Go west: Deutsche Biogasbranche erkundet Kanada

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Zukünftig wird auch Kanadas Energieversorgung grüner werden - das hoffen zumindest deutsche Biogasunternehmen, die dort ihr Know How anbringen wollen. Quelle: Meddygarnet/flickr.com

27.01.2012  - 

Bei dem Versuch, von einer erdölbasierten Wirtschaft zu einer biologisch fundierten Ökonomie zu gelangen, ist Deutschland in vielen Bereichen führend. Besonders deutlich wird das etwa bei Biogas. Nirgendwo stehen so viele Anlagen wie hier, in denen Bakterien aus organischem Material den Energieträger Methan produzieren. Da der deutsche Markt zunehmend gesättigt ist, bauen die Unternehmen der Biogasindustrie zunehmend Anlagen im europäischen Ausland. Einige Pioniere wagen sich sogar schon weiter, zum Beispiel nach Kanada. Dort ist das deutsche Bio-Know-How willkommen. Die Bioökonomie wird aber mittlerweile auch hier vorangetrieben, mit Fördergeldern und Spitzenforschung.

Viel Zeit bleibt Korb Whale nicht mehr. In der letzten Nacht hat der heraufziehende kanadische Winter schon seine Zähne gezeigt. Die aufgeworfenen Erdhaufen hinter dem Wohnhaus in der Provinz Ontario sind schon hartgefroren. Sie sind das Zeichen einer Wette auf eine andere, nachhaltige Zukunft. Die Gülle seiner hundert Milchkühe will Whale nicht mehr aufs Feld ausbringen, sondern mit Hilfe deutscher Technik in Strom umwandeln. 1,5 Millionen Euro investiert er in eine Biogasanlage, die einmal knapp 500 Kilowatt Strom produzieren soll. „In acht Jahren wird es sich rentieren“, sagt der Mann mit den großen Pranken.

Biogas in Deutschland

Der Fachverband Biogas ist der größte Branchenverband des Sektors. Die Website hält aktuelle Zahlen zu Umfang und Leistungsfähigkeit der Industrie parat.

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Mehr als zwei Atomkraftwerke

Die Kalkulation stimmt deshalb, weil Ontario 2009 den Green Energy Act verabschiedet hat. Alternativen Stromproduzenten wird ein Festpreis garantiert, der über dem Marktniveau liegt und zudem für die nächsten 20 Jahre stabil bleibt. Vorbild für den den Feed in Tariff (FIT) war das Erneuerbare Energien Gesetz in Deutschland, das im April 2000 in Kraft trat. Es war spektakulär erfolgreich, auch im Bereich der Bioenergie. Waren zu Beginn des Jahrtausends noch rund 1000 Anlagen mit einer beinahe vernachlässigbaren Leistung von 65 Megawatt installiert, waren es nach den Zahlen des Fachverbands Biogas 2011 schon 7100 Anlagen, die insgesamt 2900 Megawatt zur Verfügung stellten, mehr als die zwei Blöcke von Deutschlands größten Kernkraftwerk in Gundremmingen produzieren. Sie liefern ausreichend Energie für mehr als fünf Millionen Haushalte und decken rund 3,5 Prozent des deutschen Stromverbrauchs ab.

Noch sieht es ein wenig unfertig aus. Korb Whale erklärt, wie die Biogasanalage auf seinem Hof in Ontario einmal aussehen soll.Lightbox-Link
Noch sieht es ein wenig unfertig aus. Korb Whale erklärt, wie die Biogasanalage auf seinem Hof in Ontario einmal aussehen soll.Quelle: biotechnologie.de/cm

Die deutsche Biogasindustrie ist in den vergangenen zehn Jahren zur größten der Welt geworden, mit 46.000 Arbeitsplätzen und 6,1 Milliarden Euro Umsatz ist sie größer als die gesamte klassische Biotechnologiebranche in Deutschland. Die Biogasanlagen sind ein sichtbares Zeichen für die Energiewende und die Umstellung auf eine Bioökonomie, die von der Politik forciert wird. Eine Allianz aus Bundesministerien unter der Federführung des BMBF kündigte 2011 an, bis 2016 mehr als 2,4 Milliarden Euro bereitzustellen, um diesen Wandel zu beschleunigen (mehr...).

