Rezeptor auf Nervenzellen als Zielscheibe für Behandlung bei Gehirnverletzungen entdeckt

<ic:message key='Bild vergrößern' />
Das Bild zeigt die Aufnahme von Nervengewebe einer Maus ohne den Rezeptor Sortilin: Hier starben bei einer Rückenmarksverletzung weniger Nervenzellen ab. Quelle: MDC

25.10.2007  - 

Bei einer Rückenmarksverletzung oder bei einem Schlaganfall gehen massiv Nervenzellen im Gehirn zugrunde, auch gesunde. Forscher des Max-Delbrück-Centrums für Molekulare Medizin (MDC) Berlin-Buch und der Universität Aarhus, Dänemark, haben den molekularen Prozess dieses Zelltodes genauer untersucht und mit dem Oberflächenrezeptor Sortilin einen wichtigen Mitspieler als mögliche Zielscheibe für therapeutische Ansätze identifiziert. Wie sie in der Fachzeitschrift Nature Neuroscience (2007; 22. Oktober online) berichten, kann der Untergang der Nervenzellen offenbar begrenzt werden, wenn das Gen dieses Rezeptors stillgelegt wird. Die Forscher hoffen nun, auf der Basis ihrer Ergebnisse Medikamente zu entwickeln, die gezielt diesen Rezeptor blockieren.

Bereits im Jahr 2001 haben US-Forscher eine Faktor entdeckt, der in Nervenzellen ausgeschüttet wird und zum Zelltod bei Verletzungen im Gehirn führt: das proNGF. (Die engl. Abkürzung proNGF steht für pro-nerve growth factor – Vorläufer des Nervenwachstumsfaktors) Der genaue Wirkmechanismus war damals jedoch unklar. Erst die Arbeiten der Wissenschaftler Thomas Willnow vom MDC und Anders Nykjaer von der Universität Aarhus haben Aufklärung gebracht: 2004 konnten sie nachweisen, dass ProNGF an einen Oberflächenrezeptor bindet, den Forscher Sortilin nennen. Dieser Rezeptor wiederum sitzt auf allen Nervenzellen, auch den gesunden. Bindet proNGF an Sortilin, löst es damit ein Signal aus, das die tödliche Kaskade ins Rollen bringt. Das erklärt auch, weshalb nicht nur die ursprünglich geschädigten Nervenzellen, sondern auch das umliegende gesunde Nervengewebe untergehen.

Das Bild zeigt das Nervengewebe einer Maus mit dem Rezeptor Sortilin: Es sterben wesentlich mehr Nervenzellen ab (im Vergleich zum Bild ganz oben). Lightbox-Link
Das Bild zeigt das Nervengewebe einer Maus mit dem Rezeptor Sortilin: Es sterben wesentlich mehr Nervenzellen ab (im Vergleich zum Bild ganz oben). Quelle: MDC

Rezeptor Sortilin zentraler Mitspieler beim Zelltod

Was für die Embryonalentwicklung unabdingbar ist, ist für den erwachsenen Organismus verhängnisvoll. Der durch proNGF ausgelöste Zelltod sorgt im Embryo dafür, dass sich das Nervensystem gezielt und kontrolliert ausbildet ohne auszuufern. Im erwachsenen Organismus führt dieser „Todesfaktor“ jedoch dazu, dass bei Verletzungen im Gehirn immer auch massiv gesundes, und nicht nur geschädigtes Nervengewebe abstirbt. „Das heißt, die Nervenzellen gehen nicht etwa nur durch den ursprünglichen Schaden, wie zum Beispiel den Mangel an Sauerstoff beim Schlaganfall zugrunde, sondern ganz wesentlich durch die Bindung von proNGF an Sortilin“, erläutert Willnow.

Um mögliche Behandlungsmechanismen herauszufinden, haben die Forscher in ihrer neuesten Arbeit gezielt Mäuse gezüchtet, denen der Rezeptor Sortilin fehlt. Wie die Wissenschaftler im Fachmagazin Nature Neuroscience berichten, wurde bei Tieren mit Rückenmarksverletzungen dadurch offenbar das Überleben der Nervenzellen erhöht. Es zeigte sich, dass bei den Mäusen, die kein Sortilin auf ihren Nervenzellen tragen, wesentlich mehr Nervenzellen bei einer Rückenmarksverletzung überleben, als bei Mäusen, die noch über die Sortilin-Bindungsstelle verfügen. Letztere haben bis zu 40 Prozent der betroffenen Nervenzellen verloren.

Auf dem Videoportal youtube zeigt ein Film, wie das weit verzweigte Netz an Nervenzellen im Gehirn eigentlich aussieht. Quelle: Youtube

Langfristige Ziel: Oberflächenrezeptor mit Medikamenten blockieren

„ProNGF und Sortilin sind eine ideale Zielscheibe für die Entwicklung von Medikamenten“, ist Willnow überzeugt. „Gelänge es, den Rezeptor Sortilin mit einem Medikament zu blockieren und damit zu verhindern, dass proNGF daran binden kann, wäre es möglich, zum Beispiel Patienten mit Rückenmarksverletzungen zu behandeln und die Schädigung des Nervengewebes zu begrenzen“, sagt er.

Es wird vermutet, dass proNGF bei einer Vielzahl neurologischer Erkrankungen wie Schlaganfall, Multipler Sklerose, Alzheimer und Parkinson den Zelltod von Nervenzellen auslöst. Diese Krankheiten könnten deshalb nach Ansicht der Wissenschaftler ebenfalls für solch eine Behandlungsstrategie in Frage kommen. „Allerdings gibt es für diese Erkrankungen im Mausmodell noch keinen Nachweis dafür, dass die Ausschaltung des Sortilins den Untergang von Nervengewebe reduziert. Aber wir arbeiten daran“, so der Willnow.

Videos

Kurzfilme zur Biotechnologie in unserer Videorubrik

Ob Medizin, Landwirtschaft oder Industrie - in unserer Videorubrik finden Sie eine ganze Reihe von Kurzfilmen, die Sie leicht verständlich in die Welt der Biotechnologie einführen. 


Zur Rubrik Videos

TV-Glossar

Kreidezeit - Begriffe aus der Biotechnologie

Von A wie Antikörper bis Z wie Zellkultur - die Kreidezeit erklärt Begriffe aus der Biotechnologie kurz und knapp an der Tafel. Alle Videos finden Sie in unserem Filmarchiv.


Zur Rubrik Kreidezeit