Mit Haut und Haaren

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Noch sind die künstlichen Haare, die an der Technischen Universität Berlin entstehen, ein wenig magerer als die Vorbilder aus der Natur. Quelle: Gerd Lindner / TU Berlin

19.10.2009  - 

Die menschliche Haut ist nicht nur das größte Organ des Menschen, sondern als Grenze und Kontaktstelle zur Außenwelt auch eines der wichtigsten. Haut im Labor möglichst originalgetreu nachzubauen und zu züchten, dafür interessieren sich deshalb nicht nur Mediziner, die Verbrennungsopfern helfen wollen. Sondern auch die Kosmetikindustrie,  die neue Substanzen erst einmal auf künstlich gezüchteter Haut testen lässt, bevor erste Versuchspersonen damit in Berührung kommen. Forscher der Technischen Universität Berlin haben mit Unterstützung des BMBF ein Hautmodell entwickelt, dass nicht mehr nur aus Zellen  der Haut, sondern aus Zellen des Haares entsteht. Jetzt versuchen sie die künstliche Haut selbst mit Haaren zu versehen - wie im richtigen Leben.



Im Labor nachgebaute und nachgezüchtete Haut hat zwei bedeutende Anwendungsfelder. In der Medizin ist sie oft die letzte Rettung für Patienten, die schwere Verbrennungen erlitten haben. In der Kosmetikindustrie werden die Hautpartien aus der Kulturschale dafür verwendet,  neue Substanzen zu testen. Denn bevor neue Cremes, Lotionen oder Lippenstifte auf den Markt kommen, müssen sie natürlich auf ihre Hautverträglichkeit untersucht werden. Da Tierversuche für diesen Zweck in Deutschland mittlerweile verboten sind, ist das Hautmodell eine kostengünstige und zuverlässige Alternative.

Der angefärbte Querschnitt durch ein künstliches Haarfollikel. Es hat sich aus zwei Typen von adulten Stammzellen gebildet.Lightbox-Link
Der angefärbte Querschnitt durch ein künstliches Haarfollikel. Es hat sich aus zwei Typen von adulten Stammzellen gebildet.Quelle: Gerd Lindner/ TU Berlin

Haarzellen bilden bei Verletzungen frische Haut nach  
Um die menschliche Haut, die aus mehreren Schichten besteht, möglichst originalgetreu nachzubauen, gehen die Wissenschaftler bisher folgendermaßen vor: Aus menschlicher Haut, die dem Patienten entnommen wurde oder die bei Operationen angefallen ist,  isolieren sie zwei unterschiedliche Zelltypen: Die dermalen Fibroblasten (Unterhaut) und die hornbildenden Zellen, die Keratinozyten. Zunächst bettet man die Fibroblasten in eine Proteinlösung ein. Darauf werden die Keratinozyten ausgesät. Nach drei Wochen hat sich aus ihnen dann die Oberhaut gebildet. Der große Vorteil dieses Modells ist zugleich auch seine große Schwäche. Es basiert auf ausgebildeten Hautzellen, die in der Kulturschale das tun, was sie am besten können: Haut bilden. Allerdings wird für dieses Verfahren als Keimquelle immer eine Biopsieprobe benötigt. Das kann etwa bei Patienten mit großflächigen Verbrennungen ein Problem sein. Außerdem dauert es ziemlich lange, bis das Ganze wächst. Denn ausdifferenzierte Zellen teilen sich in einem eher behäbigen Turnus.

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Wissenschaftler an der Technischen Universität Berlin hoffen nun, mit einem neuen Verfahren beide Probleme auf einen Schlag zu lösen. Ihnen genügen wenige Haare, um beinahe beliebig viel neue Haut entstehen zu lassen. Was hat nun aber die Haut mit den Haaren zu tun? Was zunächst erstaunlich klingt, fußt auf einer Beobachtung, die Mediziner schon vor längerem gemacht haben. Falls die Haut verletzt wird, wandern adulte Stammzellen aus den Haaren um die Verletzung herum zur Wunde, um bei der Regeneration der Haut zu helfen. Stammzellen aus dem Haar sind also in der Lage, Haut zu bilden.  Und das nicht nur im Körper, sondern auch im Reagenzglas. Das haarbasierte Verfahren hat mehrere Vorteile. Abgesehen davon, dass ein Haar leichter ausgerissen ist als ein Stück Haut herausgeschnitten, teilen sich adulte Stammzellen auch viel schneller als ausdifferenzierte Hautzellen. Das heißt, es dauert nicht so lange, bis eine künstliche Hautpartie herangezüchtet ist. Werden zudem die Stammzellen des Patienten verwendet,  gibt es keine Abstoßungsreaktion. Die Biotech-Firma Euroderm vertraut auf denselben Mechanismus, um Haut herzustellen, die Patienten mit chronischen Hauterkrankungen transplantiert werden kann.

Projekt Haarfollikelstammzellen
Die Arbeitsgruppe "Haarfollikelstammzellen" ist im Fachgebiet Medizinische Biotechnologie an der Technischen Universität Berlin angesiedelt.
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Im neuen Bioreaktor müssen die Zellen nicht mehr begossen werden

Um dieses Verfahren zu etablieren, hat sich die Arbeitsgruppe um Gerd Lindner an der Technischen Universität Berlin mit dem Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, dem Max Planck Institut für Biochemie in Martinsried und  der Probiogen AG zusammengetan. Das Projekt, das von 2005 bis 2009 lief, wurde vom Bundesministerium für Bildung und Forschung mit 1,3 Mio Euro unterstützt. Das Berliner Unternehmen Probiogen, das sich auf die Kultivierung von Zellen spezialisiert hat, steuerte dabei einen speziell entwickelten Bioreaktor bei, der das Hautmodell ständig mit Nährlösung versorgt. "Bisher herrschte das Batch-Verfahren vor", sagt Reyk Horland, der mit Gerd Lindner an der TU Berlin zusammenarbeitet. "Da wurde alle drei Tage neu gegossen, was der natürlichen Situation der Hautzellen nicht entspricht." Der neuartige Bioreaktor simuliert die Verhältnisse im Körper weitaus genauer.

