Krebsstammzellen aufwecken und attackieren

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Der Immunbotenstoff Interferon alpha ist offenbar in der Lage, schlafende adulte Stammzellen aus ihrem Dämmerzustand aufzuwecken und damit empfänglich für Medikamente zu machen. Quelle: Nevit Dilmen / NIH

25.02.2009  - 

Stammzellen kommen nicht nur im Embryo vor, sondern in jedem Menschen. Das ganze Leben lang sorgen sie dafür, dass der Körper sich regenerieren kann.  Einige dieser adulten Stammzellen verbingen die meiste Zeit in einer Art Dämmerzustand, aus dem sie nur erwachen, wenn schnell Ersatz gebraucht wird. Wissenschaftler des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) in Heidelberg haben nun herausgefunden, wie sie schlafende Blutstammzellen im Knochenmark gezielt aufwecken können. In der Fachzeitschrift Nature (Online Vorabveröffentlichung, 11. Februar 2009). berichten sie, dass der immunbotenstoff Interferon alpha wie ein Wecker wirkt. Überträgt man diese Ergebnisse auf das Konzept der ebenfall schlafenden, aber gefährlichen  Krebsstammzellen, dann könnte hier ein neuer Ansatz für eine Tumortherapie in Sicht sein.

Adulte Stammzellen sind in fast allen Regionen des menschlichen Körpers zu finden. Wie das Heidelberger Forscherteam um Andreas Trumpp erst kürzlich entdeckte (mehr...), befinden sich einige dieser Stammzellen zurückgezogen in besonderen Nischen und verschlafen einen Großteil ihrer Existenz. Erst im Notfall, bei den Blutstammzellen etwa bei einer Verletzung mit großem Blutverlust, treten sie in Aktion und vergrößern so die Regenerationskräfte des Körpers.

Die Entdeckung dieser Feuerwehr-Stammzellen war der erste große Forschungserfolg, den Andreas Trumpp an seinem neuen Arbeitsplatz feiern konnte. Trumpp ist erst im Sommer 2008 aus der Schweiz abgeworben worden, um die Abteilung für Zellbiologie am DKFZ zu leiten. Trumpps Berufung an das DKFZ war eines der zentralen Argumente des BioRN-Clusters, das aus dem Spitzencluster-Wettbewerb 2008 als Sieger herovrging (mehr...).

Spitzencluster-Wettbewerb
Im September 2008 konnten zum ersten Mal die Gewinner des Spitzencluster-Wettbewerbs gekürt werden, für den das BMBF jedes Jahr 200 Millionen Euro zur Verfügung stellt. Unter den fünf siegreichen Netzwerken befindet sich auch eines aus der Biotechnologie. 40 Millionen Euro stehen dem Verbund  „Zellbasierte & Molekulare Medizin in der Metropolregion Rhein-Neckar“ (BioRN) zur Verfügung, um auf dem Gebiet der Tumorstammzellen und der personalisierten Medizin durch Biomarker zu forschen und die Ergebnisse möglichst schnell zu vermarkten. Mittlerweile ist die zweite Runde des Wettbewerbs  angelaufen, bis April müssen die Kandidaten ihre Skizzen eingereicht haben.
Zur Website des Spitzencluster-Wettbewerbs: hier klicken

Wie Trumpps Team beobachtete, teilen sich die speziellen Blutstammzellen extrem selten, bei der Maus zum Beispiel alle 145 Tage und damit nur 5 Mal im Leben der Maus. Der Dauerschlaf ist ein wichtiger Schutzmechanismus: Erstens bewahren sie so ihr Erbgut vor Genveränderungen, die sich vor allem während einer Zellteilung ereignen. Außerdem entgehen sie im Schlaf auch der Attacke vieler Zellgifte, die nur auf sich teilende Zellen wirken.

Nach Verletzungen mit Blutverlust muss der Körper das lebensnotwendige Blutvolumen schnell wiederherstellen. Die Stammzellen beginnen sich daher unverzüglich zu teilen, bis der Verlust an Blutzellen wieder ausgeglichen ist. Ist die Gefahr gebannt und das System wieder im Gleichgewicht, kehren diese aktivierten Stammzellen in ihre Nischen zurück und schlafen weiter.

