Pharmakonzerne: Kooperationen statt Alleingänge

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Alleingänge in der Pharmaindustrie sind ein Auslaufmodell - immer mehr Konzerne setzen auf Kooperationen in der Medikamentenentwicklung. Quelle: klicker/pixelio.de

02.10.2012  - 

Akademische Institute und Pharmakonzerne haben eigentlich konträre Interessen. Während die einen vor allem daran interessiert sind, ihren wissenschaftlichen Ruf durch möglichst zahlreiche Publikationen zu mehren, scheuen die anderen diese Offenheit. Ihr Gewinn bemisst sich in Patenten und im besten Fall in Zulassungen und Euros. Diesem Ungleichgewicht zum Trotz entdecken Pharmakonzerne jetzt aber zunehmend die akademische Forschung als Partner. Sie haben kaum eine andere Wahl.

So erweiterte im vergangenen Monat der französische Pharmakonzern Sanofi seine Zusammenarbeit mit der Charité. Interessiert soll sich das auch der Roche-Konzern angesehen haben. Dieser will sich akademischen Partnern ebenfalls stärker öffnen und hat dafür eigens ein „Translational Research Office“ gegründet. Die Anlaufstelle hat ihren Sitz in Penzberg und wird von Gerd Maass geleitet. „Der Roche-Konzern mit seinen zahlreichen Sparten in Diagnostics und Pharma ist von außen schwer in seiner Gesamtheit zu erfassen. Das macht es für Wissenschaftler, die an einer akademischen Kooperation interessiert sind, nicht gerade leicht. Dem tragen wir Rechnung“, sagt Maass. Gleichzeitig will Roche akademische Kooperationen neu ordnen. Zukünftig werde auch in Deutschland ein Modell etabliert, das Roche bereits in Zürich erfolgreich getestet hat. Anstelle vieler wechselnder Partner sollen zukünftig eher langfristige Kooperationen mit wenigen Instituten geschlossen werden.

„Wir wollen die Grundlagenforschung nicht abschaffen“

Sanofi testet diese neue Partnerschaftsmentalität bereits in Pilotprojekten wie zum Beispiel mit der Charité. „Wir haben hier gemeinsame Labore mit den Klinikforschern eingerichtet, in denen wir die Erforschung möglicher Wirkstoffziele gemeinsam voranbringen“, so Sanofis Forschungsleiter Jochen Maas – der nicht zu verwechseln ist mit seinem Roche-Kollegen Gerd Maass. Der Sanofi-Mann ist sich sicher, dass Projekte, die von Sanofi und den akademischen Instituten co-finanziert werden, helfen, von Anfang an gemeinsame Standards zu verfolgen. Damit könnten spätere Missverständnisse verhindert werden. „Die Kooperation der Zukunft“, wie Maas es nennt, geht aber noch weiter. In Frankfurt setzt der Pharmakonzern auf einen tieferen Austausch mit Akademikern. „Wir haben gerade einen Professor zu einem Sabbatical in unsere Konzern-Labore aufgenommen“, sagt Sanofis oberster Pharmaforscher in Deutschland. Dabei ginge es nicht darum, Uni-Forschern Pharmaprozeduren aufzuzwingen. „Wir wollen die Grundlagenforschung nicht abschaffen“, so Sanofis Maas.

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Frühe Verhandlungen will auch Roche verfolgen. In Zürich hat der Konzern das mit der dortigen Spitzenhochschule ETH bereits erprobt. „Wir haben uns aneinander herangetastet und bereits früh einen Rahmenvertrag geschlossen, der vieles schon vorab regelt“, so Roches Maass. Der Pharmakonzern korrigiert damit ein Hindernis, das in der Vergangenheit zu Zeitverzögerungen führte: Oft wurden vor dem Start eines Projektes Monate mit detaillierten Verhandlungen vertan, bevor es tatsächlich losging. „Das können wir jetzt schneller schaffen“, so der Roche-Manager. Sein Team und er haben sich ehrgeizige Ziele gesetzt. „Wir wollen in den kommenden Jahren vier bis sechs Rahmenverträge unterzeichnen.“ Deutschland habe viele gute akademische Institute. Vor allem die Kommunikation solle verbessert werden. Teil der neuen Vereinbarung sei ein Joint Steering Comitee, das sich viermal im Jahr trifft, laufende Projekte bewertet und neue initiieren kann. Die Vorschläge kommen dabei sowohl von Roche als auch vom akademischen Partner, der Anregungen aus seinem Tagesgeschäft einbringen kann.

