Peter Dürre: Erforschung eines Bakteriums, das einst auch Politik machte

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Prof. Dr. Peter Dürre, Direktor des Instituts für Mikrobiologie und Biotechnologie der Universität Ulm Quelle: Dürre

08.10.2006  - 

Peter Dürre ist seit 1995 Direktor des Instituts für Mikrobiologie und Biotechnologie der Universität Ulm. Bereits seit seiner Doktorarbeit ist der Mikrobiologe ausgewiesener Spezialist für anaerobe Bakterien - also solchen, die für ihren Stoffwechsel nicht auf Sauerstoff angewiesen sind. Heute beschäftigt sich der Professor unter anderem mit der Frage, wie man in großem Maßstab Lösungsmittel mit Hilfe von Mikroorganismen möglichst ökonomisch produzieren kann. Sein Versuchsorganismus ist das Bakterium Clostridium acetobutylicum, das nicht nur Lösungsmittel produziert und Krebs erkennen kann, sondern auch schon Politik gemacht hat.

Ursprünglich wollte Peter Dürre eigentlich gar nicht Biologie, sondern Biochemie studieren. „Da dies in den siebziger Jahren in Deutschland aber nur an zwei Stellen möglich war, die für mich nicht in Frage kamen, entschied ich mich für die Biologie“, erzählt er. Und kam über einen Umweg, nämlich die Erkundung von Stoffwechselwegen in Bakterien, dann doch noch zur Biochemie.

An Studium und Promotion schlossen sich zwei Jahre Postdoc-Zeit an der University of California in Berkeley an, die ihm die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) ermöglichte. „Eine tolle Gegend dort“, schwärmt Dürre von der Zeit in den USA. Hier begann der Mikrobiologe auch erstmals, bakterielle Regulationsmechanismen mit molekularbiologischen Techniken zu erkunden: Zunächst am Beispiel des Bakteriums Salmonella typhimurium, dann übertrug Dürre die Methodik auf anaerobe Organismen, die für ihren Stoffwechsel nicht auf Sauerstoff angewiesen sind. Nach der Habilitationszeit in Göttingen folgte der Professor für Mikrobiologie der Ruf an die Universität Ulm, wo er seit 1995 das Institut für Mikrobiologie und Biotechnologie leitet und zudem noch Vizepräsident für Forschung ist.

Ein Bakterium von enormer biotechnologischer Bedeutung

Forschungsschwerpunkt des Ulmer Mikrobiologen ist die Arbeit mit dem strikt anaeroben Bakterium Clostridium acetobutylicum. Dieser Mikroorganismus wandelt Zucker zu den Universal-Lösungsmitteln Aceton, Butanol, Ethanol sowie den organischen Säuren Essig- und Buttersäure um und besitzt damit eine enorme biotechnologische Bedeutung. Bei der Herstellung von Lösungsmitteln mit Hilfe von Clostridien handelt es sich um die zweitgrößte Fermentation, die je auf der Erde stattgefunden hat: Beispielsweise konnte eine der größten Anlagen mit ihren 96 Fermentern mehr als 18 Millionen Liter Nährmedium umsetzen. Clostridium acetobutylicum hat aber erstaunlicherweise auch einen politischen Hintergrund: Das Bakterium wurde 1915 das erste Mal von Chaim Weizmann, dem ersten Präsidenten des Staates Israel, beschrieben.

Damals war der Chemiker noch britischer Staatsbürger und wurde mit der sensationellen Entdeckung der biologischen Lösungsmittelsynthese bekannt. Die Verfügbarkeit von Lösungsmitteln war letzten Endes entscheidend für den Erfolg der Alliierten im Ersten Weltkrieg, denn sie wurden für die Herstellung von raucharmer Munition (Kordit) benötigt. Ohne Zweifel ist die so genannte Balfour-Deklaration von 1917 (Heimstätte für das jüdische Volk in Palästina) ganz wesentlich durch Weizmanns Entdeckung mitbestimmt worden.

