1001 Genome: Eine Modellpflanze wird katalogisiert

Auf der Erde gibt es viele hundert verschiedene Ackerschmalwand-Stämme. Mutationen in ihrem Erbgut verraten, wie sich die Pflanzen an ihre jeweilige Umwelt angepasst haben. <ic:message key='Bild vergrößern' />
Auf der Erde gibt es viele hundert verschiedene Ackerschmalwand-Stämme. Mutationen in ihrem Erbgut verraten, wie sich die Pflanzen an ihre jeweilige Umwelt angepasst haben. Quelle: D. Weigel/ MPI für Entwicklungsbiologie

31.08.2011  - 

Unter Pflanzenforschern zählt die Ackerschmalwand Arabidopsis thaliana zu den beliebtesten Modellorganismen. Bereits 2000 wurde das Erbgut des Kreuzblüters komplett entschlüsselt. Mittlerweile interessieren sich Genomforscher insbesondere für die außergewöhnliche Vielfalt der Arabidopsis-Vertreter verschiedener Erdteile. Im Erbgut suchen sie nach molekularen Hinweisen, wie sich die Pflanzen an ihre jeweilige Umwelt angepasst haben. Unter dem Schlagwort „Ökologische Genomik“ haben die Forscher sich ehrgeizige Ziele gesteckt: 1001 Vertreter der Ackerschmalwand sollen in den nächsten Jahren dekodiert werden. Nun hat ein internationales Team, darunter Forscher aus Tübingen und Hohenheim, eine erste Zwischenbilanz im Fachjournal Nature (2011, Online-Vorabveröffentlichung) vorgelegt. Schon hier zeigt sich, an welchen Stellen des Genoms die Umwelt besonders häufig geschraubt hat.


Welche Gene und Genvarianten erlauben es Individuen ein und derselben Art, unter ganz unterschiedlichen Umweltbedingungen zu gedeihen? Die Modellpflanze der Genetik, die Ackerschmalwand, Arabidopsis thaliana, eignet sich besonders gut für die Untersuchung dieser Frage. Sie kommt mit der Hitze und Trockenheit im Norden Afrikas ebenso gut zurecht wie mit der Kälte im zentralasiatischen Hochland oder den gemäßigten Zonen in Europa. Mal ist es eine großblättrige Pflanze, mal ist sie klein und zierlich, doch immer ist es die gleiche Art.

Mehr zum Thema auf biotechnologie.de

News: Enormes Tempo der Evolution überrascht Pflanzenforscher

Menschen: Detlef Weigel-Preisgekrönter Entwicklungsbiologe auf immer neuen Abwegen

News: Nervenkrankheiten mithilfe von Pflanzen verstehen

Die Antwort liegt ohne Zweifel in der Vielfalt des Erbguts. Forscher um Detlef Weigel und Karsten Borgwardt vom Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie, Gunnar Rätsch vom Friedrich-Miescher-Laboratorium in Tübingen sowie Karl Schmid von der Universität Hohenheim haben jetzt zusammen mit einem internationalen Team das Genom von verschiedenen Arabidopsis-Stämmen aus ganz Europa und Asien sequenziert. Um die Auswirkung von geographischen Entfernungen auf die Gene zu enthüllen, wählten sie zum einen Individuen aus, die ganz in der Nähe wachsen – beispielsweise im schwäbischen Neckartal – sowie Pflanzen, die auf anderen Erdteilen vorkommen, wie Nordafrika oder Zentralasien.

Einhundert Genome analysiert

Durch die nahezu vollständige Aufklärung von einhundert Genomen dieser einen Pflanzenart sollen grundlegende Erkenntnisse über die Evolution und die biologische Vielfalt gewonnen werden – die Forscher sehen darin den Aufbruch in eine neue Ära: Die der „ökologischen Genomik“. Tausende von Proteinen unterscheiden sich in Form und Aktivität in den verschiedenen Arabidopsis-Stämmen. Darüber hinaus fanden die Wissenschaftler mehrere Tausend Fälle von zusätzlichen Genkopien und Genverlusten, aber auch neue Gene, die bisher nur in anderen Pflanzenarten zu finden waren. „Aus unseren Ergebnissen wurde eindrucksvoll deutlich, wie ausgeprägt die genetische Variabilität ist“, sagt Jun Cao vom Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie.