„Deutsche Firmen haben einen guten Ruf“

Die Biogasbranche ist so erfolgreich, dass Deutschland zu klein wird. Um weiter zu wachsen, muss sie neue Märkte erschließen. In Europa ist dieser Prozess schon in vollem Gange, es gibt kaum eine Firma unter den Top Ten, die keine Niederlassungen auf dem Kontinent unterhält. Nach Übersee allerdings hatte sich bisher noch kaum einer gewagt. Im November 2011 machte sich ein erstes Vorauskommando auf, um das Terrain jenseits des Atlantiks zu erkunden. Die deutsche Außenhandelskammer in Kanada hatte unter dem Schirm der Exportinitiative Erneuerbare Energien des Wirtschaftsministeriums zu einer Konferenz in die Universitätsstadt Guelph eingeladen.

Agrienergy Producers' Association of Ontario

Das Gegenstück zum deutschen Fachverband Biogas hat derzeit rund 80 Mitglieder, die meisten von ihnen aus dem Agrarbereich.

http://www.apao.ca

Von der Pullitruppe zum straff organisierten Fachverband

“Das hier erinnert mich an die Anfänge in den 1990ern”, sagt Daniel Hölder, Vorstandsmitglied Bundesverband Erneuerbare Energien. “Die Pumpen wurden auf dem Schrottplatz zusammengeklaubt, Monitoring der Bakterien gab es nicht und der Fachverband Biogas, der war ein Club von Pulliträgern.” Heute sind es 4.400 Mitglieder aus Wirtschaft und Forschung. Hölder genießt sichtlich den Enthusiasmus, der in der eingeschworenen aber immer noch sehr übersichtlichen Truppe der Biogas-Pioniere in Ontario herrscht.

“Wir beginnen gerade mit der Lobbyarbeit”, sagt Jennifer Green, die Geschäftsführerin der 81 Mitglieder zählenden Organisation der Agrarenergieproduzenten Ontarios (APAO). “Wir stellen uns jedem einzelnen Abgeordneten vor und erklären, was Biogas ist.” Auch Jean Francois Samray leistet Basisarbeit. “Es gibt Tausende von Fermentern in Europa, hunderte in Nordamerika und eine Handvoll in Quebec”, sagt der Manager mit einem leichten Seufzen. In Nadelstreifen und gestärktem Hemd sitzt er 600 Kilometer nordöstlich von Guelph in der kleinen Küche des Verbands für erneuerbare Energien von Quebec, die auch als Besprechungsraum dient. Samray tut sein Bestes, den Besucher aus Europa von den glänzenden Aussichten der Bioenergie in der französischsprachigen Provinz zu überzeugen. “Es wird sich vieles ändern.” Ein Drittel seiner Zeit widme er mittlerweile dem Biogas.

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Holz als Grundlage für die kanadische Bioökonomie

In Quebec muss allerdings niemand von grüner Energie überzeugt werden. Ganz im Gegenteil. Samray kämpft gegen eine Zahl an: 97 Prozent. Das ist der Anteil des Stroms in Quebec, der jetzt schon aus nachhaltigen Quellen kommt. Nahezu alle dieser Quellen sind flüssig. Der staatseigene Versorger Hydro Quebec ist der weltweit größte Produzent von Elektrizität aus Wasserkraft. Es kann gut sein, dass trotz Samrays Anstrengungen Biogas nie eine entscheidende Rolle im Energiemix der Provinz spielen wird. Dafür aber mit ziemlicher Sicherheit die nächste Evolutionsstufe der Biogasanlage, die Bioraffinerie. Das liegt an dem anderen großen Schatz Quebecs. Knapp die Hälfte der Provinz ist mit dichten Wäldern bedeckt, das entspricht der doppelten Fläche Deutschlands. Die Wirtschaftskrise in den USA, die geringere Nachfrage nach Bauholz, der Niedergang der Zeitungen und der Vormarsch des elektronischen Buchs haben das einstige wirtschaftliche Zugpferd zum lahmen Gaul werden lassen. Zehntausende Jobs sind vernichtet, der Absatz in manchen Bereichen um die Hälfte eingebrochen.

Länderfokus Kanada

In Sachen Biotechnologie braucht sich Kanada nicht zu verstecken. Die biomedizinische Forschung des Landes hat einen exzellenten Ruf, aber auch bei biotechnologischen Anwendungen in der Landwirtschaft rangiert Kanada an der Spitze.

