Deutsche Biotech-Firmen auf dem Radar internationaler Pharmakonzerne

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Ob der Berliner Standort von Jerini nach der Übernahme von Shire erhalten bleibt, ist noch offen. Quelle: Jerini

04.07.2008  - 

Die deutsche Biotech-Branche ist erheblich in Bewegung gekommen und offenbar immer stärker auf dem Radar ausländischer Pharmakonzerne: Gerade hat der britische Arzneimittelhersteller Shire die Berliner Biotech-Firma Jerini für rund 350 Millionen Euro übernommen. Der Kauf setzt damit die Konsolidierung der Branche weiter fort. Im Mai hatte der japanische Pharmakonzern Daichii Sankyo bereits bei der Münchner Biotech-Firma U3-Pharma zugeschlagen. Kurze Zeit später griff das Schweizer Unternehmen Lonza bei der Kölner Amaxa zu. Der Forschungsstandort Deutschland profitiert dabei: Sowohl bei U3-Pharma als auch bei Amaxa wollen die neuen Hausherren Kapazitäten ausbauen. Siemens Healhcare hat zudem jüngst sein neues Zentrum für molekulare Forschung in Köln bezogen. Bei Jerini indes sieht die Lage anders aus. Shire interessiert sich vor allem für das kurz vor der europäischen Zulassung stehende Mittel Icatibant, viele anderen Jerini-Aktivitäten werden vermutlich verkauft.

Für die deutsche Biotechnologie-Branche war Jerini nach vielerlei Rückschlägen bei anderen Firmen ein Hoffnungsträger. Icatibant hätte das erste deutsche Biotech-Medikament auf dem Markt sein können. Daraus wird nun nichts. Kurz vor dem Endspurt war Jerini knapp bei Kasse. Mit flüssigen Mitteln von nur noch 28 Millionen Euro hätte der Aufbau eines eigenen Vertriebs für Icatibant in Europa nicht mehr gestemmt werden können. Das Mittel soll das erbliche Angioödem behandeln, ein Gen-Defekt, der spontan auftretende, schwere Schwellungen hervorruft. Während die europäische Zulassungsbehörde EMEA grünes Licht für die Therapie gab, lehnt das amerikanische Pendant im April eine Zulassung jedoch zunächst ab. „Das Angebot von Shire war so attraktiv, das konnten wir nicht ablehnen“, sagt Jerini-Firmenchef und Gründer Jens Schneider-Mergener nach der Veröffentlichung des Verkaufs am 3. Juli. Für die Übernahme legen die Briten 328 Millionen Euro auf den Tisch, 6,25 Euro pro Aktie. Das entspricht einer Prämie von rund 70% gegenüber dem Aktienkurs vom 2. Juli, als das Papier bei 3,65 Euro notierte. Beim Börsengang der Firma im Jahr 2005 war die Aktie 3,20 Euro wert. Um den Vertriebsstart von Icatibant ohne Verzögerung zu gewährleisten, hat Shire zudem für 21 Millionen Euro Jerini-Aktien gekauft. Damit kann die Firma bis zum Abschluss der Übernahme finanziert werden. Shire hofft auf jährliche Spitzenumsätze für Icatibant von 350 Millionen Dollar und will sich auch für eine Zulassung in den USA einsetzen. Welche Entwicklungsprojekte die Briten von Jerini übernehmen werden, ist noch unklar. Das alte Management stünde jedoch bereit, Teile der Firma in einem neuen Unternehmen weiterzuführen, falls Shire verkaufen will, heißt es.

Mitten im Wendechaos gründet Jens Schneider-Mergener die Biotech-Firma Jerini Anfang der 90er Jahre in Berlin.Lightbox-Link

Jens Schneider Mergener: Mitten im Wendechaos landet der Chemiker Anfang der 90er Jahre in Berlin an der Charité. Kurze Zeit später gründet er bereits seine eigene Firma. Wollen Sie mehr über den Jerini-Gründer erfahren? Dann lesen Sie unser Forscherprofil.

