Protest gegen Impfstoffzentrum von Boehringer Ingelheim

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So soll das Impfstoffzentrum in Hannover einmal aussehen. Links das Labor mit den Ställen für die Tiere, rechts das Verwaltungsgebäude. Quelle: Boehringer Ingelheim

31.07.2009  - 

Der Pharmakonzern Boehringer Ingelheim will in den Forschungsstandort Deutschland investieren und in Hannover ein neues Zentrum für Tierimpfstoffe errichten. 40 Millionen Euro, 50 wissenschaftliche Arbeitsplätze, 1000 Schweine. An der letzten Zahl entzündet sich nun die Kritik von Anwohnern und Tierschützern. Die einen befürchten Güllegestank und Krankheitserreger, die anderen leidende Tiere. Langsam eskaliert der Protest. Das Haus des Oberbürgermeisters, einer der Befürworter des Zentrums, wurde kürzlich mit Parolen wie "Tiermörder" beschmiert. Boehringer setzt auf Informationsveranstaltungen und die Politik. Der Konzern ist ein gebranntes Kind: 2006 war die Ansiedlung des Tierimpfstoffzentrums schon in Tübingen gescheitert. Wegen des Anwohnerprotests.

  

 

Als Boehringer Ingelheim im Herbst 2007 seine Pläne für ein großes  Tierimpfstoffzentrum in Hannover bekannt gab, war die Zuversicht noch groß. „Mit einem europäischen Forschungszentrum will Boehringer Ingelheim seinen Anspruch als weltweit führender Tierimpfstoffhersteller untermauern“, sagte Ulrich Pitkamin, damals Vorsitzender der Geschäftsführung von Boehringer, bei der Bekanntgabe der Pläne. Pitkamin hatte sich prominente Unterstützer an die Seite geholt.

Hannover als idealer Standort

Niedersachsens Ministerpräsidenten Christian Wulff war bei der Pressekonferenz ebenso anwesend wie Stephan Weil, Oberbürgermeister der Landeshauptstadt Hannover, und Gerhard Greif, Präsident der Tierärztlichen Hochschule. Der Plan: Das neue Tierimpfstoffzentrum soll in direkter Nachbarschaft zur TiHo entstehen, der Elite-Ausbildungsstätte für Veterinärmediziner in Deutschland.

Das geplante Tierimpfstoffzentrum liegt in direkter Nachbarschaft zur Tierärztlichen Hochschule in einer ehemaligen Kleingartenanlage.Lightbox-Link
Das geplante Tierimpfstoffzentrum liegt in direkter Nachbarschaft zur Tierärztlichen Hochschule in einer ehemaligen Kleingartenanlage.Quelle: Boehringer Ingelheim

Nicht nur deshalb erschien Boehringer Hannover als der ideale Standort. "Wir haben anhand von Bewertungskriterien mehrere Optionen in ganz Europa geprüft", so Pitkamin. "In Hannover erscheinen uns die Rahmenbedingungen äußerst vielversprechend.“ Drei Punkte gefielen dem zweitgrößten deutschen Pharmaunternehmen besonders. "Neben der öffentlichen Akzeptanz für die Forschung sowie das Interesse und die aktive Unterstützung durch das politische Umfeld hat nicht zuletzt der Faktor 'wissenschaftliches Umfeld’ dabei große Bedeutung", hieß es der einer Mitteilung vom 12. Oktober 2007.

35-40 Millionen Euro für den ersten Bauabschnitt

Mittlerweile hat sich einiges verändert. Das wissenschaftliche Umfeld ist nach wie vor attraktiv, die TiHo gibt es nach wie vor. Doch von "öffentlicher Akzeptanz" ist gerade nicht mehr so oft die Rede. Das Gelände, auf dem eigentlich in der ersten Jahreshälfte 2009 die Bauarbeiten beginnen sollten, ist derzeit von etwa 30 Aktivisten besetzt. Sie haben an dem Absperrzaun Transparente aufgehängt, die Botschaften wie "Tiere frei statt Quälerei" tragen. Vor kurzem wurde das Haus des Oberbürgermeisters nachts mit Parolen wie "Tiermörder" verschmiert. Und einige Anwohner haben sich zu einer Bürgerinitiative zusammengeschlossen, deren Sprecher androht, man werde "sofort" klagen, falls der Bau genehmigt würde.