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Robert Sauvé, Quebecs stellvertretender Minister für natürliche Ressourcen, will die Industrie umkrempeln und auf neue Füße stellen. Biotechnologische Füße. “Wir versuchen die holzverarbeitende Industrie und die chemische Industrie zusammenzubringen.” Holz soll nicht mehr nur zu Balken oder Papier verarbeitet werden, sondern die Zellulose mit Hilfe von Bakterien zu hochwertigen Materialien für die chemische und pharmazeutische Industrie umgewandelt werden. Auch die Industrie hat reagiert und die FP Innovations gegründet, eine Art transkanadische Fraunhofer-Gesellschaft, bloß konzentriert auf den Holzsektor. 280 Unternehmen und – das ist selten im ansonsten von erbitterter Konkurrenz getriebenen Verhältnis der Provinzen untereinander – elf Provinzregierungen finanzieren zusammen ein Netzwerk, unter dessen Dach mehrere Dutzend Forschungsprojekte zur Forstwirtschaft der Zukunft laufen. Erforscht wird etwa die Biogasproduktion aus Faserstoffen, die Bereitstellung nanokristalliner Cellulose oder der Verwertung von Lignin. 

Diese Holsteiner-Kuh wird als eine der ersten unter ihren kanadischen Artgenossen mit ihrer Gülle bald Energie produzieren.Lightbox-Link
Diese Holsteiner-Kuh wird als eine der ersten unter ihren kanadischen Artgenossen mit ihrer Gülle bald Energie produzieren.Quelle: biotechnologie.de/cm

Pilzenzyme helfen beim Aufschluss der Cellulose

Die anhaltende Wirtschaftskrise gibt dieser Arbeit eine neue Dringlichkeit. Die “grüne Chemie” ist auch Bestandteil des größten Prestigeprojekts in der Geschichte von Quebec: der Plan Nord. Vor einigen Monaten von Premierminister Jean Charet mit großem Aplomb vorgestellt, soll das “Generationenprojekt” die Erschließung der riesigen Landfläche nördlich des 49. Breitengrades regeln. Holz, Mineralien, Energie soll aus dem Norden kommen, natürlich umwelt- und sozialverträglich. An Ehrgeiz fehlt es nicht: 25 Jahre Laufzeit, 80 Milliarden Dollar Investitionen, 20.000 Jobs, die jährlich entstehen oder gesichert werden sollen. Sauvé hat den Plan maßgeblich mitentwickelt und ist überzeugt dass er die Provinz ins 21. Jahrhundert führen wird. “Alle Puzzleteile sind am Platz.”

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Adrian Tsang von der Concordia Universität in Montreal verkörpert ein wichtiges Puzzleteil. Sein Zentrum für Aufbau und Funktion von Genomen ist gerade in einen schicken Neubau umgezogen. Tsang und sein Team suchen nach Enzymen, die Pilzen beim Verwerten von Holz helfen. Der Aufschluss von Cellulose ist der Schlüssel für den Erfolg einer Bioraffinerie. Vor kurzem stellte Tsang in einem vielbeachteten Artikel in der Fachzeitschrift Nature Biotechnology  (Onlineveröffentlichung, 2011) einen Vergleich zweier Pilze an, die nicht nur Holz zersetzen können, sondern auch bei hohen Temperaturen florieren, wie sie oft in Bioraffinerien herrschen. Auch für deutsche Wissenschaftler ist diese Arbeit interessant. “Das ist hier eine der weltweit führenden Arbeitsgruppen”, sagt Ingo Morgenstern, der in Freiburg Ökologie studierte und nun im Zentrum seinen Doktor macht.
 Ein paar hundert Kilometer weiter westlich ist Viehzüchter Korb Whale froh, mit der Unternehmerdelegation gleich so viel konzentriertes deutsches Biogas-Know-How auf seinem Hof zu haben. “Mache ich das richtig hier?”, fragt er immer wieder, wenn es an noch nicht verbundenen Leitungen oder frisch ausgehobenen Gräben vorbeigeht. Dabei können aber auch die Experten noch etwas dazulernen. “Hat der hier nirgendwo einen Pasteurisierer”, fragt Rene Püschel von Biogas Weser-Ems erstaunt. “Nö, das ist hier wohl nicht nötig”, sagt der Kollege. Man muss Deutschland ja nicht alles nachmachen.

© biotechnologie.de/cm

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