Genetische Rasterfahndung im Großmaßstab

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Mit der groß angelegten Analyse winziger genetischer Veränderungen (SNPs) wollen Wissenschaftler Licht in den Dschungel der genetischen Ursachen von Krankheiten bringen. Quelle: NGFN

08.06.2007  - 

„SNPs“ (ausgesprochen als „snips“) sind unter Wissenschaftlern derzeit in aller Munde – bei Fachleuten als single nucleotide polymorphisms bekannt. Hinter diesem Begriff verbergen sich winzige genetische Abweichungen im Erbgut. Schätzungen zufolge gibt es 11 bis 13 Millionen dieser individuellen Merkmale in jedem menschlichen Genom und Forscher gehen davon aus, dass sie letztlich für die Einzigartigkeit jedes Menschen mit verantwortlich sind. In die systematische Analyse dieser SNPs werden große Hoffnungen gesteckt: Wissenschaftler wollen damit erstmals den tatsächlichen genetischen Ursachen von Krankheiten auf die Spur kommen. In Deutschland hat sich dabei unter dem Dach des Nationalen Genomforschungsnetzes (NGFN) ein großes Konsortium gebildet, das seit Herbst 2006 auf der Basis von SNPs eine der größten genetischen Rasterfahndungen dieser Art mit 25.000 beteiligten Patienten gestartet hat und erste Ergebnisse bis zum Ende diesen Jahres veröffentlichen will. Wie relevant solche Studien sein können, hat ein Netzwerks britischer Forscher jetzt bei einer ähnlich groß angelegten SNP-Analyse an 17.000 Patienten gezeigt. Wie sie in mehreren Artikeln in den Fachmagazinen Nature und Nature Genetics berichten, konnten mehr als 20 genetische Risikofaktoren für acht Krankheiten identifiziert werden.

Die genetischen Ursachen von Volkskrankheiten wie Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Parkinson oder Alzheimer sind bislang noch längst nicht im Detail geklärt – und wenn, dann existieren allenfalls Hinweise auf einzelne relevante Gene. Mithilfe der SNPs wollen Wissenschaftlern die komplexeren genetischen Zusammenhänge besser verstehen und im Detail entschlüsseln. 

Nationales Genomforschungsnetz (NGFN)Lightbox-Link

Das Nationale Genomforschungsnetz (NGFN) ist ein Zusammenschluss von hunderten, führenden Arbeitsgruppen aus ganz Deutschland, die sowohl in krankheitsbezogenen als auch technologisch-methodischen Netzen kooperieren und auf diese Weise die Funktion menschlicher Gene aufzuklären versuchen. Insgesamt 350 Millionen Euro hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) seit 2001 in das NGFN investiert, jetzt wurden zwei neue Initiativen gestartet.  

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Bisheriges Verständnis von Krankheiten wird umgeworfen

"Bisher waren nur einzelne Krankheitsgene in einem komplexen Konzert aus vielen zumeist unbekannten Genen bekannt. Mit den in immer neuen Runden durchgeführten SNP-Analysen werden wir nun für einige Krankheiten alle oder zumindest fast alle relevanten Krankheitsgene kennen lernen“, erläutert Stefan Schreiber, Medizinprofessor von der Universitätsklinik Kiel und Sprecher des Projektkommitees des Nationalen Genomforschungsnetzes (NGFN).  Im Rahmen dieses vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Forschungsnetzwerkes läuft seit Herbst 2006 ein groß angelegtes SNP-Projekt. Hierbei sollen 25.000 Patienten, verteilt auf insgesamt 25 Krankheiten, auf jeweils bis zu einer Million SNPs untersucht werden. Die Daten werden dabei jeweils mit denen gesunder Probanden verglichen, um etwaigen verräterischen, krankheitsrelevanten SNPs auf die Spur zu kommen. „Es wird uns gelingen, ein genetische Risikokarte für die entsprechenden Krankheiten zu erstellen und mit diesem Wissen wiederum in Biobanken zu gehen, um dort nach relevanten Biomarkern zu suchen“, erklärt Schreiber die Marschroute für die nächste Zeit. Anders als mit bisherigen Methoden würden sich damit erstmals die tatsächlichen Ursachen der Krankheiten aufspüren lassen, was langfristig auch die Medikamentenentwicklung nachhaltig beeinflussen wird. „Die neuen Erkenntnisse verändern unser komplettes bisheriges Verständnis von Krankheiten, die ganze Hypothesengebäude zur Therapieentwicklung umwerfen“, prognostiziert Schreiber.

Biobanken sind eine Fundgrube für Wissenschaftler.Lightbox-Link
Biobanken sind eine Fundgrube für Wissenschaftler.Quelle: BRK

Biobanken sind für Forscher wahre Fundgruben, weil sie biologische Proben mit medizinischen Daten von Spendern verknüpfen. Auf diese Weise ist es möglich, systematisch nach Ursachen für bestimmte Krankheiten zu suchen. In unserem Themendossier "Biobanken" haben wir für Sie alle wesentlichen deutschen und internationalen Biobanken auf einen Blick zusammengetragen.

