Springen verboten: Wie die Natur mobile Gene festnagelt

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Die schwarzbäuchige Taufliege Drosophila melanogaster überrascht die Wissenschaftler immer wieder: Jetzt haben Münchner Forscher bei dem beliebten Labortier einen neuartigen Zellschutz gegen Mutationen entdeckt. Quelle: André Karwath

19.08.2009  - 

Transposons sind mobile genetische Elemente im Erbmaterial des Menschen und anderer Organismen. Sie können sich vervielfältigen und immer wieder neu an unterschiedlichen Stellen des Genoms einbauen. Weil dies gefährlich werden kann, hat die Natur vorgesorgt. Ein Forscherteam um den Biochemiker Professor Klaus Förstemann vom Genzentrum der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München konnte nun in der Taufliege eine neue Art der zellulären Abwehr gegen Transposons nachweisen, die in hoher Kopienzahl vorliegen - selbst wenn diese noch nicht in das Genom eingebaut sind. Jetzt wollen die Forscher feststellen, ob der segensreiche Mechanismus auch bei Säugetieren vorkommt, berichten sie im Journal der European Molecular Biology Organization EMBO (Online-Vorabveröffentlichung, 30. Juli 2009).



 

Transposons sind heutige Überbleibsel der evolutionären Geschichte. Sie sind mehrere Millionen Jahre alt und haben sich in die Erbanlagen aller Organismen, vom Bakterium über Maispflanzen bis hin zu Säugetieren eingeschlichen. Wie Flöhe springen, bewegen und vermehren sie sich im Erbgut ihrer Wirte. Erstmals entdeckt wurden sie von der US-amerikanischen Botanikerin Barbara McClintock in Maispflanzen, die darüber 1950 im Fachmagazin PNAS berichtete und dafür 1983 mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurde. Bis McClintocks Entdeckung hatte die Wissenschaft angenommen, dass Gene an bestimmen Orten fest im Chromosom verankert sind. Diese Theorie brachte die Amerikanerin zu Fall und später wurden immer mehr Transposons in den unterschiedlichsten Organismen entdeckt.

Verschiedene Mutationen bei Zierpflanzen, hervorgerufen durch Transposons.Lightbox-Link
Verschiedene Mutationen bei Zierpflanzen, hervorgerufen durch Transposons.Quelle: National Institute of Genetics Japan

Transposons können immun, aber auch krank machen

Beim Menschen machen Transposons knapp die Hälfte des Genoms aus, ihre Funktion ist zum großen Teil noch unklar. Von einigen dieser Genbereiche ist bekannt, dass sie die Grundlage für wichtige zelluläre Mechanismen wie dem Immunsystem bilden, andere können auch Krankheiten auslösen. Die meisten sind jedoch Überreste einst aktiver Transposons, die zuvor erfolgreich die Genome verschiedener Spezies kolonisiert haben. Ihre Aktivität haben diese Transposons durch Mutationen verloren. Bei Pflanzen vermehren sich nicht nur die Genabschnitte, sondern gleich ganze Chromosmensätze. Das kann zu neuen, ertragreicheren Arten führen (mehr...).

Für die Wissenschaft sind die mobilen Genomeinheiten sehr interessant: Die Fähigkeit, sich wie springende Flöhe durchs Genom zu bewegen und durch die Integration die Aktivität von Genen zu beeinflussen, eignet sich prinzipiell ideal für die Grundlagenforschung – vorausgesetzt das Springen lässt sich steuern und gezielt einsetzen. Forscher des Max-Delbrück-Zentrums haben schon mehrere künstliche Transposons für diese Zwecke entworfen (mehr...). Bei der Taufliege Drosophila melanogaster ist die gezielte Steuerung der Transposons bereits seit Jahrzehnten möglich, weshalb transposon-basierte Verfahren zur gentechnischen Veränderung der Tiere zum Standardrepertoire vieler Entwicklungsbiologen und Genetiker gehören.

