werden von der Patentverwertungsagentur in Rostock übertragen. Zudem wurde ein Nutzungsvertrag mit der Universität für bestimmte Großgeräte abgeschlossen, auf die Enzymicals angewiesen ist.

Inzwischen haben die Greifswalder auch schon das Interesse von Branchengrößen geweckt. Im Sommer hat Enzymicals eine Anschubfinanzierung der Zwingenberger Brain AG erhalten. Das mittelständische Biotech-Unternehmen, das mit ihrem Gründer Holger Zinke inzwischen als Urgestein der industriellen Biotechnologie in Deutschland gilt (mehr...),  hat einen Minderheitsanteil gezeichnet. "Brain ist ein strategischer Partner", so Menyes. "Gemeinsam können wir in den Markt für Feinchemikalien schneller einsteigen", betont Jürgen Eck, Wissenschaftsvorstand der Brain AG und Aufsichtsrat beim Start up.

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