Schützende Mikrokapseln für probiotische Keime in Lebensmitteln

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Wissenschaftler aus Weihenstephan haben schützende Mikrokapseln für probiotische Keime entwickelt. Quelle: TUM/ Wissenschaftszentrum Weihenstephan

30.05.2008  - 

Ist der Darm gesund, wirkt sich das günstig auf das Immunsystem und damit auf die gesamte Gesundheit aus. Aus diesem Grund finden sich in immer mehr Lebensmitteln probiotische Keime  – lebenden Mikroorganismen, die beispielsweise bei der Verdauung helfen sollen. Der tatsächliche Nutzen ist jedoch oft beschränkt, denn viele Probiotika erreichen den Darm nicht lebend. Säuren, die während der Lagerung im Lebensmittel vorhanden sind, zerstören einen Teil der gesunden Kulturen. Nach dem Verzehr setzt ihnen noch die Magensäure zu. Forscher des Wissenschaftszentrums Weihenstephan haben dagegen jetzt Abhilfe geschaffen: Mikrokapseln, die die Probiotika solange mit einer Hülle schützen, bis sie im Darm ihre Wirkung entfalten können.

Bisher werden die helfenden Keime gefroren oder getrocknet, bevor sie einem Joghurt als Pulver in hochkonzentrierter Form zugegeben werden. Doch noch vor Ablauf des Haltbarkeitsdatums ist die Zahl aktiver probiotischer Keime in den Bechern und Fläschchen oft stark reduziert. Die Lösung des Problems: Das Einpacken der Keime in eine schützende Hülle. So genannte Mikrokapseln machen eine räumlich und zeitlich gesteuerte Freisetzung der verpackten Stoffe möglich ("controlled release"). Bei Medikamenten und Pflanzenschutzmitteln hat die Verkapselung bereits Tradition.

Am Einsatz im Lebensmittelbereich wird intensiv geforscht. Denn Mikrokapseln für den menschlichen Verzehr müssen besonderen Ansprüchen genügen: Sie sollen geschmacksneutral und für den täglichen Genuss geeignet sein. Außerdem müssen sie glatt und so klein sein, dass sie von der Zunge "unentdeckt" bleiben.

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Prof. Ulrich Kulozik und sein Mitarbeiter Dipl.-Ing. Thomas Heidebach von der Abteilung Technologie des Zentralinstituts für Ernährungs- und Lebensmittelforschung (ZIEL) am Wissenschaftszentrum Weihenstephan haben sich dieser Arbeit genommen und vor zwei Jahren die ersten Arbeiten zu lebensmitteltauglichen Mikrokapseln begonnen. "Funktionelle Lebensmittel werden immer wichtiger, aus diesem Grund müssen wir uns auch Gedanken machen, wie wir die Wirkung von Probiotika verbessern können", erläutert Heidebach. Seit September 2007 läuft ein durch den Forschungskreis der Ernährungsindustrie (FEI) gefördertes Projekt. Auf diese Weise soll insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen die Basis für neue Produktinnovationen geschaffen werden, die sich selbst keine eigene Forschungsabteilung leisten können.

Mikrokapseln in Lebensmitteln: Doppelte Herausforderung für die Forschung

Für die Forscher in Weihenstephan war die Aufgabe eine echte Herausforderung, bei der es Erfahrungen aus Mikrobiologie, Lebensmitteltechnik und Bioverfahrenstechnik zu kombinieren galt. „Die Suche nach einem passendem Hüllmaterial ist gar nicht so leicht. Zum einen müssen für Lebensmittel ganz neue Stoffe gefunden werden. Zum anderen funktionieren viele bekannte Verkapselungstechniken nicht mit lebenden Mikroorganismen, etwa weil sie große Hitze einsetzen“, erläutert Heidebach. Für die Wissenschaftler bestand deshalb gleich ein doppeltes Problem – sowohl passendes Hüllmaterial als auch ein geeignetes Herstellungsverfahren musste gefunden werden.

Inzwischen können sind die Forscher schon fast am Ziel. Sie setzen Enzyme als natürliche Biokatalysatoren ein, um probiotische Keime in das Hüllmaterial einzupacken und so vor Verfall und Magensäure zu schützen. „Als Material verwenden wird das Milchprotein Casein, da es sich gut mit anderen Stoffen mischt und auch geschmacklich für den Einsatz in Milchprodukten geeignet ist“, so Heidebach. Um das Casein in brauchbare Mikrokapseln zu verwandeln, nutzen die Forscher die Lebensmittelchemie: Zuerst mischen sie die probiotischen Keime mit dem Milcheiweiß, das als Hüllstoff dienen soll. Nach Zugabe des Enzyms Transglutaminase und der Herstellung einer Wasser-in-Öl-Emulsion bildet sich ein Casein-Gel, in dem die gesunden Bakterien von einem dichten Netz umschlossen sind.

Milliarden nützlicher Keime in einem Gramm Mikrokapseln

Die durchschnittlich 150 Mikrometer kleinen Kügelchen werden anschließend durch Schleudern abgetrennt und gewaschen. Ein Gramm Mikrokapseln enthält dann rund fünf Milliarden lebende Keime. Sowohl die Lagerung für die Dauer der Haltbarkeit des Joghurts, als auch die Magensäure kann diesen gefüllten Eiweißkapseln nichts anhaben. Erst die im Dünndarm vorhandenen Enzyme spalten die Kapseln - und lassen die Keime dort frei, wo sie sich nützlich machen sollen. Das neue Verfahren soll nun weiter zur Marktreife entwickelt werden und steht allen Interessenten in der Wirtschaft offen. Bis jetzt nämlich setzt noch kein kommerzieller Anbieter in Deutschland auf derartige Mikroverkapselungen. „Das Feld der funktionellen Lebensmitttel ist noch ein vergleichsweise junges Gebiet. Bisher wurde dieser Aspekt vernachlässigt“, sagt Heidebach. Dabei wird die Bedeutung in der Zukunft eher noch wachsen. So hat sich der Umsatz mit probiotischen Milchfrischerzeugnissen in Deutschland von 1996 bis 2004 auf 485 Millionen Euro versechsfacht. Und der Anwendungsbedarf für Mikrokapseln wächst. Schon jetzt wird daran gearbeitet, probiotische Keime in Cerealien, Wurstwaren, Fertiggerichte und Nahrungsergänzungsmittel anzureichern.

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