Biotech Games: Pac-Man mit Pantoffeltierchen

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In den „Biotic Games“ sind Pantoffeltierchen die Hauptdarsteller. Ein Spieler kann das Verhalten der Organismen direkt beeinflussen. Quelle: Stanford University Schools of Medicine and Engineering

01.04.2011  - 

Computerspiele sind aus dem Alltag kaum mehr wegzudenken. Was mit kleinen technischen Versuchen an Universitäten begann, hat sich innerhalb eines knappen halben Jahrhunderts zu einer der einflussreichsten Freizeitgestaltungsform entwickelt. Die digitale Revolution erlaubt es Videospiel-Entwicklern nun, ihre Produkte immer näher an der Realität und somit lebensechter wirken zu lassen. So weit ihre Bemühungen aber auch gehen, es wird ihnen in punkto Realität schwer fallen, das zu übertreffen, was Ingmar Riedel-Kruse und seinem Team von der Stanford Universität gelungen ist: Als Protagonisten dienen lebende Organismen, sie werden per Joystick gesteuert und interagieren gezielt mit animierten Objekten. 

Pantoffeltierchen, Hefezellen, DNA – drei Begriffe, die sicherlich das ein oder andere Forscherherz schneller schlagen lassen, bei allen anderen aber vermutlich nicht mehr als ein Stirnrunzeln auslösen. Organismen und Moleküle, die so klein sind, dass ein menschliches Auge sie nicht erfassen kann, bestimmen den Laboralltag eines Wissenschaftlers auf der Suche nach kleinsten Puzzlesteinen. Nicht selten vergehen Jahre bis zu einer mehr oder weniger bedeutsamen Erkenntnis.

Hintergrund

Sie wollen mehr über die Arbeiten des deutschen Physikers Ingmar Riedel-Kruse erfahren? Dann schauen Sie auf seiner Webseite an der Stanford University vorbei oder lesen in der Veröffentlichung nach.

Zur Webseite von Ingmar Riedel-Kruse: hier klicken

Zur Veröffentlichung im Fachjournal  "Lab on a Chip": 2011, Ausgabe 11, S. 14-22 

Das alles klingt nicht gerade nach bestem Material, aus dem sich spannende und unterhaltsame Computerspiele spinnen lassen. Dennoch gibt es Wissenschaftler, die genau das vorhaben: eintönige Forschungsarbeit mit Computerspielen kombinieren. Ingmar Riedel-Kruse ist einer dieser Wissenschaftler. Normalerweise erforscht er die Entwicklungsbiologie am Zebrafisch, aber beim Lesen über die Geschichte der Videospiele sind dem Assistenzprofessor für Bioingenieurwesen an der Stanford Universität starke Parallelen zwischen den Anfängen der Computertechnologie und der Biotechnologie aufgefallen. „Computerspiele sind durch integrierte elektronische Schaltkreise ermöglicht worden“, so Riedel-Kruse. „Auch in der Biotechnologie gibt es solche Schaltkreise - diese beruhen auf mikrofluidischen Systemen.“ Seine Idee: Wenn die auf biotechnologischen Schaltkreisen basierenden Rechenkapazitäten immer größer werden, lassen sich möglicherweise in ganz ähnlicher Weise Spielen entwickeln wie damals bei der Programmierung erster Videospiele.Biotische Spiele aus dem Labor der kalifornischen Wissenschaftler um Ingmar Riedel Kruse. Quelle: YouTube/Stanford University

Kleine Lebewesen per Joystick steuern

Und diese Idee hat der studierte Physiker nun umgesetzt. Seine Spiele nennt Riedel-Kruse „Biotic Games“, also biotische Spiele. Die „Biotic Games“ erlauben einem Spieler, das Verhalten lebender Organismen direkt zu beeinflussen. Die Forscher setzen dabei vor allem auf einzellige Lebewesen wie Paramecien, auch Pantoffeltierchen genannt: primitive Lebensformen ohne Gehirn oder der Fähigkeit Schmerzen zu empfinden. Aus dem Videospielklassiker „Pac-Man“, das die Wissenschaftler unter anderem als Vorbild nahmen, ist so „Pac-mecia“ entstanden – eines von acht biotischen Spielen aus der ersten Entwicklungsreihe der Kalifornier, die sie im Fachjournal Lab on a Chip (2011, Ausgabe 11, S. 14-22) vorstellen und bei sich im Labor spielen können.

