Kein Schwein gehabt

Ein neuer Wurf in den Zuchtlabors der kanadischen Universität Guelph. Die Hälfte der Ferkel sind Enviropigs, die andere Hälfte nicht. <ic:message key='Bild vergrößern' />
Ein neuer Wurf Ferkel in den Zuchtlabors der kanadischen Universität Guelph, darunter auch sind Enviropigs. Quelle: University of Guelph

20.04.2012  - 

Eine Idee alleine reicht nicht aus in der Biotechnologie. Der Weg aus dem Labor in den Markt ist lang und voller Hindernisse. In Europa stecken gentechnisch veränderte (gv) Sojasorten noch im Zulassungsprozess, die in den USA schon veraltet sind und nicht mehr verkauft werden. In Kanada macht der Fall des "Enviropigs" jetzt deutlich, dass selbst ein Zulassungserfolg nicht immer reicht. Die letzten Exemplare der gentechnisch veränderten Schweine, die weniger umweltschädliche Phosphate ausscheiden, werden wohl eingeschläfert. Niemand glaubt mehr an ihren wirtschaftlichen Erfolg.

Vor zwei Jahren, im März 2010, klang Steven Liss von der Universität Guelph noch sehr zuversichtlich. "Das wird wahrscheinlich das bedeutendste transgene Nahrungsmittel, das bisher zugelassen wurde. Wir betreten Neuland hier." Der Grund für den Optimismus des Umweltwissenschaftlers von der Universität im kanadischen Guelph: Die kanadischen Behörden hatten das "Enviropig" zur Zucht zugelassen. Das war eine Premiere für ein als Nahrungsmittel bestimmtes gv-Tier, und einer der letzten Schritte auf dem Weg zu den Kunden.

Phytase-Enzym im Erbgut statt als Futterzusatz

Die Idee, die hinter dem modifizierten Paarhufer steckt, klingt zunächst vielversprechend. Es geht um Phosphor, ein Mineralstoff, der für das Leben auf der Erde unentbehrlich ist. In Form von Phosphaten steckt er in vielen wichtigen Molekülen der Zelle, etwa der Energiewährung ATP und sogar in der DNA. Als Phosphorsäure sorgt er dafür, dass der Stoffwechsel der Zelle funktioniert. Auch Mastschweine brauchen Phosphor, allerdings bekommen sie das aus ihrer üblichen Diät aus Mais oder Weizen nur unzureichend, da diese Pflanzen zwar Phosphor enthalten, ihnen jedoch das Enzym Phytase fehlt, das den Tieren die Aufnahme des  Phosphors erlaubt.Jan Wolkenhauer erklärt in dieser Folge den Unterschied zwischen cisgenen und transgenen Organismen.Quelle: biotechnologie.tv Deshalb versetzen Schweinezüchter seit langem das Futter für ihre Tiere künstlich mit dem Enzym. Das "Enviropig", und das war die Idee der kanadischen Wissenschaftler, braucht keine Zusätze, weil es das Enzym in den eigenen Zellen produziert. Das hat zwei Vorteile. Erstens sparen die Bauern Geld, sie müssen keine Zusätze mehr kaufen. Zweitens ist das eingebaute Enzym wirksamer als das zugesetzte, weshalb die Schweine mehr Phosphor verdauen und damit weniger in ihren Ausscheidungen übrigbleibt. 30 bis 70 Prozent weniger Phosphor haben die Forscher im Kot der gv-Tiere gefunden. Das wiederum ist gut für Flüsse und Seen, wo Phosphorüberschuss aus Gülle zu Überdüngung und zum Umkippen der Gewässer führen kann.

Coli-Bakterien lieferten Vorlage

Dieser Effekt hat den neuen Schweinen auch den Namen "Enviropig" eingebracht, was auf Deutsch wenig schmeichelhaft mit “Umweltsau” übersetzt werden könnte. Schon in den neunziger Jahren begannen Molekularbiologen der Universität Guelph in der kanadischen Provinz Ontario, in der Natur gezielt nach Lebewesen zu fahnden, die Phosphor eigenständig umsetzen können. Im Modellbakterium E.coli wurden sie schließlich fündig. Der Mikroorganismus verfügt über ein Gen, das den Bauplan für ein entsprechendes Enzym trägt.

