Tobias Hartmann: Alzheimer aufhalten

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Tobias Hartmann hat sich der Alzheimerforscher verschrieben und will Wege finden, die Krankheit zu stoppen. Quelle: Hartmann

28.03.2008  - 

Alzheimer ist eine heimtückische Krankheit. Unaufhaltsam lässt bei einem Patienten die Erinnerung nach, unaufhaltsam verstärkt sich die Demenz, unaufhaltsam nähert sich der Tod. Unaufhaltsam? "Wenn man einen Patienten sieht, bei dem unsere neue Therapie den Krankheitsfortschritt aufhalten konnte, dann freut das einen. Dann weiß man, man hat etwas bewegt", sagt Tobias Hartmann. Vor einigen Jahren hat der Biologe aufgedeckt, wie die Entwicklung der Alzheimer-Krankheit mit dem Fettstoffwechsel zusammenhängt. Heute entwickelt er am Institut für Neurobiologie des Universitätsklinikums des Saarlandes eine Therapie, von der er glaubt, dass sie die Krankheit stoppen kann.

Alzheimer entsteht, wenn sich ein spezielles Eiweiß im Gehirn ansammelt und verklumpt. Das hatte schon vor mehr als 100 Jahren Alois Alzheimer festgestellt, als der die Krankheit erstmalig beschrieb. Doch erst in den 1980er Jahren hat der Forscher Konrad Beyreuther herausgefunden, was das für ein Eiweiß ist, das die Nervenzellen blockiert. Er nannte den Stoff, dessen Sequenz er analysiert hatte, „Amyloid Beta“. Die Wissenschaftler gingen damals davon aus, dass Amyloid Beta nur ein Abbauprodukt ist, aber sonst keine Funktion besitzt. Also Abfall, der das Gehirn verstopft.

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Das Team von Tobias Hartmann ist Teil des Nationalen Genomforschungsnetzes, das mehr als hundert Arbeitsgruppen aus ganz Deutschland vereint, die sich mit der Aufklärung der Funktion menschlicher Gene beschäftigen. Ein Schwerpunkt der Arbeiten bilden neurodegenerative Erkrankungen.


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In den 90er Jahren forschte Hartmann an seiner Promotion in der Arbeitsgruppe von Beyreuther in Heidelberg, als er eine Beobachtung machte, die ihn an der gängigen Lehrmeinung zweifeln ließ: Der Biologe arbeitete mit Zellen, die er in Kulturschalen vermehrte. Normalerweise werden Zellen in einer Nährflüssigkeit gezüchtet, die einen Extrakt aus dem Blut von Kuh-Embryonen, sogenanntes Fetales Kälberserum, enthält. Wenn seine Zellen diesen Extrakt nicht bekamen, dann produzierten sie kein Amyloid Beta. „Das war eine Beobachtung, die wahrscheinlich schon Dutzende Doktoranden vor mir gemacht hatten, aber die haben sich nicht weiter darum gekümmert“, vermutet Hartmann. Für ihn hatte diese Entdeckung Brisanz. Denn irgendein Stoff musste im Kälberserum enthalten sein, der die Produktion von dem Alzheimer-Auslöser Amyloid Beta ankurbelt.

Wie Cholesterin und Alzheimer zusammenhängen

Nun war seine wissenschaftliche Neugierde geweckt. Waren es die Eiweiße, die die Wirkung hervorriefen? Hartmann zerstörte alle Eiweiße im Serum, doch auch dann noch produzierten die Zellen Amyloid Beta. Auch an den Salzen lag es nicht. Ein befreundeter Kollege fand die Lösung des Rätsels: Es war das Fett Cholesterin, das die Zellen dazu anregte, mehr Amyloid Beta herzustellen. Es könnte also einen Zusammenhang mit dem Fettstoffwechsel geben. Aber welchen?

Cholesterin ist ein Stoff, mit dem sich viele Mediziner beschäftigen. Sie vermuten, dass ein erhöhter Cholesterinspiegel zu Herzerkrankungen führt. Es gibt Medikamente, die Statine, die in der Lage sind, den Cholesterinspiegel zu senken. Kurz nach seiner Entdeckung begann Hartmann eine kleine medizinische Studie mit Alzheimer-Patienten, denen er sechs Monate lang hoch dosiert Statine gab. Das Ergebnis war, dass Patienten im frühen Stadium fitter waren, als Patienten der Kontrollgruppe. Durch Statine konnte also der Krankheitsfortschritt aufgehalten werden. Doch damit die neue Therapie gegen Alzheimer eingesetzt werden kann, muss sie an sehr viel mehr Patienten getestet werden, und für eine solche große medizinische Studie fehlte Hartmann zunächst das Geld. Die Pharmaindustrie war zu dem Zeitpunkt nicht interessiert, weil mit Statinen kaum Geld verdient werden kann: das Patent ist abgelaufen.

