Gerhard Schratt: Rolle von winzigen Molekülen im Gehirn verstehen

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Gerhard Schratt ist Juniogruppenleiter an der Universität Heidelberg und will die Rolle von microRNas entschlüsseln. Quelle: Schratt

06.07.2008  - 

Gerhard Schratt gehört zu den Wissenschaftlern, die sich tief in die molekularen Dimensionen der Zelle hineingestürzt haben. Sein Forschungsobjekt sind winzige Moleküle aus Ribonukleinsäure (RNA). Derzeit kristallisieren sich solche microRNAs als immer wichtigere Spieler bei der Genregulation und zweiten Etappe der Herstellung von Eiweißen (Translation) in lebenden Zellen heraus. Schratt will dieser noch relativ unverstandenen Molekülklasse am Beispiel von Nervenzellen auf die Spur kommen. „Die Komplexität des Gehirns, diesem Verband aus Millionen von Zellen, fasziniert mich sehr“, sagt Schratt. Die Analyse der microRNAs sieht der Juniorgruppenleiter an der Universität Heidelberg als Anfang, um komplizierte Vorgänge wie Lernen oder Langzeitgedächtnis besser zu verstehen – und möglicherweise neue Ansatzpunkte für Therapien zu entdecken.

Eigentlich hatte Schratt anfangs gar keine Ambitionen in Richtung Molekulargenetik. „Als Kind und in der Schule haben mich chemische Reaktionen viel mehr begeistert. Das Biochemie-Studium habe ich nur deshalb ausgewählt, weil die reine Chemie damals in den 90er Jahren keine rosigen Zukunftschancen hatte“, erinnert sich der 36-Jährige heute. Während des Studiums in Tübingen vollzog sich jedoch ein schleichender Wandel. Die chemischen Reaktionen rückten in den Hintergrund, dafür wurde das lebende System immer spannender – vor allem die Frage, wie die Natur eigentlich die Entstehung und Produktion von Eiweißen regelt. Und schon war Schratt mittendrin in der Molekularbiologie, erforschte komplexe molekulare Signalwege und die Rolle einzelner Transkriptionsfaktoren.

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Durch Zufall auf microRNAs gestoßen

Dass sich der Biochemiker heute mit dem noch vergleichsweise neuen Forschungsfeld der microRNAs beschäftigt, hat er indirekt dem Human Frontier Science Program (HFSP) zu verdanken. Erst während seines vom HFSP finanzierten Postdoc-Aufenthaltes an der Harvard Medical School in Boston, USA, kamen diese winzigen Molekülschnipsel auf Schratts Forschungsplan. „Ein Kollege aus dem Nachbarlabor arbeitete bereits mit microRNAs in Würmern und wollte als Vergleichsmaterial Daten mit Gehirnzellen, mit denen wir geforscht haben“, erinnert sich der Wissenschaftler. Dieser erste Kontakt hat Schratt auf die Idee gebracht, sich selbst auch intensiver mit dieser Molekülklasse auseinanderzusetzen. In der Rückschau ist der gebürtige Oberstdorfer deshalb froh, nach der Promotion an der Universität Tübingen mit dem HFSP Long-Term Fellowship in die USA gegangen zu sein. „Boston ist aus wissenschaftlicher Sicht und insbesondere für Postdocs einmalig“, so Schratt. Durch die Nähe der unterschiedlichsten Labors konnte der Deutsche sehr schnell Kontakt zu anderen Wissenschaftlern aufnehmen – oder eben per Zufall ein neues Arbeitsgebiet wie die microRNAs für sich entdecken. „Der Druck ist natürlich auch groß, aber man wird im positiven Sinn gepusht“, beschreibt Schratt die damalige Situation vor Ort. Darüber hinaus habe er eine andere Forschungskultur kennengelernt. „Dort wird sehr viel mehr auf Risiko gegangen und auch deutlich mehr ausprobiert.“

Anhand von Nervenzellen (hier grünleuchtend im Bild) will Schratt der Molekülklasse der microRNAs auf die Spur kommen.Lightbox-Link
Anhand von Nervenzellen (hier grünleuchtend im Bild) will Schratt der Molekülklasse der microRNAs auf die Spur kommen.Quelle: Schratt

Mit HFSP-Stipendium Grundlage für heutige  Arbeiten gelegt

Schratt konnte in Boston die Grundlagen für seine heutige Arbeit legen: „Ohne das HFSP-Stipendium hätte ich das nicht durchziehen können.“ Als Modell im Gehirn dienen ihm die synaptischen Fortsätze, deren Größe und Entwicklung ein Indiz für die Leistungsfähigkeit von Synapsen sind – den Kontaktstellen zwischen den Millionen von Nervenzellen. „Wir wollen herausfinden, welche microRNAs bei der Entwicklung dieser Fortsätze eine Rolle spielen“, erläutert Schratt. Nach einem ersten Screening von microRNA-Kandidaten besteht die Aufgabe nun darin, die wichtigsten herauszufiltern und ihre Aufgabe im Netzwerk der Genregulation zu beschreiben. Diese Erkenntnisse könnten auch für neuartige Therapieansätze von Interesse sein. Eine Kooperation mit der dänischen Biotech-Firma Santaris läuft bereits. „Ich verstehe mich zwar als Grundlagenforscher, aber wenn sich eine vielversprechende Anwendung ergibt, dann ist das ideal“, sagt Schratt. Immerhin haben ihm seine Arbeiten im Mai 2008 sogar den mit 25.000 Euro dotierten Analytica Forschungspreis eingebracht, der vom Schweizer Pharmakonzern Roche gemeinsam mit der Gesellschaft für Biochemie und Molekularbiologie (GBM) vergeben wird. 

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mircoRNAs nur ein Moskaikstein

Für Schratt sind einzelne microRNAs allerdings nur ein kleiner Moskaikstein auf dem Weg zum Verständnis des großen Ganzen: „Wenn wir am Ende einen systematischen Überblick über alle wichtigen microRNAs haben, dann wäre das toll.“ Dieser Weg hat Schratt auch wieder nach Deutschland geführt. „Da mir die amerikanische Mentalität nicht so liegt, war eine Rückkehr von Anfang an eine Option. Mit der Zeit fiel es jedoch deutlich schwerer zu gehen“, erinnert sich der Wissenschaftler. Am Ende lockte ein von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) finanziertes Angebot in Heidelberg, das „international sehr gut mithalten konnte“. Seit 2006 ist er am Interdiziplinären Zentrum für Neurowissenschaften (IZN) der Universität Heidelberg als Juniorgruppenleiter beschäftigt. Auch hier steht ihm erneut das HFSP zur Seite. Als ehemaliger Stipendiat hat sich Schratt mit Erfolg um einen Career Development Award (CDA) beworben. Dadurch hat er zusätzlich rund 100.000 Euro pro Jahr für drei Jahre zur Verfügung. Ein attraktives Zubrot, das er nicht missen will: „Mit diesem Geld kann ich mir auch teurere Experimente leisten, die mir ganz neue Perspektiven eröffnen.“

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