Die Antibiotika-Offensive

Antibiotika (Hof um die weißen Pads) sind die wichtigsten Waffen im Kampf gegen mikrobielle Krankheitserreger. Gegen multiresistente Keime sind allerdings viele von ihnen machtlos geworden. <ic:message key='Bild vergrößern' />
Antibiotika (Hof um die weißen Pads) sind die wichtigsten Waffen im Kampf gegen mikrobielle Krankheitserreger. Gegen multiresistente Keime sind allerdings viele von ihnen machtlos geworden.

14.02.2013  - 

Auf jährlich 1,5 Milliarden Euro beziffern EU-Experten den volkswirtschaftlichen Schaden durch Keime, die gleich gegen mehrere Antibiotika resistent geworden sind. Die Situation spitzt sich auch deshalb zu, weil die Pharmaindustrie weitgehend aus der wenig profitablen Entwicklung neuer Antibiotika ausgestiegen ist. Kürzlich hat die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina Alarm geschlagen. In einer zusammen mit der  Akademie der Wissenschaften in Hamburg erstellten Stellungnahme schlägt sie vor, die Pharmafirmen durch staatliche Anreize zurück in die Entwicklung zu holen. Unterdessen sind nun zwei große europäische Forschungskonsortien mit deutscher Beteiligung gestartet. Mit 224 Millionen Euro aus der IMI-Inititative fahnden sie nach neuen Wirkstoffen.

Angesichts der wachsenden Resistenz von Krankheitserregern gegen die rund 80 vermarkteten Antibiotika-Wirkstoffe haben Wissenschaftler der Nationalen Wissenschaftsakademie Leopoldina Staat und Industrie zu einer gemeinsamen Kraftanstrengung aufgerufen. „Die Zusammenarbeit von Universitäten und der Pharmazeutischen Industrie hat nicht die Dynamik, die man sich an dieser Stelle wünschen würde“, unterstrich Leopoldina-Präsident Jörg Hacker bei der Vorstellung eines Acht-Punkte-Aktionsplans in Hamburg am 22. Januar. Federführend war die Stellungnahme von der Akademie der Wissenschaften in Hamburg erarbeitet worden.

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25.000 Tote durch multiresistente Keime

Die Empfehlungen der Forscher zielen darauf ab, Pharmaunternehmen Anreize für die Entwicklung neuer Antibiotikawirkstoffe zu geben und die Entwicklung in Public-Private Partnerships voranzutreiben. Laut Hacker ist es dafür höchste Zeit, denn „Bakterien entwickeln im Laufe der Zeit gegen jedes Antibiotikum Resistenzen.“ Die letzte neuentdeckte Wirkstoffklasse der Chinolinone stamme laut Hacker jedoch aus den achtziger Jahren. Multiresistent gewordene Keime fordern laut Hacker in Europa indessen „mindestens 25.000 Todesopfer pro Jahr“. Weil jedoch die Gewinnmargen für Antibiotika sehr gering sind, haben die meisten Pharmafirmen ihre Antibiotikaforschung eingestellt oder in eigene Unternehmen ausgegliedert.

Die Leopoldina empfiehlt deshalb, Rahmenbedingungen zu schaffen, die das Entwicklungsrisiko für die Unternehmen senkt und die Zulassungschancen erhöht. Ziel müsse es sein, „öffentliche Anreizsysteme zu etablieren, die eine Rückkehr der Industrie in die Antibiotikaentwicklung fördern.

Phase III-Studien fördern, Zulassungsprozedere beschleunigen

Hierzu fordern die Forscher, Bund und Unternehmen sollten die Kosten für die Phase III-Studien gemeinsam schultern. Zudem sei es sinnvoll, den derzeit für die Marktzulassung geforderten Überlegenheitsnachweis neuer Antibiotika fallenzulassen. In dieser Folge der Kreidezeit erklärt Annette Langbehn, was sich hinter der Abkürzung MRSA verbirgt. Quelle: biotechnologie.tvUm ein breites Portfolio an Reserveantibiotika vorzuhalten, müsse ein Wirksamkeitsnachweis ausreichen. Auch müsse ein beschleunigtes Zulassungsverfahren für Antibiotika gegen besonders kritische Erreger her. Zusätzlich sollen forschungsgetriebene Studien erleichtert und Public-Private-Partnership-Modelle etabliert werden, um die Translation von Forschungsergebnissen in die Klinik zu beschleunigen. Um neuartige Zielmoleküle und Wirkprinzipien zu identifizieren, müsse zudem mehr Geld in die Grundlagenforschung zur funktionellen Genomforschung und Metabolomik gesteckt werden, der Aufbau von Screening-Zentren und Substanzbibliotheken sowie die Erforschung der Resistenzentstehung und -weitergabe vorangetrieben werden.

Um den Einsatz von Antibiotika in der Tierzucht einzuschränken, schlagen die Wissenschaftsvertreter den Aufbau eines deutschlandweiten Katasters vor, in dem der Einsatz dokumentiert wird. Gleiches soll in Kliniken und Ambulanzen aufgebaut werden, um die Resistenzentwicklung wichtiger Keime zu überwachen.

Auch die sozioökonomische Forschung soll gestärkt werden, sprich: ob Antibiotika richtig verschrieben und eingenommen werden, wie Resistenzen durch Hygiene vorgebeugt werden kann.

Stellungnahme zu Antibiotika

Die komplette Stellungnahme der Leopoldina und der Akademie der Wissenschaften in Hamburg „Antibiotika-Forschung: Probleme und Perspektiven“: hier klicken

Europa ist schon weiter

Viele der Vorschläge sind bereits in der 2008 vom Bundeskabinett verabschiedeten „Deutschen Antibiotika-Resistenzstrategie“ (DART) enthalten. Spezielle Hilfe gegen die zunehmend multirestenten Erreger bietet der im November 2011 von der Europäischen Kommission verabschiedete „Action Plan on Antimicrobial Resistance“. Vor zwei Wochen starteten nun als Teil der europäischen IMI-Initiative die ersten beiden Projekte seines 223,7 Millionen Euro-Programms „NewDrugs4Bad Bugs“. Unter Beteiligung der Pharmaunternehmen AstraZeneca, GlaxoSmithKline, Basilea Pharmaceutica, Janssen und Sanofi machen sich die Projekte „Combatting Bacterial Resistance in Europe“ (Combacte, Budget: 194,6 Millionen Euro) und „Molecular Basis of the Bacterial Cell Wall Permeability“ (Translocation, 29,3 Millionen Euro) daran, Teile der Leopoldina-Vision umzusetzen. Beteiligt sind auch deutsche Forschungseinrichtungen, etwa bei Combacte das Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig und die Unikliniken in Freiburg und Köln. An laufenden Phase III-Projekten von Big Pharma werden neue Studiendesigns getestet, ein europaweites Rekrutierungsnetz für klinische Studien und ein Labornetzwerk für die Überwachung von Antibiotikaresistenzen aufgebaut.

© biotechnologie.de/tg

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