Ein geschlossener Regelkreis: Amyloid-ß-Proteine steuern die Produktion der Fettsorten Cholesterin und Sphingomyelin, die wiederum die Herstellung der Amyloid-Proteine kontrollieren. Lightbox-Link
Ein geschlossener Regelkreis: Amyloid-ß-Proteine steuern die Produktion der Fettsorten Cholesterin und Sphingomyelin, die wiederum die Herstellung der Amyloid-Proteine kontrollieren.

Parallel dazu wollte Hartmann herausfinden, welche Rolle Amyloid Beta im Fettstoffwechsel spielt. Er züchtete Mäuse, bei denen er ein bestimmtes Gen ausgeschaltet hatte: Das Gen für den Stoff, der Amyloid Beta produziert. Seine Mäuse besaßen also nicht mehr den Alzheimerstoff. Dann schaute Hartmann, wie sich das auf den Fetthaushalt auswirkt. „Ich dachte: Mist, das ist zu gut, um wahr zu sein“, erinnert sich der Wissenschaftler. Der Cholesterinspiegel war doppelt so hoch wie normal. „Wir wussten, wir haben eine wichtige Entdeckung gemacht, konnten sie nur noch nicht einordnen. Damit hatten wir den Schlüssel zu einem Schatzkasten gefunden, wussten nur noch nicht, was drin ist.“

Heute weiß Hartmann, was drin war in dem Schatzkasten: Amyloid Beta ist Teil eines Regelkreises, der den Cholesterinspiegel lenkt (2005, Nature Cell Biology, Vol. 7, Nr. 11, S.1118-23)  Ist viel Cholesterin vorhanden, dann wird die Produktion von Amyloid Beta angekurbelt. Amyloid Beta wiederum hemmt ein Enzym, das wichtig ist für die Cholesterinproduktion. Der Cholesterinspiegel sinkt. Der Alzheimerstoff ist also kein Abfallprodukt, sondern ein wichtiger Teil unseres Stoffwechsels.

Alzheimer und Ernährung
Wenn Alzheimer mit dem Fettstoffwechsel zusammenhängt, dann lässt sich über eine gezielte Ernährung der Verlauf der Krankheit womöglich aufhalten. Dieser These geht ein Konsortium um Hartmann seit Ende 2007 im Projekt "LIPIDIDIET" auf den Grund, das von der Europäischen Union mit acht Millionen Euro gefördert wird.

Mehr Informationen: http://lipididiet.eu/

Alzheimer ist eine Krankheit, die jeder bekommt

Doch wenn es ein so normaler Stoff ist, warum macht er dann krank? Im Gehirn kann Amyloid Beta nur schlecht abgebaut werden und reichert sich über die Jahre an. „Dass wir so alt werden, ist in der menschlichen Evolution etwas Neues“, glaubt Hartmann. Deshalb musste der Mensch im Laufe der Evolution keinen Mechanismus gegen diesen Stoff entwickeln. „Heute werden wir immer älter, Alzheimer ist eine typische Alterserscheinung.“ Nach der Einschätzung von Hartmann bekäme jeder Mensch Alzheimer, wenn er nur alt genug würde. „Die meisten sterben aber lange bevor die Krankheit ausbrechen würde.“

Doch Hartmann hat Hoffnung: „Vom Prinzip ist die Krankheit Alzheimer wunderbar zur Heilung geeignet, weil sie so klar von der Konzentration eines Stoffes abhängt, und diese Konzentration nur geringfügig gesenkt werden müsste.“ Gerade beginnt die große medizinische Studie an Alzheimerpatienten im frühen Stadium, für die noch vor sechs Jahren das Geld fehlte. Das Geld dazu fließt unter anderem aus Förderprogrammen der Deutschen Forschungsgemeinschaft und dem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) aufgelegten Programm "Innovative Therapien". Wenn stimmt, was Hartmann vermutet, dann gibt es bald ein Mittel, das Alzheimer aufhält.


Autor des Textes: Ragnar Vogt

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