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SNP-Analysen als Ausgangsbasis für Therapieentwicklung

Die genetischen Daten aus der SNP-Analyse sind für die Wissenschaftler also eine wichtige Ausgangsstation, von der aus eine Starthypothese über eventuell wichtige Gene bei der Entstehung einer Krankheit formuliert werden kann. Erst mithilfe einer Kombination dieser Daten mit medizinischen Fakten, wie dies bei Proben von Biobanken der Fall ist, können dann für die tatsächliche Diagnose oder Therapie relevante Informationen gewonnen werden. Diese können in der Praxis ganz unterschiedlich aussehen: Forscher erhoffen sich nicht nur die Entdeckung neuer Biomarker, die anzeigen, ob eine Erkrankung mit hoher Wahrscheinlichkeit ausbrechen wird, sondern auch welchen Verlauf sie nehmen wird, welche Therapie am besten anschlagen kann oder auf welches Medikament man womöglich getrost verzichten kann, weil es bei dieser oder jener Patientengruppe nicht wirken wird.

Weltweites Wettrennen um SNPs

Aufgrund solcher Visionen ist das Interesse an SNP-Analysen derzeit auf der ganzen Welt im Gange und neben dem deutschen NGFN-Konsortium, gibt es zwei andere groß angelegte Initiativen, die ähnliche Wege eingeschlagen haben: die vor einem halben Jahr gestartete GAIN-Initiative (Genetic Association Information Network) in den USA und das seit 2005 bestehende Welcome Trust Case-Control-Consortium (WTCCC) unter britischer Leitung. Letzteres besteht dabei aus 50 Forschungsgruppen mit rund 200 beteiligten Wissenschaftlern, die gerade in mehreren Artikeln der Fachmagazins Nature (u. a. 2007; Vol. 447, S. 661-678) und Nature Genetics erste Ergebnisse ihrer Analyse präsentieren konnten. Das Konsortium war vor zwei Jahren gestartet, um insgesamt 10 Milliarden SNPs von 17,000 Patienten auf acht Krankheiten hin zu untersuchen.

Morbus Crohn und Typ II Diabetes teilen genetische Risikofaktoren

Wie die aktuellen Veröffentlichungen zeigen, konnten insgesamt 24 genetische Risikofaktoren (einzelne Gene oder Genregionen) identifziert werden, die offenbar eine wesentliche Rolle bei den untersuchten Kranheiten spielen. Während die Hälfte bereits alte Bekannte der Wissenschaft sind, wurden die anderen zwölf bislang noch nicht mit den untersuchten Kranheiten in Verbindung gebracht. Neue Erkenntnisse konnten insbesondere für die Autoimmunkrankheit Morbus Crohn und für Typ II Diabetes gewonnen werden. Überraschend war dabei beispielsweise die Entdeckung, dass beide offenbar eine genetische Veranlagung teilen, nämlich das Gen PTPN2. „Diese Erkenntnis ist ein hoffnungsvoller Weg für uns zu verstehen, wie diese beiden Krankheiten entstehen. Die Signalwege, die zu Morbus Crohn führen, sind ziemlich gut verstanden und wir hoffen, dass Therapieerfolge bei dieser Krankheit auch bei der Behandlung von Diabetes Typ II weiterhelfen“, sagt John Todd von der Cambridge Universität.

Mit SNP-Analysen wollen Forscher erstmals tatsächlich die genetischen Ursachen von Krankheiten entschlüsseln.Lightbox-Link
Mit SNP-Analysen wollen Forscher erstmals tatsächlich die genetischen Ursachen von Krankheiten entschlüsseln.Quelle: NGFN
Professor Schreiber vom deutschen Projekt sieht in den Ergebnissen der britischen Forscher eine grundsätzlicheBestätigung des Untersuchungsansatzes. „Die Daten zeigen aber auch, dass sich mit einem Screening allein nicht alle Fragen beantworten lassen. Nicht zuletzt kommt es darauf an, die richtige Auswahl aus den 13 Millionen Polymorphismen des Humangenoms zu treffen“, so der Mediziner. Die Deutschen haben dabei im Vergleich zu den Briten eine besonders rigorose Definition des Phänotyps gewählt und untersuchen Daten aus einer Bevölkerungsgruppe, die genetisch sehr ähnlich ist.  Dabei kooperieren die Wissenschaftler sowohl mit einer norddeutschen als auch einer süddeutschen Biobank, die beide im Rahmen des NGFN etabliert wurden (Popgen und Koragen). Gleichzeitig wollen sich die Deutschen darauf konzentrieren, auch krankheitsübergreifende Gene aufzuspüren. Der statitistische Aufwand und die Rechenkapazitäten, die beim Projekt benötigt werden, sind dabei gewaltig. Werden pro Krankheit 500.000 SNPs in 1.000 Patienten zugrundegelegt, gilt es 500 Millionen Patienten-Genotypen mit 500 Millionen Kontrollen zu vergleichen. „Wir erwarten, dass die ersten Ergebnisse im Laufe eines halben Jahres vorliegen und noch in diesem Jahr der Öffentlichkeit präsentiert werden können,“ so Schreiber.

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Herausgeber: NGFN gefördert vom BMBF Download PDF (3,8 MB)