Epigenetik: Erbsubstanz unter Stress

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In belastenden sozialen Situationen verändern sich Methylierungsmuster (leuchtende Kugeln) der Erbsubstanz. Quelle: Christoph Unternährer und Christian Horisberger

22.08.2012  - 

Akuter Stress verändert die Methylierung der Erbsubstanz und damit die Aktivität bestimmter Gene. Wie Forscher der Ruhr-Universität Bochum gemeinsam mit Kollegen aus Basel, Trier und London in der Zeitschrift Translational Psychiatry (2012, Online-Vorabpublikation) berichten, liefern sie mit dieser Erkenntnis einen neuen Ansatz, wie Stress mit einem höheren Risiko für psychische oder körperliche Krankheiten zusammenhängen könnte. Das Team untersuchte Gen-Abschnitte, die für die biologische Stressregulation bedeutsam sind.

Die Erbsubstanz DNA liefert die Bauanleitung für die Proteine, die unser Körper braucht. Welche Proteine eine Zelle produziert, hängt vom Zelltyp und der Umwelt ab. Sogenannte epigenetische Informationen bestimmen, welche Gene abgelesen werden; sie fungieren quasi als biologische Schalter. Ein Beispiel für solche Schalter sind Methylgruppen, die sich an spezielle Abschnitte der DNA heften und dort lange Zeit verbleiben können – selbst wenn sich die Zelle teilt.

 In dieser Folge der Kreidezeit erklären wir, was sich hinter dem Begriff Epigenetik verbirgt.Quelle: biotechnologie.tv 

Auswirkungen auf das „Vertrauenshormon“

Frühere Studien zeigten, dass belastende Erlebnisse und psychische Traumata in frühen Lebensjahren langfristig mit veränderter DNA-Methylierung einhergehen. So hatte eine Forschergruppe am Genomics Center der Universität Konstanz (GeCKo) 2011 herausgefunden, dass Gewalterfahrungen in der Schwangerschaft die Methylierung der DNA bei den ungeborenen Kindern verändern (mehr…): Die Kinder sind weniger stressresistent und zeigen ein erhöhtes Gefahrenbewusstsein. Ob sich die DNA-Methylierung aber auch nach akutem psychosozialem Stress ändert, war bislang unbekannt. Um diese Frage zu klären, untersuchte die Forschergruppe insbesondere zwei Gene: das Gen für den Oxytocin-Rezeptor, also der Andockstelle für den als „Vertrauenshormon“ oder „Antistresshormon“ bekannt gewordenen Botenstoff Oxytocin, sowie das Gen für den Nerven-Wachstumsfaktor Brain-Derived Neurotrophic Factor (BDNF), der vor allem für die Entwicklung und Vernetzung von Hirnzellen verantwortlich ist. Die Wissenschaftler testeten 76 Personen, die an einem fiktiven Jobinterview teilnahmen und unter Beobachtung Rechenaufgaben lösen mussten – ein bewährtes Mittel, um im Experiment akuten Stress auszulösen. Für die Analyse der DNA-Methylierung nahmen sie den Probanden vor dem Stresstest sowie zehn Minuten und eineinhalb Stunden danach Blut ab.

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Ursache für chronische Krankheiten

Die Untersuchungen zeigten, dass der Stress keine Auswirkungen auf die Methylierung des BDNF-Gens hatte. Das für den Oxytocin-Rezeptor codierende Gen war jedoch bereits zehn Minuten nach Ende der Stressituation deutlich stärker methyliert. Ein Zeichen dafür, dass die Zellen weniger Oxytocin-Rezeptoren bildeten. 90 Minuten nach dem Lösen der letzten Rechenaufgabe fiel die Zahl der Methylierungen dann unter das Ausgangsniveau vor dem Test. Die Forscher erklären das mit einer übermäßig starken Rezeptorproduktion. 

Stress erhöht das Risiko, körperlich oder psychisch zu erkranken. Die durch Stress verursachten Kosten belaufen sich allein in Deutschland jährlich auf viele Milliarden Euro. In den vergangenen Jahren gab es immer wieder Hinweise, dass epigenetische Prozesse an der Entstehung verschiedener chronischer Krankheiten, wie Krebs oder Depression, beteiligt sind. „Epigenetische Veränderungen sind womöglich ein wichtiges Bindeglied zwischen Stress und chronischen Erkrankungen“, sagt Gunther Meinlschmidt, Leiter der Forschungssektion für Psychobiologie, Psychosomatik und Psychotherapie am LWL-Klinikum. „Wir hoffen, künftig komplexere epigenetische Stressmuster zu identifizieren und das damit verbundene Erkrankungsrisiko bestimmen zu können. Das könnte Hinweise auf neue Behandlungs- und Präventionsansätze liefern.“ Die Arbeit entstand im Rahmen eines interdisziplinären Forschungsverbunds mit der Universität Trier, der Universität Basel und dem King’s College London. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft und der Schweizerische Nationalfonds unterstützten die Studie. 

© biotechnologie.de/ck

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