Wie Pharmafirmen die Patentklippe umsegeln

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Umsatzeinbrüche nach auslaufenden Patenten - Pharmafirmen versuchen die Patentklippe mit verschiedenen Strategien zu umschiffen. Quelle: Nele Lüttmann/www.jugendfotos.de

01.06.2012  - 

Immer mehr Pharmafirmen stehen vor dem Problem, dass der Patentschutz für ihre Medikamente ausläuft. Häufig kommen dann günstige Nachahmerpräparate auf den Markt und lassen die Umsätze einbrechen. In der Branche wird bereits vor der Patentlücke oder dem „patent cliff“ gewarnt. Weil neue Umsatzbringer noch auf sich warten lassen, reagieren Pharmafirmen mit unterschiedlichen Strategien auf die Situation. Das zeigt ein Blick in die aktuellen Unternehmensberichte.

Viele Unternehmen verlassen sich darauf, interessante Entwicklungsprojekte von anderen übernehmen zu können. Entweder wird der potenzielle Wirkstoff einlizenziert oder aber gleich die ganze Firma gekauft. So muss Pharma-Klassenprimus Pfizer beispielsweise zusehen, wie die Umsätze mit dem Cholesterinsenker Lipitor dahinschmelzen. Im Dezember 2011 brachte der indische Hersteller Ranbaxy das erste Generikum mit dem gleichen Wirkstoff (Atorvastatin) auf den Markt. Im ersten Quartal 2012 fiel der Pfizer-Umsatz dann um sieben Prozent auf 11,7 Milliarden Euro. Neue Wirkstoffe, die die Lücke füllen können, sind bei dem US-amerikanischen Unternehmen selbst nicht in Sicht. Innovationen von anderen Firmen müssen also her. Um entsprechende Lizenzen und Übernahmen stemmen zu können, wird bei Pfizer derzeit die Kriegskasse gefüllt: Die Babynahrungssparte ging für 11,85 Milliarden US-Dollar an den Nahrungsmittelkonzern Nestlé. Als Interessent wurde zeitweise auch die deutsche Bayer AG genannt. In Leverkusen wird Insidern zufolge bereits ein Käufer für das eigene Segment Diabetes Care gesucht. Die Einnahmen könnten genutzt werden, um den möglichen Zukauf zu finanzieren, heißt es.

Übernehmen, diversifizieren, auslagern

Auch das britisch-schwedische Unternehmen Astra Zeneca fürchtet um seine Umsätze: „Der bevorstehende Verlust der Exklusivrechte auf mehrere Medikamente, gepaart mit den widrigen Marktbedingungen, haben beim Umsatz für einen schwierigen Start ins Jahr gesorgt“, sagte Unternehmenschef David Brennan. Er stürzte Ende April über einen Gewinneinbruch um rund 50 Prozent auf 1,6 Milliarden US-Dollar im Geschäftsjahr 2011 (2010: 3 Milliarden US-Dollar). Zum 1. Juli muss der Amerikaner nun den Chefsessel räumen. Künftig soll die Biotechnologie die Bilanz stärken. Mitte April wurde das US-Unternehmen Ardea Biosciences übernommen. Damit erhält Astra Zeneca Zugriff auf das in der Entwicklung befindliche Präparat Lesinugard, das bei Gicht-Patienten den erhöhten Harnsäurespiegel regulieren soll.

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Die Konkurrenz geht ebenfalls auf Shoppingtour: Viele große Pharmafirmen sitzen derzeit auf relativ großen Barbeständen, zudem sind die Zinsen für Kredite niedrig. Das schafft Begehrlichkeiten. GlaxoSmithKline versucht, mit einem feindlichen Übernahmeangebot den langjährigen Partner Human Genome Sciences zu schlucken. Das knapp 2 Milliarden Euro umfassende Angebot ziele vor allem auf das zugelassene Lupus-Medikament Benlysta und die Entwicklungskandidaten Darapladib (koronare Herzkrankheit) und Albiglutid (Diabetes Typ II), vermuten Experten.

Einige Firmen versuchen, sich durch die Übernahme breiter aufzustellen. Durch diese Diversifizierung soll die Schwäche auf einem Gebiet durch die Stärke in einem anderen ausgeglichen werden. Die Schweizer Novartis AG scheint diese Strategie zu verfolgen. Um die Schwäche im Geschäft mit den teuren patentgeschützten Arzneien auszugleichen, hat Novartis schon seit einigen Jahren eine eigene Generika-Tochter: Sandoz. Für 1,2 Milliarden Euro übernahm die kürzlich das ebenfalls auf Nachahmer-Präparate spezialiserte US-Unternehmen Fougera Pharmaceuticals. Die Stärkung im Bereich Biotechnologie fällt vergleichsweise bescheiden aus: Für rund 2 Millionen Euro kaufte Novartis neue Aktien des Wiener Impfstoffspezialisten Intercell.

Neben der Übernahme von interessanten Entwicklungsprojekten und der Diversifizierung verfolgen viele Pharmafirmen noch eine dritte Strategie: Möglichst viele Entwicklungsschritte werden ausgelagert, um so Kosten zu senken. Davon könnten auf Service-Leistungen spezialisierte Biotech-Unternehmen profitieren. Evotec-Firmenchef Werner Lanthaler beispielsweise erwartet für sein Unternehmen – trotz roter Zahlen im ersten Quartal – auf Jahressicht Rekordumsätze und weiteres Gewinnwachstum.

Patentlücke erfolgreich gemeistert

Einige Pharmafirmen scheinen das patent cliff vorerst umsegelt zu haben: Boehringer Ingelheim etwa. Das Familienunternehmen steigerte 2011 seinen Gewinn binnen Jahresfrist um zwei Drittel auf 1,48 Milliarden Euro. Umsatztreiber sind vor allem Eigenentwicklungen wie das Schlaganfallmittel Pradaxa (Umsatz 2011: 629 Millionen Euro), welches mit dem Bayer-Präparat Xarelto konkurriert, oder Spiriva (3,2 Milliarden Euro, +13 Prozent), ein Produkt zur Behandlung der chronisch obstruktiven Lungenerkrankung (COPD). „Dank unserer kontinuierlichen Investition in die eigene Forschung stehen wir am Beginn einer neuen Wachstumsperiode“, sagte Andreas Barner, Sprecher der Unternehmensleitung.

  

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