Dabei wollte Boehringer Ingelheim nur in den Standort Hannover investieren. Und das nicht zu knapp. Auf dem 2,6 Hektar großen Gelände, einer ehemaligen Kleingartenanlage, will der Konzern eine Forschungseinrichtung mit dem Schwerpunkt Schweineimpfstoffe und ein Verwaltungsgebäude errichten. In den ersten Bauabschnitt fließen 35-40 Millionen Euro, bis zu 50 wissenschaftliche Mitarbeiter sollen dort tätig sein, wenn die Anlage 2011 fertig ist. In einem weiteren Ausbauschritt ist die Erweiterung der Forschungskapazitäten auf weitere Tierarten vorgesehen. Das Problem ist nur: Für den Test von Schweineimpfstoffen werden Schweine benötigt. Bis zu tausend Tiere will Boehringer vor Ort ansiedeln. Das hat den Protest der übrigen Bewohner des bürgerlichen Stadtteils Kirchrode hervorgerufen.

Europäisches Tierimpfstoffzentrum

Im Internet stellt Boehringer Ingelheim Dokumente und Informationen zum geplanten Tierimpfstffzentrum in Hannover zur Verfügung. Hier werden Fragen von "Antibiotika-Resistenz" bis "Zeitpunkt der Inbetriebnahme" geklärt.

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Güllegestank und Krankheitserreger 

Die "Bürgerinitiative gegen Massentierversuche in Wohngebieten" hatte sich kurz nachdem die Pläne bekannt wurden gegründet. Zu ihren Mitgliedern zählen Akademiker im Ruhestand, ein Ex-Vorstand, ein ehemaliger Theaterintendant, einige Anwälte oder ein Architekt, wie die Süddeutsche Zeitung in einem Artikel aufzählt. Sie befürchten weniger tierisches Leiden als möglichen Schweinegestank, und natürlich bestehe die Gefahr, dass Krankheitserreger entkommen könnten. "Ein Labor ist ein Abenteuer mit vielen Unbekannten", zitiert die Süddeutsche einen der Anwohner.

Meist nur Experimente der Sicherheitsstufe 2

Die zweite Protestgruppe sind die Aktivisten, die das Gelände seit Anfang Juli besetzt halten. Sie sind generell gegen Tierversuche und gegen Tierversuche von Boehringer Ingelheim im Besonderen. Der Konzern hält sich zunächst einmal zurück. Boehringer verzichtete bisher auf eine Räumung des überwiegend von auswärtigen Demonstranten besetzten Grundstückes. Die Polizei ermittelt gegen einige der Tierversuchsgegner jedoch nun wegen Nötigung. Sie sollen Mitarbeiter einer von Boehringer beauftragten Gartenbaufirma von dem besetzten Gelände gedrängt haben.

Gegen die Vorbehalte versucht Boehringer derweil mit Informationen vorzugehen. Man wolle in dem Labor zwar mit gentechnisch veränderten Erregern experimentieren, heißt es auf der eigens eingerichteten Rubrik im Internetauftritt des Unternehmens. Bei den im Forschungszentrum bearbeiteten Erregern handele es sich aber "fast ausschließlich" um Erreger, die den Menschen nicht betreffen. Außerdem werde vor allem mit wenig gefährlichen Erregern der Sicherheitsstufe 2 hantiert, "nur in seltenen Fällen" mit Erregern der Gruppe 3. "Arbeiten mit Erregern der höchsten Gruppe 4 (wie dem Virus der Maul- und Klauenseuche) werden in der Anlage nicht durchgeführt", heißt es weiter. Von der Sicherheitseinstufung der Experimente ähnele das geplante Zentrum damit der benachbarten Tierärztlichen Hochschule, an der ebenfalls an Erregern geforscht wird.

Filter halten Geruch und Geräusche zurück 

Außerdem sei das Forschungszentrum eine geschlossene Anlage, betont das Unternehmen, durch die installierten Filter werde weder Lärm noch Geruch in die Umgebung entkommen, das Abwasser werde sterilisiert. Die Tiere werden auf einer festen Route angeliefert und nach Beendigung der Experimente "schmerzfrei" getötet.