In einem Video auf Youtube ist zu sehen, wie das Spiel vonstatten geht. Zunächst scheint sich „Pac-mecia“ kaum von seinem Original zu unterscheiden: Mit einer Art Joystick lassen sich kleine Würmchen über einen Bildschirm jagen, wobei der Spieler sie Punkte sammeln lässt und aufpassen muss, dass sie einem gefräßigen Computerfisch nicht zu nahe kommen. Der große Unterschied: Bei den kleinen Würmchen handelt es sich nicht um Animationen, sondern um echte Pantoffeltierchen. Sie schwimmen in einer kleinen, mit Flüssigkeit gefüllten Kammer, die im Labor der Wissenschaftler direkt neben dem Bildschirm steht. Mit aufwendiger Technik wird das Bild von den nur ein Zehntel Millimeter langen Tierchen via Mikroskopkamera live auf einen Bildschirm gesendet. Ein Mikroprozessor mit spezieller Software erkennt, wo genau sie in der Kammer schwimmen und ermöglicht so die Interaktion mit einer programmierten Spieleoberfläche. Diese Spieleoberfläche lässt sich beliebig gestalten: So können Spieler mit den Organismen beim Fußballspiel Tore schießen oder auch bei einer Partie „Pong“ gegeneinander antreten. Steuern lassen sich die Einzeller dank einer natürlichen Erscheinung. „Pantoffeltierchen besitzen eine sogenannte Galvanotaxis, das heißt, sie ändern aktiv ihre Schwimmrichtung entsprechend eines Stromflusses“, erklärt Riedel-Kruse. Mit einem Joystick kontrollieren die Wissenschaftler ein schwaches elektrisches Feld, das über der Kammer angelegt ist. Der Spieler bestimmt so die Polarität des Feldes und die Pantoffeltierchen reagieren entsprechend mit Richtungswechseln darauf. Bei weiteren Spielen lenken die Forscher die kleinen Lebewesen auf eine andere Art: So werden gelegentlich kleinste Mengen einer Chemikalie in die Kammer gespritzt, wodurch das Pantoffeltierchen unmittelbar abwendet und seine Richtung ändert.

Ingmar Riedel-Kruse hat die biotischen Spiele entwickelt. Der gebürtige Dresdner ist Assistenz-Professor für Bioingenieurswissenschaften an der Stanford Universität.Lightbox-Link
Ingmar Riedel-Kruse hat die biotischen Spiele entwickelt. Der gebürtige Dresdner ist Assistenz-Professor für Bioingenieurswissenschaften an der Stanford Universität.Quelle: L.A. Cicero

Crowdsourcing: Freiwillige Helfer für die Forschung

Der Mensch interagiert also direkt mit biologischen Prozessen, die sonst in einer Größenordnung passieren, die mit dem normalen Auge nicht zu erkennen ist. Riedel-Kruse sieht in diesem Medium daher große Chancen. „Generell sind Computerspiele – wenn sie gut sind – sehr attraktiv. Häufig verbringen Leute viel Zeit damit“, so der Forscher. Er geht daher der Frage nach, ob sich die Attraktivität dieses Mediums - über spielerische Methoden - auch auf die Biologie übertragen lässt. Dabei interessiert ihn vor allem, ob Kinder durch den Umgang mit seinen biotischen Spielen in der Schule, möglicherweise mehr Begeisterung für biologische Prozesse aufbringen. „Heutzutage braucht man einfach ein gewisses Hintergrundwissen“, so der gebürtige Dresdner, „in vielen Debatten fehlt das leider oft.“ Der nächste konkrete Schritt für die Wissenschaftler: Sie wollen testen, ob und in welcher Form solche Spiele zum Lernen in Frage kommen.

