Schlaganfall: Das Übel an der Wurzel packen

Aggressive Sauerstoffverbindungen - zu denen auch Wasserstoff-Peroxid gehört - lassen sich mit speziellen Farbstoffen anfärben. Rechts sind Tiere zu sehen, bei denen ein Hemmstoff die Konzentration von Wasserstoff-Peroxid vermindert hat, links Tiere ohne Behandlung. <ic:message key='Bild vergrößern' />
Aggressive Sauerstoffverbindungen - zu denen auch Wasserstoff-Peroxid gehört - lassen sich mit speziellen Farbstoffen anfärben. Rechts sind Tiere zu sehen, bei denen ein Hemmstoff die Konzentration von Wasserstoff-Peroxid vermindert hat, links Tiere ohne Behandlung. Quelle: Kleinschnitz/Universität Würzburg

23.09.2010  - 

Unter dem Oberbegriff Schlaganfall fassen Mediziner gleich eine ganze Reihe ähnlicher Erkrankungen zusammen, die sich in ihren Symptomen gleichen: Durch Sauerstoffentzug wird das Hirngewebe so geschädigt, dass Nervenzellen absterben. Forscher um den Schlaganfall-Experten Christoph Kleinschnitz vom Universitätsklinikum Würzburg  und den Pharmakologen Harald Schmidt von der Universität Maastricht suchen nach neuen Wegen, die Nervenzellen vor dem Tod zu bewahren. Wie sie das Hirn nach einem Schlaganfall durch Ausschalten eines schädlichen Proteins schützen konnten, beschreiben sie im Fachmagazin Public Library of Science Biology (PloS Biology)

Nach Angaben der Stiftung Deutsche Schlaganfallhilfe erkranken jedes Jahr bis zu 250.000 Menschen an einem Hirnschlag. Auslöser ist meist ein verstopftes Gefäß – die Mediziner sprechen dann vom ischämischen Infarkt – oder seltener das Platzen eines Gefäßes. Wegen der dabei auftretenden Blutung bezeichnen die Experten den zweiten Typ als hämorrhagischen Infarkt. Mit dem Auftreten der ersten Symptome, beispielsweise teilweise Lähmungen, Wahrnehmungs- oder Gleichgewichtsstörungen, beginnt ein Wettlauf mit der Zeit. Die Nervenzellen beginnen schon nach wenigen Minuten ohne Sauerstoff abzusterben. Im Gegensatz zu vielen anderen Zellen im menschlichen Körper, wachsen sie aber nicht nach. Einmal abgestorben, sind sie für immer verloren.

Bisherige Therapien kommen oft zu spät

Aktuell konzentrieren sich die Mediziner deswegen bei der Behandlung darauf, alle Teile des Gehirns schnell wieder mit ausreichend Sauerstoff zu versorgen. Medikamente sollen das Blut flüssiger machen und so den Stau in den Gefäßen auflösen. Die bisher zugelassenen Medikamente können aber nur in einem kleinen Zeitfenster kurz nach Beginn des Schlaganfalls helfen. Die Folgen beschreibt der Würzburger Forscher Kleinschnitz: „Bislang gibt es nur eine Therapie, deren Wirksamkeit aber mäßig ist. Sie eignet sich auch nur für zehn Prozent der Schlaganfall-Patienten.“ Viele Erkrankte zögern jedoch, direkt nachdem sie die ersten Symptome bemerken, das Krankenhaus aufzusuchen. Die Folge: Sie treffen zu spät auf einen Arzt, der die so genannten Lyse-Präparate verordnen könnte. Der Zeitraum ist dann bereits verstrichen, in dem die Medikamente, die den Blutpfropf auflösen sollen, verabreicht werden können.  „Time is tissue – Zeit ist gleich Gewebe“, umschreiben die Neurologen dieses Dilemma.

Bisherige Behandlungsstrategien zielten vor allem darauf ab, die Sauerstoffversorgung im betroffenen Hirngewebe wieder herzustellen. Das deutsch-niederländische Forschergespann um Christoph Kleinschnitz von der Universität Würzburg  und Harald Schmidt von der Universität Maastricht wählte einen anderen Ansatz, um die durch den Schlaganfall ausgelösten Hirnschäden zu verringern. Sie konzentrieren sich darauf, dem unterversorgten Gewebe mehr Zeit zum Überleben zu verschaffen. Gelingen soll das, indem die Forscher ein bestimmtes schädliches Protein ausschalten und den Nervenzellen so ein längeres Überleben sichern.