Den Berliner Forschern fiel in dem Verbund die Aufgabe zu, die Stammzellen aus dem Haar zu isolieren,  zu vermehren und schließlich sicherzustellen,  dass sie ihre vielseitigen Eigenschaften bei alle dem nicht verlieren. Schon der erste Schritt, die Isolation, ist dabei nicht gerade einfach. "Im Haarfollikel gibt es zwei Arten von adulten Stammzellen", erklärt Horland, "mesenchymale und epitheliale Stammzellen." Erstere sind einfach zu finden, sie lassen sich durch das Mikroskop erkennen. Die epithelialen Stammzellen dagegen sind problematischer. Noch gibt es nämlich keine Methode, sie einwandfrei zu markieren und aus der Umgebung in der Wulstregion des Haarfollikels herauszufischen. Sie müssen über einen Umweg gewonnen werden. Die Forscher lassen spezielle Enzyme über Haarfollikel herfallen und sie "verdauen". In dem resultierenden Brei kommen mehrere Arten von Zellen vor, auch die gesuchten epithelialen Stammzellen.

Haarfollikel sind komplette Organe in sich, sagt Reyk Horland von der Technischen Universität Berlin.Lightbox-Link
Haarfollikel sind komplette Organe in sich, sagt Reyk Horland von der Technischen Universität Berlin.Quelle: Gerd Lindner / TU Berlin

Die letzte Evolutionsstufe: Künstliche Haut mit Haaren

Die beiden Stammzelltypen, die nach der Isolation zunächst kräftig vermehrt werden, reichen dabei aus, um eine künstliche Haut in der Kulturschale nachzubilden. Zunächst werden die Zellen des mesenchymalen Typs auf eine Unterlage, eine Matrix,  gegeben. Dort differenzieren sie sich in Hautzellen aus, die erste Schicht Haut entsteht. Nach einer Weile kommen  die epithelialen Stammzellen hinzu. Sie bilden sich zu hornbildenden Zellen oder Keratinozyten aus und bilden die nächste Schicht Haut. Am Schluss wird der Mediumstand im Bioeaktor so weit gesenkt, dass die obersten Zellen des Hautmodells mit der Umgebungsluft in Berührung kommen. Das ist für die Zellen wie in der Natur das Signal, die oberste Hautschicht, die Epidermis zu bilden. 

Aber auch dieses verbesserte Verfahren hat noch einen Nachteil. Auf der künstlichen Haut wachsen keine Haare. Das würde wiederum besonders die Hersteller von Hautcremes und Make-up interessieren. Ein Modell mit Haut und Haaren, die letzte Evolutionsstufe der künstlichen Haut, das ist deshalb die nächste Herausforderung, der sich die Berliner TU-Forscher stellen wollen. In den vergangenen Monaten  sind sie dabei einen großen Schritt vorangekommen. "Wir können einen künstlichen Haarfollikel herstellen", sagt Horland. Allerdings ist er noch etwas kleiner als die natürlichen Vorbilder, und auch das Haar, das daraus entspringt, ist dünner. Im Prinzip aber dem natürlichen Haar  sehr ähnlich.

Blutgefäße müssen die künstlichen Haare versorgen

Genauso wie das Hautmodell entsteht der Haarfollikel  aus den beiden Stammzelltypen. Damit sie aber diesmal keine Haut, sondern Haare bilden, schubsen die Forscher sie in die richtige Richtung, indem sie ihnen in der Kulturschale im Labor genau die Umgebung nachbauen, die sie auch in der Natur haben. Diese sogenannte Stammzellnische ist offenbar entscheidend dafür, welche ihrer vielseitigen Rollen, die sie im Repertoire haben, die Zellen in diesem Moment annehmen. "Wir glauben, dass die Stammzellen eine Art Gedächtnis haben und sich daran erinnern, wo sie sind", sagt Horland. Und es scheint zu klappen.

Mit Hilfe der dreidimensionalen Umgebung erkennen die Stammzellen, dass sie sich gerade offenbar in einem Haarfollikel befinden und agieren entsprechend. Der Rest ist für die Wissenschaftler (fast) Routine. Wieder wird mit dem mesenchymalen Stammzellen begonnen, die als Grundlage dienen, dann kommen die epithelialen Stammzellen hinzu. Jetzt wird ein Mechanismus in Gang gesetzt, der auch draußen, auf unserem Kopf oder auf unserer Haut täglich abläuft. Die mesenchymalen Stammzellen senden Wachstumssignale an ihre epithelialen Kollegen: ein neuer Follikel und damit ein neues Haar entsteht.

Bis zur haarigen Haut ist es aber noch ein weiter Weg. Als nächstes wollen die Forscher die Follikel mit Blutgefäßen verbinden, um  sie über Tage und Wochen hinweg am Leben zu erhalten. Viele Kosmetiktests dauern 60 und mehr Tage. Dann müssen die künstlichen Follikel und die künstliche Haut "nur" noch kombiniert werden.  Bis diese Technik  dann einmal zur Massenware wird und den Millionen Menschen mit Haarausfall zugute kommt, werden wohl noch viele Toupets über den Ladentisch gehen. Die Berliner Forscher aber bleiben dran. "Das Patent ist schon eingereicht", sagt Teamleiter Lindner. "Jetzt suchen wir einen Partner in der Wirtschaft, mit dem wir unser Haar weiterentwickeln." 

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