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Investoren sind mit Verkauf zufrieden, Firmengründer mit Wehmut

Während sich die Investoren über die gute Bewertung von Jerini freuen, zeigt sich bei Firmengründer Schneider-Mergener ein gewissener Wehmut. Anfang der 90er Jahre hatte der Charité-Professor die Firma mit seiner Arbeitsgruppe gegründet und sich zunächst als Dienstleister für die Pharmaindustrie etabliert. Als Basis dient eine Technologieplattform, mit deren Hilfe sich peptidbasierte Arzneimittel entwickeln lassen. Selbst erforschte Präparate zur Behandlung der altersbedingten Makuladegeneration (AMD) oder entzündlichen Errkankungen befinden sich auch heute noch mitten in der klinischen Entwicklung. Zur Jahrtausendwende lizenziert Jerini jedoch den präklinischen Wirkstoff Icatibant von Hoechst Marion Roussel ein, heute Sanofi-Aventis. Die Berliner schaffen es mit dem Mittel zur Behandlung des erblichen Angioödems durch die gesamte klinische Prüfung, werben insgesamt 130 Millionen Euro – inklusive Börsengang – bei Investoren ein. Es hätte das erste in Deutschland entwickelte Biotech-Medikament sein können. Am Ende sind die flüssigen Mittel zu knapp. „Das Geld hat einfach nicht gereicht, das ist ein schmerzhafter Moment“, sagt Schneider-Mergener nach dem Verkauf seiner Firma in der Financial Times Deutschland. Was er künftig machen will, ist noch offen. In der Pressemitteilung der Firma ist eine Neugründung nicht ausgeschlossen, falls Shire die anderen Entwicklungskandidaten verkaufen will.

Forschungsstandort Deutschland für internationale Konzerne interessant

Für die deutsche Branche ist Jerini nun schon der dritte Verkauf innerhalb kürzester Zeit. Erst im Mai wurde die Münchner Biotech-Firma U3-Pharma als erstes deutsches Biotech-Unternehmen an eine ausländische Pharmafirma verkauft. Trotz noch relativ früher Entwicklungskandidaten ließ der japanische Konzern Daichii Sankyo 150 Millionen Euro springen. Gelockt hat dabei vor allem das Renommée des Firmengründers und Krebsforschers Axel Ullrich, der die Firma 2001 gegründet hatte. Aus Sicht des Forschungsstandortes Deutschlands bedeutet diese Übernahme denn auch kein Ausverkauf: Daichii Sankyo will in München seinen ersten Forschungsstandort außerhalb Japans aufbauen und die Firma als Einheit belassen. Ähnlich sieht es bei der Kölner Biotechnologie-Firma amaxa aus, die ebenfalls im Mai von der Schweizer Firma Lonza für geschätzte 90 Millionen übernommen wurde. Die Übernahme soll die Forschungskapazitäten bei Lonza im Bereich Cell Discovery maßgeblich stärken.

Auch Siemens Healthcare hat sich erst seit kurzem für Köln als neuen Standort für die molekulare Forschung entschieden."Köln bietet eine sehr gute Infrakstruktur und in der deutschen Biotechnologie-Szene kein kleines Licht", so  Christoph Petry, Siemens‘ Leiter Forschung Molekulare Diagnostik in Deutschland, bei der offiziellen Eröffnung der Räumlichkeiten auf dem Biocpamus Mitte Juni. Derzeit 35, größtenteils aus der übernommenen Diagnostik-Sparte der Bayer Healthcare AG (Leverkusen) stammende in vitro-Diagnostikexperten sollen hier nun eine Forschungsplattform zur prädiktiven Brustkrebsdiagnostik aufbauen. „Wir müssen Krebs besser charakterisieren, als das heute möglich ist“, erklärt Petry.

In bereits existierenden, zahlreichen Kooperationen mit klinischen Forschergruppen geht es primär darum, RNA-Biomarker aufzuspüren, die eine Vorhersage des Rückfallrisikos nach einer Brustkrebstherapie ermöglichen. Entsprechende Vorhersagetests versprechen eine verbesserte Behandlung, weil mögliche Therapien individuell angepasst und belastende, unnötige Arzneimitteltherapien vermieden werden können. „Durch Analysen von Gewebeproben aus homogenen Patientenpopulationen finden wir Marker, mit deren Hilfe wir noch vor Beginn der Therapie die Wahrscheinlichkeit bestimmen können, ob die Patientin einen Rückfall erleiden wird oder nicht“, so Petry. Derzeit werde ein Test erprobt, der die Aktivität von 12 Brustkrebs-Biomarkern bestimmt. „Die Sensitivität und Spezifität sind selbstverständlich nicht 100%, aber die Markerkombination erscheint uns deutlich besser als die heute etablierten diagnostischen Methoden“, sagt Petry.

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