Akrobatische Kunststoffe mit Temperatur-Gedächtnis
16.07.2013 -
Teltower Biomaterialforscher haben Kunststoffe entwickelt, die bei einer schwankender Temperatur immer wieder in ihrer Form hin- und herwechseln. Das von dem Forschern als „Polymer-Aktuatoren“ genannte Material überwindet damit eine Beschränkung ähnlicher Werkstoffe. Bisher konnten Polymere mit temperaturgesteuertem Formgedächtnis nur ein einziges Mal von einer Form in die andere umschalten. Über die akrobatischen Polymere berichten die Forscher im Fachjournal PNAS (2013, Online-Vorabveröffentlichung). Das neue Material verspricht jede Menge Anwendungsmöglichkeiten – von automatischen Jalousien ohne Strom bis hin zu neuartigen Wärmekraftmaschinen.
„Unsere Aktuatoren können viele hundert Mal die Form ändern, sobald die Umgebungstemperatur bestimmte Schwellenwerte über- und wieder unterschreitet“, erläutert Andreas Lendlein, Leiter des Instituts für Biomaterialforschung am Helmholtz-Zentrum Geesthacht an dessen Standort im brandenburgischen Teltow. Sowohl die Schwellenwerte als auch die Art der Formänderung seien durch die Programmierung der Kunststoffe relativ frei wählbar. Lendlein kann sich deshalb unterschiedlichste Anwendungen mit dem neuen Material vorstellen.
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Sonnen-Jalousien stellen sich selbst ein
Tilman Sauter, der in Teltow als Doktorand arbeitet, nennt ein alltagsnahes Beispiel: „Man könnte an Sonnen-Jalousien denken, die keine externe Stromversorgung benötigen und dennoch in der Lage sind, die Verdunkelung eines Raumes nur über ihre Erwärmung zu steuern.“ Auch denkbar ist eine Wärme-Kraft Maschine, in der die Aktuatoren die Basis für ein Antriebselement bilden. In einem Experiment demonstrieren die Teltower Wissenschaftler das Funktionsprinzip der Maschine, in der sich bei Erwärmung ein Kunststoff entfaltet und damit eine Antriebseinheit bewegt. Beim Abkühlen wird der Ursprungszustand wieder eingenommen. Über das Temperaturgedächtnis lässt sich die Rotationsgeschwindigkeit der Antriebseinheit steuern.
Die Bewegung gezielt steuern
Die aktiv-beweglichen Polymere sind auf molekularer Ebene aus Strukturelementen aufgebaut, die über einen sehr breiten Temperaturbereich ihre Beweglichkeit ändern. Um die Aktivität auf Nanoebene in makroskopische Bewegung umzuwandeln, werden diese Strukturelemente zu einem Teil einem internen Gerüst zugeordnet, welches die Bewegungsgeometrie festlegt und der Bewegung eine Orientierung verleiht. „Der Anteil zwischen Bewegungselementen und formgebenden Elementen kann dabei variiert werden, worüber wir die Bewegung steuern können“, so Marc Behl, Abteilungsleiter am Teltower Institut. Kunststoffen mit Formgedächtnis wird auch in der Medizintechnik eine große Zukunft vorausgesagt. Um chirurgische Eingriffe so schonend wie möglich durchzuführen, wäre es vorstellbar, die Kunststoffe in einer kompakten Form in den Körper zu bringen, um sie – etwa durch eine Erwärmung oder Bestrahlung - dann vor Ort gezielt in eine gewünschte Form zu entfalten.