Strukturbiologischer Schnappschuss vom Sehen

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Berliner Forscher haben die dreidimensionale Struktur des Lichtsensors Rhodopsin entschlüsselt, und das erstmals im Augenblick des Lichteinfalls. Quelle: Nature

Mäuse, Motten und Menschen haben auf den ersten Blick nicht viel gemeinsam. Nachrichten von außen verarbeiten sie aber alle auf die gleiche Weise: Ein Reiz – das kann Licht sein, ein Geruch oder ein Hormon – wird von einem Rezeptor in einem komplexen Prozess in ein elektrisches Signal umgewandelt. Und zwar blitzschnell, in ein paar Millisekunden ist es schon wieder vorbei. Wie der Rezeptor das genau macht, hat bisher noch niemand beobachten können. Die Zeitschrift Nature (2008, Vol. 455, 25. September, S. 497-502) kann bei diesem Problem nun einen Durchbruch verkünden. Einer Forschergruppe um Patrick Scheerer von der Berliner Charite ist es nämlich gelungen, das im menschlichen Auge als Lichtsensor tätige Rhodopsin erstmals in Aktion zu beobachten und dreidimensional abzubilden.



Wenn Licht auf die Netzhaut des Auges fällt, löst es ein chemisches Signal aus, das über mehrere Zwischenschritte wiederum einen Nervenimpuls erzeugt. Dieser wird ins Gehirn weitergeleitet, wo die Verarbeitung der visuellen Information und damit das eigentliche Sehen stattfindet. Der komplexe Prozess startet an der Außenmembran der Netzhautzellen. Dort sitzt der Rezeptor Rhodopsin, der wegen seiner roten Farbe auch „Sehpurpur“ genannt wird. Rhodopsin kommt in den Stäbchen“-Zellen der Netzhaut vor, die zwar lichtempfindlicher als der zweite Typ von Netzhautzellen sind, die „Zapfen“, aber keine Farben unterscheiden können.

Institut für Medizinische Physik und Biophysik

Das IMPB besteht an der Berliner Charite seit achtzig Jahren. Am Institut sind neben Physikern auch Mediziner, Chemiker, Biochemiker, Biotechnologen und Biologen tätig.

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In der Mitte liegt der Lichtsensor

Rhodopsin ist dafür verantwortlich, Signale von außen ins Zellinnere zu transportieren. Es bildet einen Nachrichtenkanal, der durch die komplette Zellmembran führt. Rhodopsin besteht dabei aus zwei Komponenten, dem Eiweiß Opsin und dem Molekül Retinal, das aus Vitamin A hergestellt wird. Das Opsin ist viel größer als das Retinal und ist aus insgesamt sieben Spiralen aufgebaut, die sich zwischen der Innen- und der Außenseite der Zelle hin und herschlängeln. Retinal ist an einer dieser Spiralen gebunden und liegt waagerecht in der Mitte des Raums, den die umgebenden Spiralen eröffnen. Es bildet das Herzstück des Lichtsensors.

Scheerer und sein Team haben nun erstmals einen Blick auf die Struktur des Rhodopsins erhascht, während der Lichtsensor angeregt wird. Im inaktiven Dunkel-Zustand weist das Retinal einen markanten Knick in seiner Molekülkette auf (cis-Form). Nach der Aufnahme eines Lichtquants geht es in seine langgestreckte trans-Form über. Dieses Umklappen löst Verschiebungen in der Struktur des umgebenden Opsin-Eiweißes aus, die sich bis zu seiner dem Zell-Inneren zugewandten Seite fortpflanzen.

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G-Proteine werden in mehreren Schritten über die G-Protein-gekoppelten Rezeptoren aktiviert. Quelle: Sven Jähnichen
Einfallendes Licht knickt das Molekül

Dort kommt es innerhalb weniger Millisekunden zu einer kaskadenartigen Verstärkung des Signals über drei Stationen. Zunächst wird Transducin aktiviert. Es gehört zur großen Familie der G-Proteine, die darauf spezialisiert sind, eingehende Botschaften in das Zell-Innere weiterzuleiten. Transducin "entsichert" dann das Enzym Phosphodiesterase, und dieses spaltet schließlich den Botenstoff cyclisches Guanosin-monophosphat, der normalerweise so genannte Natriumkanäle in der Zellmembran offen hält.

Die Kanäle schließen sich folglich, wodurch sich die Ladungsverteilung zwischen Innen- und Außenseite der Zelle ändert: Ein Membranpotenzial entsteht, und aus dem Lichtreiz ist ein elektrisches Signal geworden, das nun von Nervenzellen weitergeleitet werden kann. Einige Sekunden nach dem Umklappen löst sich das trans-Retinal vom Opsin. Im Dunkeln geht es dann wieder in die geknickte cis-Form über und bindet sich schließlich erneut an ein Opsin-Molekül: Der Kreislauf kann von vorne beginnen.

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Diese Vorgänge waren den Wissenschaftlern durch indirekte Beobachtungen schon bekannt. Wie sich die Struktur des Rhodopsins dabei aber genau verändert, das konnte noch niemand sagen. Denn solche Membranproteine sind ungemein schwierig zu kristallisieren, also in eine stabile Form zu überführen, die mikroskopisch untersucht werden kann. Erst in den letzten Jahren tauchten überhaupt die ersten hochauflösenden dreidimensionalen Strukturmodelle von Membranproteinen auf, aber jeweils nur im inaktiven Zustand.

Zentrales Schaltelement für Medikamente

Patrick Scheerer vom Institut für Medizinische Physik und Biophysik der Charite in Berlin ist es nun gelungen, zusammen mit den Berliner Kollegen Klaus Peter-Hofmann und Oliver P. Ernst sowie Forschern aus Großbritannien und Südkorea das Rhodopsin während der Reizverarbeitung zu kristallisieren. Gelungen war dieser „Schnappschuss“, während im Zellinneren ein G-Protein am Rezeptor angedockt war.

Rhodopsin gehört zu einer großen Klasse von mehr als tausend Membranproteinen. Sie sind für die meisten Sinneswahrnehmungen zuständig und machen etwa beim Menschen über ein Prozent der Gene aus. Als zentrales Schaltelement in der Zellkommunikation sind Membranproteine vor allem in der Pharmazie von Bedeutung. 60 Prozent aller verschreibungspflichtigen Medikamente nutzen G-Protein-gekoppelte Membranproteine (GPCRs).

Genauere Kenntnisse über ihre Struktur können helfen, die Effizienz vieler Therapien zu steigern oder ganz neue Therapieansätze zu entwickeln. Heute zählen GPCRs zu den am intensivsten untersuchten Angriffszielen für neue Medikamente. Hilfreich ist dabei, dass alle Membranproteine wahrscheinlich ähnlich wie Rhodopsin aufgebaut sind. Scheerers Entdeckung wird damit nicht nur zum näheren Verständnis der Funktionsweise von Rhodopsin, sondern der Nachrichtenverarbeitung in der Zelle überhaupt beitragen.

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