Schrott-DNA als Geburtsort für Poldi-Gen

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Hausmäuse besitzen exklusiv das Poldi-Gen. Es ist erst vor wenigen Jahrmillionen aus einem Abschnitt funktionsloser Schrott-DNA hervorgegangen. Quelle: MPI für Evolutionsbiologie

30.09.2009  - 

Max-Planck-Wissenschaftler haben bei Mäusen ein Gen aufgespürt, das vor etwa drei Millionen Jahren komplett neu entstanden ist. Das Besondere daran: der Geburtsort des Gens lag inmitten von funktionslosen Erbgut-Abschnitten, die aus vermeintlicher Müll-DNA bestehen. Offenbar haben an dieser Stelle wenige Veränderungen im Erbmaterial nach und nach aus dem zunächst sinnfreien DNA-Text ein funktionstüchtiges Gen geschaffen. Wie sie im Fachjournal Current Biology (29. September 2009, Vol. 19, S. 1527 -1531) berichten, haben die Forscher das junge Gen auf den Namen „Poldi“ getauft. Poldi sichert den Hausmäusen in der Evolution offenbar einen Überlebensvorteil: Es hilft schnelle Spermien zu produzieren.

Menschen und Mäuse besitzen in ihren Zellkernen ein ähnlich großes Genom, es umfasst etwa drei Milliarden DNA-Bausteine. Doch nur ein winziger Teil davon hat eine nachweisbare Funktion: gerade einmal drei Prozent des Erbguts machen tatsächlich Gene aus, die den Bauplan für Eiweiße oder RNA liefern. Die restlichen 97 Prozent des Genoms sind vermeintlich funktionslos, manche Molekularbiologen sprechen bei diesen nicht-kodierenden Bereichen salopp von „junk DNA“ (Müll-DNA). Seit längerem rätseln Forscher, welche Rolle diese ausgedehnten Erbgutregionen in der Evolution der Lebewesen spielen. Zunehmend wird klar, das bestimmte nicht-kodierende DNA-Abschnitte für die Genregulation wichtig sind. Manche Genforscher betrachten die Junk-DNA hingegen als molekulares Experimentierfeld, einen Baukasten an Erbmaterial, der bei der Erzeugung neuer Gene eine Rolle spielen könnte.

MPI für Evolutionsbiologie

Das Max-Planck-Institut für Evolutionsbiologie mit Sitz im schleswig-holsteinischen Plön trägt seinen heutigen Namen erst seit 2007. Vormals hieß es MPI für Limnologie. Forschungsschwerpunkte sind die Evolutionsgenetik und die Evolutionsökologie.

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Funktionsloser Erbgutabschnitt mutierte zu einem Gen

Diese Vermutungen bekommen nun neues Futter: Forscher vom Max-Planck-Institut für Evolutionsbiologie in Plön haben erstmals nachgewiesen, das die nicht-kodierende DNA bei Hausmäusen tatsächlich ein völlig neues Gen hervorgebracht hat. Evolutionsgenetiker um Diethard Tautz berichten im Fachjournal Current Biology (29.September 2009, Vol. 19, S. 1527 -1531) von ihrer Entdeckung. Sie weisen darin erstmals nach, wie ein zuvor funktionsloser DNA-Abschnitt durch eine Abfolge zufälliger Veränderungen zu einem funktionierenden Gen mutieren kann. Da sich im Erbgut die Entstehungsgeschichte rekonstruieren lässt, konnten die Forscher mit Computeranalysen sogar die Geburtszeit datieren: Das Gen ist vermutlich vor 2,5 bis 3,5 Millionen Jahren entstanden. Zum Vergleich: Das Gros der Säugetiergene entstand im Verlauf von einer Milliarde Jahren.„Unser neu entdecktes Gen ist das einzige, das sich in der Mitte eines langen nicht-kodierenden Chromosomenabschnitts befindet“, sagt Fabian Staubach aus dem Plöner Forschungsteam. „Zwar kommt dieser lange Abschnitt auch bei anderen Säugetier-Genomen vor, aber nur bei Mäusen existiert dieses Gen.“ Bei ihren Analysen waren die Forscher erstaunt, dass nur wenige Erbgut-Unterschiede in der Maus ein neues Gen definieren können. Die Forscher haben das junge Gen auf Chromosom 10 „Poldi“ getauft (eine Abkürzung für Polymorphic derived intron-containing). Mit einem Augenzwinkern haben die Forscher bei der Namenswahl sicher auch an Fußballnationalspieler und Jungstar Lukas Podolski gedacht.

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Poldi-Gen mit wichtiger Rolle bei der Fortpflanzung

Um die genaue Funktion von Poldi bei Hausmäusen zu untersuchen, haben die Forscher das neue Gen mit biotechnologischen Methoden gezielt ausgeschaltet. Bei sogenannten k.o.-Mäusen mit einem defekten Poldi-Gen zeigte sich, dass die Erbanlage eine wichtige Rolle bei der Fortpflanzung spielt: „Wir haben bei den Tieren eindeutig kleinere Hoden und langsamere Spermien festgestellt“, sagt Max-Planck-Forscher Tobias Heinen. Dass das neu entstandene Gen im Hoden aktiv ist, könnte ein wichtiger Grund sein, warum sich dieses „Start-up“ in der Evolution so erfolgreich durchgesetzt hat. Zum einen sind die Aktivierungsmechanismen von Genen in männlichen Keimzellen weniger komplex als in anderen Geweben. Außerdem werden neu entstandene Mutationen über die Spermien direkt an die nächste Generation weitervererbt und können nach und nach angepasst werden.

Schrott-DNA als Evolutionsmotor

Für die Evolutionsforscher ist der Fund ein wichtiger Beleg für die weitgehend rätselhafte Neu-Entstehung von Genen. Bislang waren sie davon ausgegangen, dass die Mehrzahl unserer Gene im Erbgut durch Vervielfältigung und Veränderung von bereits existierenden Abschnitten entstanden ist (Duplikationen). „Bisher wurde die Bedeutung von de novo-Evolution unterschätzt“, sagt Diethard Tautz, Direktor am Plöner Max-Planck-Institut für Evolutionsbiologie. „Wie hoch die Rate der Entstehung neuer Gene tatsächlich ist, können wir aber noch nicht abschätzen“. Die Arbeit der Genetiker zeigt jedenfalls: Der vermeintlichen Schrott-DNA kann durchaus eine tragende Rolle in der Evolution zufallen.

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