Um sicherzugehen, dass die Gensequenz in der Schweine-DNA auch aktiviert wird, hängten die Wissenschaftler noch einen sogenannten Promoter aus Maus-DNA dran. Das ist eine Sequenz, die für ein verstärktes Ablesen der angehängten Sequenzen sorgt. Nachdem sie das Genkonstrukt in Schweineembryos eingepflanzt hatten, half nur noch Warten. Es sollte sich lohnen.

Enviropig

Mehr Informationen zum Enviropig finden Sie auf den englischsprachigen Internetseiten der Universität Guelph: hier klicken

Die aus den Embryos entstandenen Schweine stellten nicht nur das Phytase-Enzym her, sondern vererbten diese Fähigkeit auch an ihre Nachkommen. 1999 wurden die Tiere der Öffentlichkeit vorgestellt. Die Hoffnungen der Forscher waren groß. “Damals glaubte ich, dass transgene Tiere in sieben, acht oder neun Jahren wahrscheinlich akzeptiert werden würden", sagte der Mikrobiologe und Forschungsleiter Cecil Forsberg vor kurzem der New York Times.

Und tatsächlich sah es im Jahr 2008 so aus, als könnte das Enviropig das erste transgene Tier werden, das bald als Nahrungsmittel in den USA zugelassen werden könnte. 2010 erfolgte die Zulassung zur Zucht in Kanada. Das “Enviropig” schien ein Erfolgsmodell. "Wir sind jetzt in der achten Generation, und das Gen wurde auf alle Generationen weitervererbt", freute sich Forsberg. "Und unseren Tests zufolge verändert sich das Gen über die Generationen hinweg auch nicht."In Deutschland wurde zur gleichen Zeit ein jahrelanger Streit um das sogenannte Schweinepatent beendet (mehr...). Das Patent EP 1651777 bezog sich auf einen Gentest, der die Zucht von besonders ertragreichen Schweinen ermöglichen soll. Nach Protesten von Naturschutzverbänden zog die US-Firma Newsham Choice Genetics das Patent beim Europäischen Patentamt zurück.

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Auch das Enviropig war nicht von Dauer. In der zehnten Generation ereilt es nun das Aus. Die 16 bestehenden Tiere werden wohl eingeschläfert, sagte Forsberg der New York Times. Ontario Pork, eine Vereinigung von Schweinezüchtern, die das Projekt finanzierte, hat sich zurückgezogen. Wie in Europa geben auch in Nordamerika viele Verbraucher in Meinungsumfragen zu Protokoll, dass sie Nahrungsmitteln von gentechnisch veränderten Tieren eher skeptisch gegenüberstehen. Allerdings wollen die Wissenschaftler einige Samenzellen einfrieren, sodass wieder Tiere gezüchtet werden könnten, falls sich ein Unternehmen findet, dass sie vermarkten will. "Ich habe mich geirrt”, sagt Forsberg, der mittlerweile emeritiert ist. Es habe zwar schon Gespräche mit chinesischen Interessenten gegeben. Fürs Erste wird die Welt jedoch noch eine Weile warten müssen auf die ersten Nahrungsmittel, die von gentechnisch veränderten Tieren stammen.

In der Medizin allerdings werden gentechnisch veränderte Schweine wohl demnächst gebraucht. Forschern des Friedrich-Loeffler-Instituts (FLI) am Institut für Nutztiergenetik in Mariensee gelang es 2011 zusammen mit der US-Firma Sangamo, durch den Einsatz von Zinkfinger-Enzymen das Gen auszuschalten, das maßgeblich für die Abstoßungsreaktionen von Scheineorganen im menschlichen Organismus verantwortlich ist (mehr...). Die Forscher konnten Tiere ohne den Genfaktor züchten. Wenn schon nicht als Kotelett, so rücken gentechnisch veränderte Schweine damit als Organspender ein wenig näher an die Realität heran.

© biotechnologie.de/cm

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