Aber noch ein anderer Aspekt treibt die Forscher an, weitere biotische Spiele zu entwickeln. Dabei geht es um „Crowdsourcing“. Aus der Unternehmersprache übersetzt, versteht man darunter die Auslagerung diverser Aufgaben und Probleme auf die Intelligenz und die Arbeitskraft einer möglichst großen Masse von Freizeitarbeitern im Internet. Eine Idee: Die biotischen Spiele könnten grundsätzlich immer ein wissenschaftliches Experiment darstellen. „Während eine Person spielt, würde gleichzeitig das Experiment ablaufen. Damit wäre jeder Spieler in der Lage, einen Forschungsbeitrag zu leisten, und ich denke, dass sie das gerne machen würden“, sagt Riedel-Kruse. Eine Schar kostenloser Amateure würde so Inhalte schaffen und dazu beitragen, Forschungs- oder Entwicklungsprobleme zu lösen.

Eine Kamera oberhalb der Flüssigkeitskammer überträgt Livebilder von den Pantoffeltierchen auf einen Bildschirm. Der Spieler kontrolliert per Joystick die Polarität eines elektrischen Feldes. Dementsprechend ändern die Einzeller ihre Schwimmrichtung. Lightbox-Link
Eine Kamera oberhalb der Flüssigkeitskammer überträgt Livebilder von den Pantoffeltierchen auf einen Bildschirm. Der Spieler kontrolliert per Joystick die Polarität eines elektrischen Feldes. Dementsprechend ändern die Einzeller ihre Schwimmrichtung. Quelle: L.A. Cicero

Puzzeln für die Genomforschung

Diese Möglichkeit wird von anderen Wissenschaftlern bereits genutzt. So haben Forscher von der McGill Universität im kanadischen Montreal "Phylo" entwickelt: eine Art Online-Puzzle, das bei der Erforschung der Gene helfen soll (zum Spiel gehts hier: Phylo spielen). Bunte Klötzchen stellen hierbei die Bausteine des Erbguts dar. Punkte werden erzielt, indem der Spieler die Klötzchen auf einer horizontalen Linie so verschiebt, dass möglichst viele farbliche Übereinstimmungen mit untereinander liegenden Reihen erzielt werden. Jede Reihe steht dabei für das Erbgut einer anderen Spezies. Für Genomforscher sind solche Zuordnungen wichtig, sie nennen es Sequenzalignment. Sie wollen damit Übereinstimmungen in Erbgut-Sequenzen verschiedener Arten finden. Der Gedanke dahinter: Mehrreihige Farbmuster sortieren und Zusammenhänge erkennen können Menschen eben besser als Computer. Zeitdruck und der Vergleich mit anderen kitzeln dabei zusätzlich den Spieltrieb der freiwilligen Helfer. Mit ihrem Spiel, so die Hoffnung der kanadischen Phylo-Erfinder, ließe sich langfristig auch die Entwicklung neuer Therapien zur Behandlung genetisch basierter Krankheiten beschleunigen.

Genom-Puzzle

Wer selbst Freizeit und Genomforschung verbinden will, kann sich selbst auf die Webseite von Phylo umschauen und sein Glück versuchen. 

Phylo spielen: hier klicken

Vom Labor zum Selbstbauerkit 

Auch Riedel-Kruse sucht nun nach einer Möglichkeit, seine Spiele einem größtmöglichen Publikum zugänglich zu machen. Denn im Moment hat er noch ein Problem: Die Technologie hinter den Spielen ist zu teuer und zu komplex aufgebaut. Sie funktionieren daher nur im Labor. Doch er ist überzeugt, dass durch das Spielen mit biologisch realen Prozessen in den Köpfen der Spieler andere Dinge hervorgerufen werden, als beim Spielen konventioneller Videospiele. Seine Idee: Lässt man Menschen mehr an der Wissenschaft teilhaben, profitieren Wissenschaft und Mensch. Somit ist für ihn die Richtung, in die es gehen muss, klar: „Wir versuchen jetzt Spiele zu entwickeln, die über das Internet spielbar sind, oder günstige Selbstbauerkits entwerfen.“

Autor: Timo Kern

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