Von schwerhörigen Mäusen lernen

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Mäuse, die in einem winzigen Molekül in ihren Zellen eine winzige Veränderung tragen, werden im hohen Alter schwerhörig. Quelle: Johannes Röskamp

21.04.2009  - 

Wissenschaftler des Helmholtz-Zentrums München haben mit einem molekularbiologischen Kniff Mäuse gezüchtet, die im Alter schlecht hören. Dazu mussten die Wissenschaftler nur ein ganz bestimmtes Molekül verändern, das in der Zelle die Produktion von Eiweißen steuert. Beim Menschen funktioniert das offenbar nach dem gleichen Prinzip. Die Wissenschaftler hoffen nun, durch das weitere Studium ihrer schwerhörigen Mäuse möglicherweise zu neuen Therapieansätzen für die erbliche Schwerhörigkeit zu kommen.





 

Für Menschen, die in Einflugschneisen oder an viel befahrenen Straßen wohnen, ist die Schwerhörigkeit ein Segen. Für den Großteil der Betroffenen aber ist verminderte Hörfähigkeit ein Problem. Allein in Deutschland hören nach Schätzungen des Deutschen Schwerhörigenbundes rund 13 Millionen Menschen schlecht. Die Ursachen hierfür sind vielfältig, sie reichen von der einfachen Altersschwerhörigkeit über Infektionen bis hin zu chronischen Lärmschädigungen. Schwerhörigkeit kann aber auch angeboren sein. In den vergangenen Jahren konnten Forscher eine ganze Reihe von Genen identifizieren, die bei Schwerhörigkeit vermehrt auftreten.

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MicroRNA Nr. 96 macht schwerhörig

Wissenschaftler um Martin Hrabé de Angelis am Institut für Experimentelle Genetik des Helmholtz-Zentrums München (mehr...) haben nun eine Maus gezüchtet, die einen ganz neuen Faktor mit ins Spiel bringt. In den Zellen der Mäuse ist nur ein winziges Molekül verändert, die sogenannte microRNA. Die winzigen Molekülschnipsel sind wie die DNA aus genetischen Buchstaben aufgebaut. Erst in den letzten Jahren werden diese wichtigen Bestandteile des zellulären Mechanismus nach und nach entschlüsselt. Fest steht, dass sie offenbar entscheidend an der Regulation der Proteine in der Zelle beteiligt sind. MicroRNAs bestimmen mit, wie viele Eiweiße einer Sorte jeweils produziert werden (mehr...).

Die Münchner Forscher haben nun in einer bestimmten microRNA einen genetischen Buchstaben ausgetaucht und etwas Erstaunliches erreicht: Die so veränderten Tiere bekamen mit wachsendem Alter Hörprobleme. Offenbar beeinflusst der entsprechende microRNA-Abschnitt bei der Maus die Produktion der Sinneshaarzellen im Innenohr. Mäuse, welche auf der entsprechenden microRNA Nr. 96 zwei veränderte Buchstaben aufweisen, sind sogar von Geburt an schwerhörig. Diesen Zusammenhang hatte niemand erwartet. "Wir waren sehr überrascht", erklärt Helmut Fuchs, geistiger Vater des Mausmodells und wissenschaftlicher Leiter der German Mouse Clinic am Helmholtz Zentrum München.

Mäuse in München

Im Helmholtz-Zentrum München ist die German Mouse Clinic angesiedelt. Unter dem Dach des Nationalen Genomforschungsnetzes werden Mäuse mit verschiedenen genetischen Variationen gezüchtet. An diesen Modelltieren studieren die Forscher genetisch bedingte Krankheiten, um diese schließlich auch beim Menschen besser zu verstehen.

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Diminuendo-Modell vielleicht auf den Menschen übertragbar

Die Ergebnisse sind in der aktuellen Ausgabe des Fachjournals Nature Genetics publiziert (Online-Veröffentlichung, 12. April 2009). Die Forscher tauften ihre schwerhörigen Mäuse "Diminuendo", benannt nach dem Fachbegriff aus der Musiklehre für "leiser werdend". Die Tiere wurden mit dem sogenannten ENU-Verfahren gezüchtet. Dabei wird männlichen Mäusen Ethylnitrose-Harnstoff (ENU) verabreicht, der das Erbgut ihrer Spermien beeinflusst. Nachfolgegenerationen entwickeln dominante oder rezessive Mutationen. Die Münchener Wissenschaftler können so in der German Mouse Clinic Mutanten erkennen, die ähnliche Krankheiten entwickeln wie Menschen. Das Diminuendo-Mausmodell stellten sie Kollegen vom Wellcome Trust Sanger Institute in Cambridge zur Verfügung, die anhand spezifischer Charakterisierungen letztendlich den Zusammenhang mit der miR-96-Mutation fanden.

Institut für Experimentelle Genetik

Das Institut befasst sich mit der funktionellen Analyse des Genoms von Säugetieren. Zur Aufklärung von Genfunktionen werden Mausmodelle entwickelt und neue Untersuchungsmethoden der Genomik, Proteomik und Bioinformatik angewendet. Ziel ist es, Ursachen und Entstehungsmuster menschlicher Erkrankungen aufzuklären.

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Die Entdeckung ist auch deshalb so bedeutend, weil der Körper von Mäusen auf Zellebene zu großen Teilen ganz ähnlich funktioniert wie der des Menschen. "Wir gehen davon aus, dass unser Mausmodell für die Entwicklung von Therapieansätzen gegen die genetisch bedingte Schwerhörigkeit beim Menschen zukünftig weitreichende Bedeutung haben wird", erklärt Fuchs. Kollegen aus Spanien bestätigen seine Vermutung.

Sie führten bereits erste Untersuchungen an Patienten durch, bei denen ebenfalls Schwerhörigkeit diagnostiziert wurde. Bei ihnen war der microRNA-Abschnitt Minr96 an derselben Stelle wie im Mausmodell verändert. Mithilfe des Mausmodells hofft das internationale Forschungskonsortium nun, Faktoren zu identifizieren, die für ein langes Überleben von Haarzellen notwendig sind und damit neue Behandlungsansätze für Schwerhörigkeit zu finden.

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