Doch trotz mehrerer Informationsveranstaltungen und einer Telefon-Hotline für besorgte Anwohner nimmt der Widerstand gegen die Anlage eher zu als ab. Die Polizei prüft derzeit, ob die für die Schmierereien verwendete Farbe aus dem Zeltlager der Besetzer stammt. Die Bürgerinitiative bereitet nach eigenen Angaben Klagen und Gegengutachten vor.

Die Politik ist noch auf der Seite Boehringers. Im September will der Stadtrat endgültig über das Projekt entscheiden. Bis auf die Linken und die Wählergemeinschaft "Wir für Hannover" sind alle übrigen Parteien für die Ansiedlung des Forschungzentrums. Oberbürgermeister Stephan Weil (SPD) will Hannover als biowissenschaftlichen Standort etablieren "Dementsprechend werden wir Boehringer Ingelheim unterstützen, seine Ansiedlungspläne im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten so schnell wie möglich umzusetzen.“ Die Bürgerinitiative geht auf Konfrontationskurs. "In diesem Fall werden wir sofort klagen“, sagt ihr Sprecher Klaus Neudahm.

Boehringer schon in Tübingen gescheitert

Für Boehringer-Ingelheim wäre ein Scheitern nur die Fortsetzung eines langen Leidenswegs. 2005 hatte der Konzern das Impfstoffzentrum schon in Tübingen bauen wollen. Doch schon dort vereitelten widerspenstige Bewohner die Pläne.

Im Jahr 2006 hatte der Widerstand der Anwohner schließlich die Ansiedlung des Boehringer-Forschungszentrums für Tierimpfstoffe im Technologiepark Tübingen verhindert. Die damalige Situation ähnelt der in Hannover. Auch damals grenzte der geplante Schweinestall an ein Wohngebiet, in dem Menschen der oberen Einkommensschichten lebten, unter anderem der Studioleiter des SWR-Fernsehens, ehemalige Landräte, hohe Landesbeamte und vor allem der Karikaturist des "Schwäbischen Tagblatts“. Der ließ in der örtlichen Tageszeitung offenbar kein gutes Haar an dem Vorhaben.

Unterschriften gesammelt und Bürgerentscheid lanciert 

Boehringer wollte dort ursprünglich in die aufgegebenen Laboratorien der Bundesforschungsanstalt für Viruskrankheiten (Friedrich-Loeffler-Institut) einziehen. „Was die in den Labors ursprünglich gemacht haben, dürfte weit gefährlicher sein als die Boehringer-Forschung – nicht umsonst ziehen die nun um auf die Ostseeinsel Riems“, sagte Tübingens Erster Bürgermeister Michael Lucke im Nachhinein. Doch aufgrund der Schweineställe musste der Bebauungsplan geändert werden. Der Stadtrat wollte das nach den Kommunalwahlen im Herbst 2006 erledigen.

Kurz vor der Wahl sickerten die Pläne allerdings durch. In den folgenden Monaten beherrschte die Diskussion über die Ansiedlung die ganze Stadt. Die damalige Oberbürgermeisterin wurde abgewählt, sie verlor gegen den Grünenpolitiker Boris Palmer. Unterschriften wurden gesammelt, ein Bürgerentscheid vorbereitet.  Kurz vor einer geplanten Diskussionsrunde mit Virusexperten, Tierforschern und anderen Experten bekam Boehringer kalte Füße und blies das Projekt ab.

Jetzt bereut Tübingen die Absage. "Viele Unternehmen sagen, dass eine Ansiedlung wie Boehringer einen weiteren großen Schub gebracht hätte“, räumt der Erste Bürgermeister Lucke inzwischen ein. Unter anderem bewarb sich auch das benachbarte Reutlingen als Standort für das Boehringer-Tierimpfzentrum. Doch die Zentrale von Boehringer Ingelheim entschied sich für Hannover, wegen der direkten Anbindung an die Tierärztliche Hochschule. Und der großen Akzeptanz der Bevölkerung.

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