Herstellung von Chemikalien aus nachwachsenden Rohstoffen als Alternative zu Erdöl

Bis Mitte der fünfziger Jahre wurden Aceton und Butanol im industriellen Maßstab generell biotechnologisch produziert. Mit dem Aufkommen petrochemischer Verfahren wurde dieses Verfahren jedoch aus ökonomischen Gründen verdrängt, da Öl zunächst nicht allzu teuer war. Kostengründe sprechen auch heute noch gegen die biologische Fermentationsmethode, obwohl der Ölpreis in den letzten drei Jahrzehnten ständig gestiegen ist. Allerdings gewinnt die Produktion von Industriechemikalien aus nachwachsenden Rohstoffen vor dem Hintergrund schwindender fossiler Brennstoffe wieder mehr und mehr an Bedeutung. So kündigten die beiden großen Industrieunternehmen DuPont und BP kürzlich an, dass sie die biotechnologische Produktion von Butanol mit Beginn des Jahres 2007 wieder aufnehmen werden. Butanol dient als Benzinzusatz und hat gegenüber Ethanol den Vorteil, dass die Verbrennungs-Effizienz besser, die Substanz weniger flüchtig und daher in höherem Prozentsatz mit Benzin mischbar ist.

In Ulm beschäftigen sich die Mikrobiologen unter Leitung Dürres mit der Regulation der Lösungsmittelbildung in Clostridium acetobutylicum. Dabei wollen sie gezielt in Regulationsmechanismen von Stoffwechselwegen eingreifen, um neue Stämme des Bakteriums zu konstruieren. Damit könnte die Lösungsmittelproduktion kostengünstiger gestaltet werden und wäre eine echte Alternative zu Verfahren, die auf der Basis von Rohöl funktionieren. Denkbar ist es, in Zukunft nicht nur Zucker als Substrat zu verwenden, sondern auch Abfallstoffe der Landwirtschaft wie beispielsweise Cellulose einzusetzen.

Clostridium acetobutylicum kann noch mehr als nur Lösungsmittel produzieren

Der Mikroorganismus ist darüber hinaus aber auch noch zur Bildung von Endosporen befähigt, einem der wenigen bakteriellen Zelldifferenzierungsprozesse und eng mit der Lösungsmittelproduktion verknüpft. Die Sporenbildung sichert das Überleben der Bakterienzelle, denn sie entgeht damit der toxischen Wirkung von Lösungsmittel und Säure. In Ulm wollen  die Wissenschaftler um Dürre herausfinden, wie die Sporulation initiiert wird und welche Signale mit der Lösungsmittelbildung verknüpft sind.

Im Gegensatz zu Clostridium botulinum ist Clostridium acetobutylicum apathogen.Lightbox-Link
Im Gegensatz zu Clostridium botulinum ist Clostridium acetobutylicum apathogen.Quelle: Wikipedia

Im Gegensatz zu Clostridium botulinum ist Clostridium acetobutylicum apathogen (Foto: Wikipedia).

Außerdem beschäftigen sich die Forscher mit einer medizinisch orientierten Anwendung des Bakteriums. Im Gegensatz zum krankheitsauslösenden  Clostridium botulinum ist Clostridium acetobutylicum ein sogenannter apathogener Vertreter der Gattung Clostridium und für den Menschen absolut bedenkenlos. Die Wissenschaftler haben nun herausgefunden, dass dessen Sporen nur dann auskeimen, wenn kein Sauerstoff in der Umgebung vorhanden ist – so wie im Gewebe von Tumoren. Da sie ihr Ziel spezifisch erkennen, wollen Dürre und seine Kollegen in Ulm zukünftig rekombinante Sporen in der Krebstherapie einsetzen.

„Was mich an allen unseren Projekten besonders fasziniert, ist die Möglichkeit, vom reinen Grundlagenforscher zum direkten Anwender von Ergebnissen zu werden“, sagt Dürre. Clostridien alleine sind ihm deshalb auch noch nicht genug. Ein weiterer Mikroorganismus, mit dem sich der Professor für Mikrobiologie beschäftigt, ist der Akneerreger Propionibacterium acnes. Gemeinsam mit einer Göttinger Arbeitsgruppe wurde das Genom sequenziert, und die Forscher versuchen nun, anhand der Pathogenitätsfaktoren herauszufinden, wie Akne entsteht – ein Ansatzpunkt, um gegen die Hauterkrankung vorgehen zu können.

Quelle: Erstveröffentlichung unter www.bio-pro.de

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