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Das Forscherteam hat dabei ein Protein mit dem Namen NOX4 im Visier, von dem angenommen wird, dass es normalerweise bei der Signalübertragung innerhalb der Zelle eine Rolle spielt. Darüber hinaus hatten u.a. Experimente in Ratten gezeigt, dass die Menge von NOX4 im Hirn nach dem Schlaganfall in die Höhe schnellt. In so hohen Konzentrationen entfaltet es aber eine fatale Wirkung: Es produziert Wasserstoff-Peroxid – ein sehr aggressiven Stoff, dessen Wirkung jedermann beim Frisör beobachten kann. Das typische „Wasserstoff-Blond“ der Frisur entsteht, indem dem Kunden ein Bleichmittel auf Basis von Wasserstoff-Peroxid in die Haare massiert wird. Der Zahnarzt nutzt den gleichen Stoff, um bei seinen Behandlungen Bakterien im Mundraum abzutöten.

Protein hemmen, dass Wasserstoff-Peroxid produziert

Ob beim Haare Färben, beim Zahnarzt oder eben im Gehirn: zuviel Wasserstoff-Peroxid ist schädlich. Die Idee der Forscher: Ist das Protein NOX4 gehemmt, so könnte es weniger gefährliches Wasserstoff-Peroxid freisetzen, und die vom Untergang bedrohten Nervenzellen hätten wertvolle Zeit zum Überleben gewonnen. Bei ihrer Suche nach einem solchen Hemmstoff wurden Kleinschnitz und Schmidt bei einer Substanz namens „VAS-2870“ fündig. Bei Mäusen, denen dieser Stoff nach einem Schlaganfall verabreicht wurde, starben weniger Nervenzellen im Gehirn ab. Auch als nach dem Schlaganfall Stunden vergangen waren, gelang es noch, Hirngewebe der Mäuse vor dem Untergang zu retten. „Wir zeigen jetzt einen ganz neuen Weg auf, weil wir das Übel an der Wurzel packen und das Enzym NOX4 direkt ausschalten können“, erläutert Kleinschnitz die Besonderheit des neuen Therapieansatzes.

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Um nachzuweisen, dass es tatsächlich NOX4 war, dass das schädliche Wasserstoff-Peroxid produziert hat, gingen die Forscher aber noch einen Schritt weiter. In einigen Mäusen löschten sie die Erbinformation für dieses eine Protein und konnten zeigen, dass diese Tiere nach einem Schlaganfall weniger geschädigtes Hirngewebe aufweisen als unveränderte Artgenossen. In Zusammenarbeit mit Forschern um Martin Hrabé de Angelis, dem Mitbegründer der deutschen Mausklinik am Helmholtz-Zentrum München (mehr...), untersuchten sie die so veränderten Tiere auch noch hinsichtlich phänotypischer Auffälligkeiten. Ergebnis: Das Ausschalten des Gens hatte bei den Mäusen keine abnorme Veränderung ausgelöst, Aussehen und Verhalten der Tiere war normal. Nach Einschätzung der Forscher könnte diese Beobachtung für die Entwicklung zukünftiger NOX4-Wirkstoffe noch wichtig sein.

Die Forscher hoffen nun, dass der Wirkstoff VAS-2870 als Arzneimittel zur Behandlung von Schlaganfall weiter entwickelt wird. Er befindet sich unter anderem im Portfolio der Würzburger Biotech-Firma vasopharm, an dessen Gründung Harald Schmidt  - damals noch Forscher am Universitätsklinikum Würzburg - Ende der 90er Jahre beteiligt war. Bis eine neue Therapie tatsächlich im Krankenhaus eingesetzt werden kann, ist der Weg aber noch weit. Zunächst einmal müssen die Wissenschaftler die Ergebnisse nicht nur an Mäusen, sondern auch am Menschen zeigen. 

Nach Ansicht der Wissenschaftler ist das Potenzial des Wirkstoffs aber nicht nur auf Schlaganfall begrenzt. So scheint Wasserstoff-Peroxid auch bei Herzinfarkt, Krebs und vielen neurodegenerativen Erkrankungen wie Alzheimer oder Parkinson eine schädliche Wirkung zu entfalten.

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