Vielfältige Iberer, einheitliche Asiaten

Die Genetiker um Detlef Weigel (mehr zu seinem Profil: hier klicken) fanden auch heraus, dass sich die Anzahl der genetischen Variationen in den einzelnen Regionen des Verbreitungsgebiets stark unterscheidet. Die größte genetische Vielfalt fanden die Forscher auf der Iberischen Halbinsel, wo die Art schon sehr lange vorkommt. In Zentralasien, das erst nach der letzten Eiszeit besiedelt wurde, haben die Arabidopsis-Pflanzen vergleichsweise einheitliche Genome. Diese enthalten zudem überdurchschnittlich viele Mutationen, die mit Nachteilen für die Pflanze verbunden sind, weil sie etwa die Funktion von Proteinen verändern. Normalerweise entfernt die natürliche Selektion diese Mutationen im Lauf der Zeit, aber in jungen Auswandererpopulationen sind sie durch zufällige Evolution angereichtert.

1001 Genome-Projekt

Das Projekt wurde 2008 vom MPI für Entwicklungsbiologie gestartet und wird in Kooperation mit zehn weiteren Instituten weltweit umgesetzt. Ziel ist die Analyse und der Vergleich der Gene von 1001 verschiedenen Arabidopsis-Stämmen.  Fast 500 Genome wurden bereits sequenziert und analysiert.

Mehr Informationen: hier klicken

Die Wissenschaftler haben es geschafft, einen nahezu kompletten Katalog der Genomvariationen einer Art zu erstellen. Wie jedoch diese Variationen auf molekularer Ebene zusammenwirken und zu welchen Veränderungen sie in Genprodukten führen, wurde detailliert vom Bioinformatiker Gunnar Rätsch am Friedrich-Miescher-Laboratorium und internationalen Kollegen in einer zweiten Studie untersucht. Sie analysierten 19 Arabidopsis-Stämme mit besonders großer genetischer Variabilität. Diese 19 Individuen bildeten den Grundstock für eine künstliche Population von mehreren Hundert Stämmen, die durch mehrfache Kreuzungen entstanden ist. Dabei werden systematisch verschiedene Genomstücke zusammengewürfelt. In den entstandenen Individuen lässt sich das Zusammenspiel der Gene besonders gut untersuchen. Die Wissenschaftler haben diese Genomstücke mithilfe neuartiger Analysemethoden untersucht. Dabei fielen ihnen Genabschnitte auf, die abhängig vom genomischen Kontext stillgelegt oder reaktiviert wurden. „Im einzelnen Gen finden in kurzer Zeit überraschend viele Veränderungen statt. Sie werden aber häufig insgesamt wieder kompensiert, so dass zunächst von außen nahezu keine Auswirkungen zu erkennen sind“, fasst Gunnar Rätsch die neuen Ergebnisse zusammen. Die Konzepte, Methoden und Plattformen, die auf Basis der Genomvariationen von Arabidopsis entwickelt werden, können auch verwendet werden, um Nutzpflanzen zu erforschen und einer schnellen, exakten Zuordnung und Kartierung von wünschenswerten Eigenschaften in Pflanzen dienen. Darüber hinaus können Forscher die Erkenntnisse über den Einfluss von Variationen auf die Genprodukte und ihr Zusammenwirken auch auf Untersuchungen am menschlichen Genom übertragen.

© biotechnologie.de/pg

Videos

Kurzfilme zur Biotechnologie in unserer Videorubrik

Ob Medizin, Landwirtschaft oder Industrie - in unserer Videorubrik finden Sie eine ganze Reihe von Kurzfilmen, die Sie leicht verständlich in die Welt der Biotechnologie einführen. 


Zur Rubrik Videos

TV-Glossar

Kreidezeit - Begriffe aus der Biotechnologie

Von A wie Antikörper bis Z wie Zellkultur - die Kreidezeit erklärt Begriffe aus der Biotechnologie kurz und knapp an der Tafel. Alle Videos finden Sie in unserem Filmarchiv.


Zur Rubrik Kreidezeit