Interferon alpha ist der Wecker für Blutstammzellen
Bisher unbekannt war allerdings, welche Signalmoleküle die Stammzellen aus ihrem Schlummer wecken.  Das Forscherteam des DKFZ konnte nun auch diese Frage klären. Wie Andreas Trumpp und Marieke Essers nun in Nature berichten, wirkt Interferon alpha, ein Botenstoff des Immunsystems, offenbar wie ein Wecker auf Blutstammzellen. Die Wissenschaftler konnten zum ersten Mal zeigen, dass Interferon alpha die Funktion von Stammzellen direkt beeinflussen kann.

Interferon alpha wird von Immunzellen ausgeschüttet, wenn der Organismus von Bakterien oder Viren bedroht wird. Die Wissenschaftler lösten die Interferonproduktion in Mäusen aus, indem sie ihnen eine Substanz verabreichten, die den Tieren eine Virusinfektion vorgaukelt. Daraufhin kam es zu einem starken Anstieg der Teilungsrate der Blutstammzellen. In Kontrolltieren dagegen, die das Interferonsignal nicht verarbeiten können, führte die Substanz nicht zum Aufwachen der Stammzellen.

Zur Zellteilung gezwungen und verwundbar gemacht

Einen weiteren Beweis für die Wirkung des Interfon alpha erzielten die Forscher mit dem Medikament 5-Fluorouracil, einem Zellgift, das häufig bei Brust- und Darmkrebs eingesetzt wird: Schlafende Stammzellen sind resistent gegen das Medikament, das seine Wirkung nur während der Teilung entfaltet. Erhalten die Tiere jedoch vor der 5-Fluorouracil- Behandlung Interferon alpha, so versterben sie nach kurzer Zeit an Blutarmut.

Der Grund: Durch die Interferon-Vorbehandlung wurden die ruhenden Stammzellen in die Zellteilung gezwungen und damit für die 5-FU-Wirkung sensibilisiert und abgetötet. Daher stehen nach kurzer Zeit keine Stammzellen mehr zur Verfügung, die Nachschub an kurzlebigen reifen Blutzellen wie Erythrozyten und Blutplättchen liefern. Nun hoffen die Wissenschaftler, damit einen neuen Hebel gegen die sogenannten Krebsstammzellen gefunden zu haben.

Resistenz gegen Kresbmedikamente brechen

Einige Wissenschaftler vermuten, das Tumore von wenigen Zellen ausgehen, die zurückgezogen lange im Körper überdauern und für Medikamente nicht erreichbar sind. Könnte man sie alle ausschalten, wäre auch das Krebswachstum gestoppt, so die Hoffnung. „Eventuell können wir mit Interferon alpha nicht nur Blutstammzellen, sondern ebenso Tumorstammzellen aus dem Schlafzustand wecken und damit ihre oft beobachtete Resistenz gegen viele Krebsmedikamente brechen“, vermutet Trumpp.

Rückfallfreie Phasen mit Interferon
Die Heidelberger Wissenschaftler sehen ihre Theorie durch eine Beobachtung aus der klinischen Praxis gestützt. Patienten, die an dem Blutkrebs chronisch myeloische Leukämie leiden und mit dem Medikament Glivec behandelt werden, erleiden nach Absetzen des Medikaments fast immer Rückfälle. Einigen Erkrankten wurde jedoch vor der Glivec-Therapie Interferon alpha verabreicht. Glivec basiert auf dem Wirkstoff Imatinib, der von Novartis seit 2001 zur Behandlung der chronischen myeloischen Leukämie vertrieben wird.

Diese Patienten erlebten überraschenderweise lange rückfallfreie Phasen ohne jegliche Medikation. "Wir gehen davon aus", erklärt Andreas Trumpp, "dass die Leukämie-Stammzellen durch die Interferongabe geweckt und damit für die Eliminierung durch das Medikament Glivec sensibilisiert wurden."

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