Mutation als Freizeitvergnügen
Mutationen können zwar Krankheiten verursachen, sind aber auch das Treibmittel der Evolution. Spielerisch erproben kann man die Mechanismen der Mutation in "Darwin rocks!", einem Computerspiel, dass Tübinger Biologen zum 200. Geburtstag Darwins präsentiert haben.
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Abwehrjäger neutralisieren freie Transposons

Ein Forscherteam um den Biochemiker Professor Klaus Förstemann vom Genzentrum der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München konnte nun ebenfalls in der Taufliege eine bisher unbekannte präventive Abwehrstrategie gegen springende Gene nachweisen. Sie funktioniert auch, wenn die mobilen Gensequenzen in Massen auftreten und noch gar nicht in das Genom eingebaut sind. Pflanzen und Tiere haben im Laufe der Evolution mehrere Methoden entwickelt, um die gefährlichen Transposons abzufangen, bevor sie sich an anderer Stelle im Genom einnisten und eventuell Schaden anrichten. "Transposons sind sozusagen die Parasiten des Genoms", sagt Förstemann. "Werden sie nicht in ihrer Ausbreitung unterdrückt, kann das Genom der Zelle instabil werden oder aber Krebs entstehen."

In den Keimzellen etwa, die für die Fortpflanzung benötigt werden, sorgt das System der sogenannten piRNAs für eine Unterdrückung der Transposons - aber nur wenn diese Moleküle von der Mutter weitergegeben werden. Kommt es dabei zu Störungen, ist die Fruchtbarkeit der Nachkommen meist drastisch vermindert. Für die Zwecke der egoistisch im Sinne ihrer maximalen Verbreitung handelnden Transposons sind Keimzellen das optimale Ziel, weil diese ihr genetisches Material - mitsamt mobilen Elementen - an alle Zellen des Nachwuchses weitergeben.

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Die Boten der Transposone werden gezielt neutralisiert

Aber auch normale Körperzellen können von Transposons "befallen" werden. Bestimmte Viren etwa tragen die mobilen Elemente im Genom und geben diese an ihre Wirtszellen weiter. Transposons müssen also nicht nur in Keimzellen, sondern auch in Körperzellen unterdrückt werden. Vor kurzem konnten in der Taufliege sogenannte endo-siRNAs nachgewiesen werden, die wohl eben diese Aufgabe übernehmen. In Mäusen wurde eine ähnliche Klasse von Molekülen gefunden. Diese Ergebnisse sind interessant für die Medizin, die damit vielleicht eines Tages ein Werkzeug in der Hand hält, um unerwünschte Mutationen zu unterdrücken.

Die endo-siRNAs ermöglichen es den Zellen über den Prozess der RNA-Interferenz, gezielt die von den Transposons abgeleitete Boten-RNA abzufangen und zu neutralisieren. In der vorliegenden Arbeit konnten die Forscher um Förstemann nun das Eiweiß nachweisen, das die Hauptrolle bei der Erzeugung von endo-siRNAs in der Fruchtfliege spielt. Bei dem entdeckten Eiweiß handelt es sich um eine bislang unbekannte Variante des sogenannten "Loquacious"-Proteins. Es bindet an Moleküle, die als Vorläufer der endo-siRNAs dienen. Die Münchner Forscher konnten zudem nachweisen, dass die endo-siRNAs zuverlässig alle Transposons unterdrücken, auch wenn diesen in mehreren Kopien in der Zelle herumschwirrten, aber noch nicht in das Genom eingebaut waren. "Wir werden jetzt testen, ob der Mechanismus, den wir in Drosophila gefunden haben, auch in Säugerzellen existiert", kündigt Förstemann an. "Außerdem wollen wir wissen, wie die Abwehrreaktion gezielt gegen die in hoher Kopienzahl vorliegenden Sequenzen gerichtet werden kann."

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