Chloroplasten schmuggeln Gene über die Artgrenze

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Küssende Bäume: Eine Birke und eine Eiche sind eng miteinander verwachsen. An solchen Kontaktstellen kann auch Erbinformation den Besitzer wechseln. Chloroplasten, winzige Zellorganellen, vermitteln den Gentransfer. Quelle: Ralph Bock

02.02.2012  - 

Auch ohne geschlechtliche Fortpflanzung können Pflanzen untereinander Erbmaterial austauschen – und das sogar über Artgrenzen hinweg. Potsdamer Pflanzenforscher haben herausgefunden, dass Tabakpflanzen an bestimmten Kontaktzonen Chloroplasten oder deren Genome übertragen können. Wie sie im Fachjournal PNAS (2012, Online-Vorabveröffentlichung) berichten, sind sie dem ungewöhnlichen Gentransfer auf die Spur gekommen, als sie  verschiedene Tabakarten im Labor aufeinander pfropften und die Wanderung der DNA nachverfolgten. Durch die Einverleibung fremder Erbgutabschnitte rüsten die Pflanzen ihre genetischen Ressourcen auf. Die Natur betreibt damit auf ihre eigene Art und Weise Gentechnik.

Wenn in der Tier- und Pflanzenwelt ohne Sex Gene von einem Partner zum anderen nachhaltig übertragen werden, sprechen Forscher vom horizontalen Gentransfer. Früher dachte man, dass ein solcher Genaustausch nur bei Prokaryoten, also Lebewesen ohne echten Zellkern, möglich sei. Von Bakterien beispielsweise war lange bekannt, dass sie überlebenswichtige Gene, wie zum Beispiel Antibiotikaresistenzen, über horizontalen Gentransfer an andere Bakterienstämme weitergeben können. Doch Evolutionsgenetiker wissen schon seit einigen Jahren, dass sich horizontaler Gentransfer keinesfalls auf Prokaryoten beschränkt. Auch an Kontaktflächen verschiedener menschlicher Gewebe, wie beispielsweise nach einer Organtransplantation, kann ein solcher Austausch von Genen stattfinden.

Pfropfungen sind in der Natur und im Gartenbau alltäglich

Eine Standardprozedur aus der Gärtnerei ist auch so etwas wie eine Transplantation: Die Pfropfung. Vor allem bei Obstbäumen und Rosenstöcken werden Äste abgeschnitten, um an diesen Stellen Teile anderer Pflanzen einzusetzen. Mit dieser Veredelungstechnik lassen sich besonders ertragreiche Sorten elegant vermehren. Doch solche Veredelungen passieren nicht nur durch Menschenhand. Auch wenn Pflanzen in der Natur sehr nah beieinander stehen, können sie an Kontaktflächen zusammenwachsen. Solchen „küssenden Bäumen“ begegnet man manchmal bei Waldspaziergängen.

Bereits 2009 fanden Ralph Bock und Sandra Stegemann vom Potsdamer Max-Planck-Institut für Molekulare Pflanzenphysiologie heraus, dass Erbinformation aus den Photosynthese-Organellen von Pflanzen, den grünen Chloroplasten, per horizontalem Gentransfer von einer Pflanze auf eine andere übergehen kann (mehr...). Ihre Erkenntnisse damals beschränkten sich jedoch auf die Übertragung von Genen innerhalb einer Art.

Hintergrund

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Laborexperimente mit molekularen Laternen

In ihren neuen Experimenten kombinierten sie drei in der Natur nicht miteinander kreuzbare Tabakarten: Teile von Nicotiana benthamiana, einer krautigen Pflanzenart, und von Nicotiana glauca, einem Baum, pfropften sie auf die Kulturart Nicotiana tabacum. Den beiden Wildarten N. benthamiana und N. glauca hatten sie vorher Gene für eine Resistenz gegen ein Antibiotikum sowie ein gelbfluoreszierendes Protein (YFP) in die DNA des Zellkerns eingebracht.  YFP ist eine Art molekulare Laterne, ein Markerprotein, mit der man die Identität der DNA nachverfolgen kann. Der Kulturtabak hingegen enthielt in seiner Chloroplasten-DNA eine andere Antibiotika-Resistenz und ein grünfluoreszierendes Protein (GFP). Nach dem erfolgreichen Verwachsen der Pflanzen schnitten sie die Pfropfungsstellen aus und kultivierten das Gewebe auf einem Wachstumsmedium, das beide Antibiotika enthielt.

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Unter diesen unwirtlichen Bedingungen kann nur Gewebe überleben, das gegen beide Antibiotika gewappnet ist, also solche Zellen von N. benthamiana und N. glauca, die Chloroplasten oder deren Erbinformation von N. tabacum aufgenommen hatten. Tatsächlich wuchsen aus etwa der Hälfte der Schnittproben neue Pflänzchen heran und unter dem Mikroskop zeigte sich in den Zellen das charakteristische grüne und gelbe Leuchten der beiden Markerproteine.

Komplettes Chloroplasten-Genom eingewandert
„Besonders interessant sind jedoch die Ergebnisse der DNA-Sequenzierung“, sagt Sandra Stegemann. „Das Chloroplastengenom von N. tabacum ist nämlich unverändert an die beiden anderen Tabaksorten weitergegeben worden.“ Bei den anderen Zellorganellen mit eigener DNA, den Mitochondrien, kommt es hingegen oft zu einer Vermischung des Erbguts von Donor und Rezipient. „Die neuen Chloroplasten jedoch hatten ihr eigenes Erbgut zu einhundert Prozent behalten und die alten vollständig aus den Pflanzenzellen verdrängt. Sie wurden sogar an die nächste Generation vererbt“, so Stegemann.

Noch unklar ist, auf welchem Wege die Chloroplasten ihre ursprüngliche Heimat verlassen und sich ein neues Zuhause suchen. Wandern sie durch die Plasmodesmata, jene schmalen Tunnel, die sich zwischen Pflanzenzellen ausbilden können? Oder löst sich gar punktuell die Zellwand auf und macht so den Weg frei für den Transfer? „Wir wissen bisher nicht, wie die Chloroplasten von einer Zelle in eine andere gelangen“, so Ralph Bock. „Entscheidend ist aber, dass sie es tun und sich somit zum einen wichtige evolutionäre Prozesse erklären lassen und zum anderen neue Möglichkeiten für die Züchtung von Pflanzen ergeben.“ Auch die DNA von Chloroplasten trage schließlich zur Fitness der Pflanze bei und könne ihr entscheidende Überlebensvorteile verschaffen, meint der Molekularbiologe.

© biotechnologie.de/pg

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