Das Modell LDC

Auch Sanofi setzt auf das Schaffen eines gegenseitigen Verständnisses. Einerseits ganz praktisch – so bekämen viele Konzernforscher bei ihren Einsätzen in der Klinik zum ersten Mal einen Patienten zu Gesicht. Die neue Kooperation mache das möglich. Andererseits sind neue Prozeduren auf akademischer Seite erforderlich.  Was das bedeutet, erklärt Thomas Hegendörfer, zuständig am Lead Discovery Center (LDC) der Max-Planck-Gesellschaft in Dortmund (mehr...) für Lizenzprojekte. Er sieht sich als Brückenbildner. In der Stadt des Deutschen Fussballmeisters arbeitet man ebenfalls an Standards. Denn vielfach seien unterschiedliche methodische Herangehensweisen verantwortlich etwa für die mangelnde Reproduzierbarkeit von Forschungsergebnissen. „Eine biologische Beurteilung eines Experiments unterscheidet sich oft von einer chemischen“, erläutert Hegendörfer. So ergebe ein genetischer Knock-out-Versuch oft ein anderes Ergebnis als die Verwendung eines chemischen Inhibitors. Selbst wenn es sich um das gleiche Proteinziel handelt, bringt der biologische Ansatz mit dem Abschalten eines Gens oft andere Erkenntnisse als wenn man das gleiche Ziel mit einer chemischen Blockiersubstanz verfolgt. Vom LDC erhalten Wissenschaftler daher niedermolekulare Inhibitoren für Wirkstoffziele, mit denen weitere Experimente gemacht werden könnten. Das erhöht die Genauigkeit der Projekte und damit auch deren kommerziellen Wert.

Roche will auch weiterhin viel Geld in Forschung investieren

Roche denkt schon weiter. Sollten sich die Rahmenverträge in Deutschland bewähren, könne das Konzept auch auf andere Länder ausgedehnt werden, so Maass. Hinter dieser Offenheit versteckt sich ein generelles Problem der Pharmaindustrie. Trotz steigender Ausgaben, hat sich der Output der Industrieforschung in den vergangenen Jahren nicht erhöht. Viele Konzerne setzen daher auf Partner. Nicht alle sind dabei in so einer guten Lage wie Roche. Erst Anfang September erklärte der Vorstandsvorsitzende des Konzerns, auch weiterhin hohe Forschungsinvestitionen tätigen zu wollen. Bei Roche sind das immerhin rund 6,6 Milliarden Euro pro Jahr. Gegenwärtig unterhält der Konzern mehr als 160 klinische Wirkstoffprojekte gleichzeitig. Auch Sanofi hat einige Perlen im Portfolio, jedoch sind die Franzosen viel stärker durch Patent- und Umsatzausfälle betroffen als die Schweizer. Die Lösung für die Zukunft ist jedoch bei beiden gleich: mehr Partnerschaften, weniger Risiko. Und so haben neue Modelle Konjunktur. Mega-Projekte wie die Sequenzierung verschiedener Tumor-Genome zur Entwicklung neuer personalisierter Therapien wollen einzelne Unternehmen nicht mehr allein angehen. Die Kosten sind zu hoch. Stattdessen befindet sich eine öffentliche Datenbank in Planung, in denen die Resultate abgelegt und für alle zugänglich gemacht werden sollen. Solche Public-Private Partnerships gibt es bereits – etwa die Innovative Medicines Intiative der Europäischen Union, die von öffentlicher und privater Seite co-finanziert wird. Weitere Modelle werden kommen. Für Roche fasst es Maas wie folgt zusammen: „Es muss nicht immer jeder alles allein machen. Das hat uns die Vergangenheit gelehrt.“

© biotechnologie.de/pd

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